Mojib Latif, 64, ist Professor am Geomar Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung in Kiel und einer der führenden Klimaforscher in Deutschland. Im Campus-Interview erläutert der Wissenschaftler, warum er „Scientists for Future“ unterstützt, was er von einer CO2-Steuer hält und wieso die Schülerproteste nur ein Anfang sein können.
Es liegt in der Natur der Sache, dass die jungen Menschen ihre Zukunft noch vor sich haben und wissen, dass sich die Lebensgrundlagen auf dieser Welt ohne Klimaschutz dramatisch verschlechtern würden.
Herr Professor Latif, auf einer Fridays-for-Future-Demo in Hamburg haben Sie eine Massenbewegung für mehr Klimaschutz gefordert und dafür kräftigen Applaus bekommen. Wieso geht der Protest gerade von der jungen Generation aus?
Es liegt in der Natur der Sache, dass die jungen Menschen ihre Zukunft noch vor sich haben und wissen, dass sich die Lebensgrundlagen auf dieser Welt ohne Klimaschutz dramatisch verschlechtern würden. Nur wir Alten sehen das oft nicht so. Insofern ist es nur konsequent, wenn die junge Generation aufsteht, und das in einer Art und Weise, die ziemlich viel Aufmerksamkeit erreicht.
Wieso flammen die Proteste gerade jetzt auf?
Die Folgen des Klimawandels sind doch bereits seit Jahren bekannt. Die Klimaproblematik ist seit mehreren Jahrzehnten auf dem Tableau, aber jetzt gab es offenbar den berühmten Tropfen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hat. Vielleicht war es der heiße und trockene Sommer im vergangenen Jahr. Möglicherweise waren es auch die Betrügereien in der Automobilindustrie. 2018 sind zumindest in Deutschland viele Dinge zusammengekommen, auch wenn der Ursprung der Bewegung in Schweden liegt…
…bei Greta Thunberg, die ihre Regierung dazu bringen will, die Klimaschutzziele von Paris konsequent umzusetzen.
Dabei ist Schweden uns mit einer CO2-Steuer voraus. Angela Merkel hat als Bundesumweltministerin markige Worte gewählt und sich vor Gletschern in Grönland ablichten lassen. Davon ist nicht viel geblieben. Eine Klimakanzlerin ist sie nie gewesen.
Die Welt blickt nach Deutschland. Wenn wir nicht vorangehen, dann werden andere Länder nicht folgen.
Ein Vorreiter in Sachen Klimaschutz ist Deutschland wohl derzeit nicht.
Nein. Und die Emissionen steigen global. Das kann man Angela Merkel nicht anlasten, aber Deutschland hat eine besondere Verantwortung. Die Welt blickt nach Deutschland. Wenn wir nicht vorangehen, dann werden andere Länder nicht folgen.
Können Sie in der Politik ein neues Bewusstsein für ernsthaften Klimaschutz erkennen?
Die Politik traut sich nicht, deswegen muss die Zivilgesellschaft das einfordern. Wir müssen uns aber auch ehrlich machen. Aktuelles Beispiel: Alle sind für Klimaschutz, aber keiner will die CO2-Steuer. Insofern muss man auch die Bevölkerung in die Pflicht nehmen.
Müsste die Politik eine bessere Vermittlungsarbeit leisten?
Das einzige probate Mittel ist, dem Ausstoß von Treibhausgasen einen Preis zu geben. Im Moment zahlen wir alle für die Schäden und insbesondere die nachfolgenden Generationen.
Wir wollen verdeutlichen, dass die Forderungen tatsächlich wissenschaftlich begründet sind.
Die Initiative Scientists for Future fordert, das Verursacherprinzip ‚sozialverträglich zu gestalten‘. Sie sind einer der rund 27.000 Wissenschaftler, die sich mit einer Stellungnahme hinter die Fridays-for-Future-Bewegung gestellt haben. Warum?
Ich bin unter anderem Präsident der Deutschen Gesellschaft Club of Rome und Vorstandsvorsitzender des deutschen Klimakonsortiums. Als Verbandsvertreter und auch als Person möchte ich deutlich machen, dass die Forderungen der jungen Leute absolut berechtigt sind. Es sind die gleichen Forderungen, die wir auch erheben. Wir wollen verdeutlichen, dass die Forderungen tatsächlich wissenschaftlich begründet sind.
Wie wurde die Initiative aufgenommen?
Sie hat zusätzliches Gewicht in die Debatte gebracht. Jetzt kann das keiner mehr so einfach abtun, wenn sehr viele führende Wissenschaftler sich hinter Fridays for Future stellen.
Klingt so, als wäre Deutschland auf einem guten Weg.
Aber es reicht nicht, dass jetzt die Schülerinnen und Schüler aufstehen und die Wissenschaftler das unterstützen. Es muss eine breite Bewegung in der Zivilgesellschaft geben, die die sozialen Fragen nicht aus den Augen verliert. Wir müssen versuchen, die Umweltfragen mit den sozialen und auch mit den ökonomischen Fragen zusammenzubringen. Letzten Endes gehört alles zusammen.
Herr Professor Latif, vielen Dank für das Gespräch.
TEXT Lutz Timm
FOTO © Jan Steffen, GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel