Im Wasser an die Weltspitze – Kirsten Bruhn ist eine der erfolgreichsten Paralympioniken Deutschlands

Im Wasser an die Weltspitze – Kirsten Bruhn ist eine der erfolgreichsten Paralympioniken Deutschlands

Die gebürtige Eutinerin Kirsten Bruhn hat mehr Schwimmwettkämpfe gewonnen, als die meisten Menschen Pommes im Schwimmbad gegessen haben. Ihre beeindruckende Bilanz: 65-fache Deutsche Meisterin, 54 Weltrekorde, achtfache Europameisterin, sechsfache Weltmeisterin und insgesamt elf paralympische Medaillen, davon dreimal Gold. Doch die 50-Jährige hat nach einem schweren Unfall auch die Schattenseiten des Lebens kennengelernt. In HIERGEBLIEBEN erzählt die ehemalige Leistungssportlerin, wie sie sich zurückkämpfte, wo sie schwimmen lernte und warum sie heute als Botschafterin für eine bessere Wahrnehmung von behinderten Menschen kämpft.

Kirsten Bruhn, in Eutin dürfte jedes Kind mit Seepferdchen Ihren Namen kennen. Wie ist es, wenn die Geburtsstadt das Schwimmbad nach einem benennt?

Ich war überrascht, erfreut und fühlte mich sehr geehrt. Es war in einer Zeit, in der ich sportlich sehr erfolgreich war. Heute wird mir immer mehr bewusst, dass es etwas Besonderes ist, eine Art Monument.

Was verbindet Sie noch mit dem Kirsten-Bruhn-Bad?

Ich habe dort Schwimmen gelernt, und zwar ziemlich früh. Mit drei Jahren hat mich mein Vater ins Wasser gesetzt und geguckt, was passiert. Ich bin über Wasser geblieben, hatte Spaß und Talent. Meine Eltern waren beide Leistungsschwimmer und Trainer, das hat mich und meine vier Geschwister geprägt und begleitet.

Waren Sie das talentierteste Familienmitglied?

Nein, ich glaube nicht. Mein ältester Bruder hatte mehr Talent. Aber ich war die Ehrgeizigste, die Zielstrebigste – zumindest im Schwimmen. Noch heute fehlt es mir, bis an die körperlichen Grenzen zu gehen.

Wie oft sind Sie heute im Wasser?

Drei- bis viermal pro Woche schwimme ich, allerdings nur für mich, ohne Wettkampfgedanken.

Stichwort: Berufsorientierung: Wie lief ihr beruflicher Werdegang?

Zuerst wollte ich wie mein Vater zur Polizei gehen, in der achten Klasse dann Tierärztin werden. Später habe ich mich für den Beruf der Heilpraktikerin interessiert, auch für ein Medizinstudium. Ich bin schließlich umgeschwenkt auf Grafikdesign und hatte bereits einen Studienplatz, als der Unfall dazwischen kam und alles umgeworfen hat.

Ohne meine Eltern und Geschwister und insbesondere meine kleine Nichte hätte ich es nicht geschafft.

Was ist passiert?

Ich war mit damaligem Freund im Urlaub auf der griechischen Insel Kos. Er mietete sich ein Motorrad, um die Insel zu erkunden. Ihm zuliebe bin ich mitgefahren. In einer Linkskurve kam Gegenverkehr, wir sind von der Straße gerutscht, und ich bin unglücklich mit dem Gesäß in eine Kuhle gefallen. Dabei habe ich mir eine Trümmerfraktur des ersten Lendenwirbels zugezogen. Nach einer endlosen Odyssee mit überforderten Notärzten kam ich einen Tag später in Kiel an und wurde operiert. Da war aber schon zu viel Nervengewebe zerstört.

Wie ging es ihnen in der Zeit nach dem Unfall?

Ich war traumatisiert. Es folgten sieben Monate Reha. In der Zeit dachte ich daran, von der Brücke zu springen. Aber zum Glück hatte ich nicht den Mut. Ohne meine Eltern und Geschwister und insbesondere meine kleine Nichte hätte ich es nicht geschafft.

Wie haben Sie gelernt die Querschnittslähmung zu akzeptieren?

Das ist ein ewiger Kampf. Als ich Leistungsschwimmen betrieben habe, war ich mit mir im Reinen. Davor und danach ging es immer auf und ab. Die Zweifel bleiben. Die Gesellschaft ist ja immer ein Spiegel dessen, wie man wahrgenommen wird. Als Mensch im Rollstuhl wird man jedenfalls anders wahrgenommen, aber nicht auf eine Art, wie man wahrgenommen werden möchte.

Wie schätzen Sie die Lage behinderter Menschen in unserer Gesellschaft ein?

Sie werden mehr gesehen und beachtet. Früher wurden Behinderte häufig versteckt, weil man meinte, es sei eine Schmach. Aber auch heute wird oft vermittelt, dass es eine Bürde sei. Das merkt man zum Beispiel in Gesprächen, wenn es um die Bezahlung von Pflege- oder Therapiemaßnahmen geht. Die Realität wird oft ausgeblendet, was meiner Meinung nach bereits in der Schule verhindert werden könnte. Auch die Themen Krankheit und Tod werden in unserer Gesellschaft immer noch gerne ausgeklammert.

Inwiefern tragen Sie mit ihrer derzeitigen Arbeit für das Unfallkrankenhaus Berlin einen Teil dazu bei?

Ich bin Botschafterin für Prävention, Rehabilitation und Sport. Ich gehe an Schulen und thematisiere genau das, was wir gerade angesprochen haben. Es geht zum Beispiel darum, was behinderte und nicht behinderte Menschen machen können und dass Sport eine hohe Bedeutung hat. Ich thematisiere aber auch, was alles passieren kann und zeige, dass auch nach einschneidenden Veränderungen ein gutes Leben möglich ist.

Man muss nicht außergewöhnlich sein, um seine Ziele zu erreichen, sondern hart an ihnen arbeiten.

Wie sind Sie nach ihrem Unfall wieder zum Sport gekommen?

Zum Leistungssport erstmal gar nicht. Leider brauchte ich elf Jahre, um zu begreifen, dass das Schwimmen auch ohne Beinschlag noch ein wichtiger Teil meines Lebens ist.

Welchen Anteil hat der Wettkampfgedanke für Sie?

Wetteifern ist immer ein Vergleich, da braucht man Courage und Selbstbewusstsein. Das hatte ich lange nicht. Während einer Reha fragte ein Therapeut, ob ich nicht wieder an Wettkämpfen teilnehmen möchte und gab mir die Kontaktdaten zum Behindertensportverband. Mein Vater und mein damaliger Freund haben mich überzeugt, es zu versuchen. Damit hatte ich wieder ein Ziel vor Augen. Der Erfolg hat mich dann überzeugt und ich dachte: das ziehst du jetzt durch.

Sie haben viel Rückhalt durch Ihre Familie erfahren. Wie hat Sie das geprägt?

Wir haben als Familie immer einen tollen Zusammenhalt. Diese uneingeschränkte Liebe hat mich sehr beeinflusst. Man muss verzeihen und Nachsicht üben, das habe ich insbesondere als jüngstes Kind gelernt.

Sie haben Ihre Biografie geschrieben. Was könnten junge Menschen von Ihnen lernen?

Man muss nicht außergewöhnlich sein, um seine Ziele zu erreichen, sondern hart an ihnen arbeiten. Bei erfolgreichen Menschen möchte man oft wissen: wie schaffen die das? Bei mir kann man gut erkennen: Ich hatte nicht nur Erfolg, sondern musste auch Niederlagen einstecken. Erfolg ist immer ein Kampf, bei jedem. Man muss gerade als Leistungssportler auf vieles verzichten und diszipliniert sein. Ich glaube, das übt auf andere eine Faszination aus.

Frau Bruhn, vielen Dank für das Gespräch.

 

TEXT Lutz Timm
FOTO Kirsten Bruhn