Arbeiten wie im späteren Beruf während der Ausbildung zur examinierten Pflegefachkraft am Städtischen Krankenhaus Kiel.
Der Job kann anstrengend sein. Und unruhig. Manchmal ist es wuselig und manchmal eine große Herausforderung. Aber es ist genau das, was die Auszubildenden wollen, der Lerneffekt ist riesig: Nach drei Wochen auf der „Schulstation“ am Städtischen Krankenhaus in Kiel sind alle mehr als zufrieden: Das feste Team der Station, die Praxisanleiter und ganz besonders die Azubis zur Pflegekraft. Die Neulinge sind gewachsen, als Person, als Team. Sie wissen, was sie können. Und sie sind stolz auf das, was sie geleistet haben.
Die Ausbildung zur Pflegefachkraft dauert drei Jahre und endet mit dem Berufsabschluss „Pflegefachfrau/Pflegefachmann“. Die „Schulstation“ ist der wichtigste Teil im dritten Ausbildungsjahr. Dort lernt der Nachwuchs, das bis dahin erlernte Wissen aus den theoretischen und praktischen Unterrichtseinheiten in der Realität anzuwenden.
Und diese Realität heisst für die 17 Azubis des laufenden Kurses für drei Wochen „C2M3, Chirurgische und internistische Station“ im fünften Stock des Krankenhauses. Zwar werden die Auszubildenden intensiv vorbereitet, es ist dann aber doch ein Sprung ins kalte Wasser des Klinik-Alltags: „Das ist für sie ein ganz hoher Lerngewinn, weil sie wirklich alles machen müssen, was dazu gehört,“ erklärt Lena Haß, die Leiterin des Kurses. „Sie betreiben die Station, organisieren die Arbeitsabläufe, versorgen die Patienten und reden intensiv mit den Ärzten. Und sie müssen Entscheidungen treffen.“
Das Ziel: Vollständig in den Stationsalltag eintauchen
Allein sind sie damit natürlich nicht, das Team der Station und die Anleiterinnen sehen ihnen sehr genau über die Schultern, es ist eine Arbeit aller miteinander auf Augenhöhe. „In den drei Wochen sind drei Einheiten auf der Station präsent: Das eigentliche Personal, die Azubis und drei Anleiter,“ macht Alexandra Stoike, Praxisanleiterin für die Kurse, deutlich. Der Theorie-Praxis-Transfer ist in der Pflege sehr wichtig.“ Die Lernenden tauchen vollständig ein: Dienstpläne, Teamsitzungen, Patientenversorgung, mit den Ärzten reden. Sie nehmen die Herausforderung an, tragen Verantwortung für das, was sie tun. Wie sie es später im pflegerischen Alltag tun werden.
Dass der Start anstrengend ist, berichtet Nils Studt. Der 26-jährige war eher zufällig in den Pflegebereich geraten und hat schon einige Jahre als Helfer gearbeitet: „Die ersten zwei Tage hatte ich Teamleader-Dienst, war für alles zuständig. Aber ich hatte ein gutes Team hinter mir, was mir sehr geholfen hat. Es fühlte sich anfangs chaotisch an, aber seitdem wird es nur noch besser. Man festigt sich, weiss, wie die Abläufe sind,“ erklärt er, „Wir sind jetzt am Ende der Ausbildung und haben das schon gut drauf.“
Er sagt „wir“ und macht damit ganz nebenbei deutlich, was ein wichtiger Teil des Erfolges dieser drei Wochen ist und das Lena Kannengießer, stellvertretende Schulleiterin und Pflegepädagogin, so beschreibt: „Es ist nicht nur ein fachliches Wachstum, das sich in diesen drei Wochen zeigt. Die Azubis wachsen als Team. Es wird selbstverständlich für sie, als Team füreinander einzustehen.
Wachsen, zum Team werden, sich und den anderen vertrauen
Die drei Wochen fordern Entscheiden, Kommunizieren, Organisieren, Strukturieren und sie bieten alles, was das Arbeiten auf einer Station bereit hält. „Der Grundgedanke ist, den Azubis die Chance zu geben, sich selber auszuprobieren, bevor nach dem Examen die echten Herausforderungen auf sie zukommen,“ macht Kannengießer deutlich.
Orlando Hildebrandt, 25, bestätigt das. Er berichtet von seinen Erfahrungen als Schichtleiter: „Was mich wirklich fordert, ist die Organisation. Man ist ja für alle Patienten verantwortlich. Man muss sehr vieles gleichzeitig im Kopf haben.“ Die Schichtleitung ist meist eine erfahrene Person. Er berichtet von seinen positiven Erfahrungen: „Das ist zwar am Anfang schwierig, aber es hat mir tatsächlich viel Spaß gemacht. Ich habe morgen die Schichtleitung im Spätdienst und freue mich richtig drauf!“
Er hat aber auch noch eine andere für ihn sehr wichtige Erfahrung gemacht: „Eine Sache, die mir persönlich sehr gut getan und mich sehr viel weiter gebracht hat, ist es, Reflexionsvermögen für die Patienten zu entwickeln, sich in sie hineindenken zu können. Das beste Szenario auf dieser Station brachte für mich diese wichtige Erkenntnis: Ein Patient, der sehr starke Schmerzen hat, kann schnell sehr unfreundlich werden. In einer solchen Situation ist es wichtig zu wissen, der Patient meint nicht mich persönlich. Und auch das: Sich Fehler eingestehen zu können. Diese Selbstreflexion zu haben, schadet definitiv nicht.“
Im Team die Herausforderungen zu meistern macht die Azubis erfolgreich, das führt sie zu persönlichem Wachstum und zum Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten. Und das ermöglicht ihnen, die Verantwortung, anzunehmen: „Ich sehe den Lernzuwachs,“ ist Melanie Rudolph begeistert, „wie sie sich weiterentwickeln, sich immer mehr Dinge zutrauen.“ Die 46-jährige ist eine der Projekt- und Praxisanleiterinnen für die Schulstation.
Es ist eine intensive Ausbildung. Rudolph bereitet die Lernenden in drei Vorbereitungstagen gezielt auf die Schulstation vor. Auch die Leitung der chirurgischen Station wurde dazu eingeladen, um sich und ihre Aufgaben vorzustellen. Und natürlich ist sie als Praxisanleiterin während der drei Wochen auf der Station vor Ort.
Sie erlebt die Azubis sehr positiv: „Die nehmen Kritik wirklich gut an,“ freut sie sich, „wenn ich sage: ‚Wirf’ da noch mal ein Auge drauf‘, dann sagen sie: ‚Ach ja, da hab’ ich gar nicht dran gedacht!‘ Der Kurs ist ein richtig schönes Team.“ Melanie Rudolph ist immer präsent, die angehenden Pflegefachkräfte werden besonders am Anfang eng begleitet.
Aber nicht nur für die Azubis sind es anstrengende drei Wochen. Die ständige Präsenz fordert auch die Anleiterinnen, denn trotz der Selbstständigkeit der Azubis ist eines immer klar: Die Lehrenden behalten die Verantwortung. Rudolph sagt aber trotzdem: „Durch die Art und Weise der Kursteilnehmer wird es uns doch leicht gemacht.“ Und sie ist überzeugt: „Die machen hinterher alle ihren Weg.“
Warum? Drei Azubis, drei Wege, drei Antworten.
Warum wählt ein junger Mensch überhaupt diesen Beruf, von dem es immer heisst, er sei anstrengend und sehr herausfordernd? Drei der Azubis geben darauf drei sehr individuelle Antworten.
Aizada Aitemirova hätte vor vier Jahren nicht im Traum daran gedacht, dass sie heute vor dem Examen zur Pflegefachfrau stehen würde. Die 28-jährige kam 2019 als Au-Pair aus Kirgistan nach Deutschland und wollte Europa kennenlernen. Corona machte ihr aber einen gründlichen Strich durch die Rechnung. Über ihre Gastmutter kam sie zur Pflege und machte ein freiwilliges soziales Jahr in der Altenpflege. „Ich bin sehr glücklich mit meinem Beruf und fühle mich sehr wohl,“ erklärt die studierte Finanz- und Steuerexpertin, „die Ausbildung läuft gut.“
Sie schätzt den Umgang mit Menschen aller Altersstufen, nach der Ausbildung möchte sie auf der Kinder-Intensivstation anfangen. Sie weiss auch genau, warum: „Ich habe mich für das Krankenhaus entschieden, weil das Gefühl, dass die Menschen gesund werden, mich glücklich macht. Ich komme nach Hause und weiss genau: Ich habe heute etwas erreicht!“
Für Orlando Hildebrandt war es letztlich die Berufserfahrung seiner Mutter, die ihn in die Ausbildung brachte. Die arbeitet nämlich schon seit Jahrzehnten als Krankenschwester. Der 25-jährige wagte trotz ihrer Warnung den Schritt zum Pflegefachmann. Er denkt über den Grund nach: „Es ist das, wie der Job meiner Mutter auf den Umgang mit Menschen im Allgemeinen abgefärbt hat. Das hat sie selbstverständlich an mich und meinen Bruder weitergegeben und ich glaube, hier hab’ ich auch genau das gefunden, was ich kenne.“
Nils Studt sieht für sich den Aspekt der Hilfe im Vordergrund: „Das gute am Job ist, dass man Menschen hilft. Das kann manchmal ziemlich anstrengend sein, aber man merkt am Ende des Tages einfach, das man etwas sinnhaftes getan hat,“ sagt er, „Und dass man Menschen geholfen hat, ist einfach etwas Schönes.“
Sie finden auf vielfältigsten Wegen in die Ausbildung zur Pflegefachkraft und machen die Erfahrung, dass es sich lohnt. Die drei Azubis lassen keine Zweifel daran aufkommen, dass sie den richtigen Weg gewählt haben. Das gilt aber auch für die Anleiterinnen und das Stationspersonal, die mit ihrem Engagement, ihrer Erfahrung und ihrem Einfühlungsvermögen das Projekt „Schulstation“ zum Erfolg machen.
Es sind Menschen wie Lena Kannengießer. Sie hat noch im alten System „Gesundheits- und Kinderkrankenpflegerin“ gelernt. 2010 wechselte sie in die Schule. „Ich wurde ‚abgeworben‘, weil kaum jemand mit meiner Ausbildung in eine Lehrposition wechseln wollte,“ beschreibt sie ihren Weg.
Im Januar 2020 wurde die Ausbildung zur Pflegefachkraft auf den europäischen Standard umgestellt, sie umfasst nun alle Bereiche der Pflege. Das Städtische Krankenhaus kann viele davon anbieten. Und was es nicht selbst im Haus hat, wie zum Beispiel die Altenpflege, wird mit Kooperationspartnern abgedeckt. Es ist während der drei Jahre am Bildungszentrum ohne weiteres möglich, Orientierungs- und Wunscheinsätze auf den Stationen in die Ausbildung zu integrieren, wenn man bestimmte Fachbereiche gezielt kennenlernen möchte. Der Lehrplan schafft dafür Möglichkeiten.
Hervorragende und vielfältigste Berufsperspektiven
Die Rückmeldungen der Azubis sind von Beginn an sehr gut und auch für die Ausbilderinnen motivierend: Sie fühlen sich durch das Ausbildungskonzept „Schulstation“ deutlich besser auf das vorbereitet, was auf sie im Berufsalltag zukommt. Auch die Rückmeldungen von den Patienten sind sehr positiv, sie fühlen sich bei den Auszubildenden gut aufgehoben. Was ein wichtiges Erfolgskriterium ist. Ganz nebenbei trainieren die Azubis auch die Selbstfürsorge, lernen sich selber genau kennen und merken, dass sie wachsen. Und von einem bunt zusammengewürfelten Haufen zum Team mutieren, was die Voraussetzung für ein gutes Arbeiten ist.
Kannengießer fasst die Grundgedanken der Schulstation und der gesamten Ausbildung auf diese Weise zusammen: „Das Ziel ist, den Azubis die Chance zu geben, sich selber auszuprobieren, bevor nach dem Examen die echten Herausforderungen kommen. Man kann es besser bewerten, wie komplex der Beruf ist. Und: Pflege ist ein Berufsfeld mit unendlich vielen Möglichkeiten, sich weiterzuentwickeln. Von verschiedenster Praxis bis hin zur Forschung, Verwaltung. Man glaubt gar nicht, wo man überall Pflegende findet.“ Nach ihrer Ausbildung haben die examinierten Pflegefachleute hervorragende Perspektiven: Es ist ohne weiteres möglich, unter vielen Jobangeboten zu wählen.
Praxisanleiterin Alexandra Stoike erinnert sich an ihre eigene Ausbildung: „Ich bin 1999 fertig geworden, die Praxisanleiter arbeiteten damals sehr hierarchisch und es wurde ständig benotet. Das machen wir hier heute ganz anders. Das Projekt ist frei von Benotung und Bewertung, der Druck ist auch so schon sehr hoch.“ Sie hat dann 2005 die Praxisanleiter-Fortbildung gemacht. „Ich wollte das anders machen. Heute gibt es für diese Einheit nur einen Stundennachweis, aber ein direktes Feedback durch die ständige Begleitung. Dadurch trainieren wir auch den aktiven Austausch.“
Und ganz am Schluss steht dann das Examen: Jeder Prüfling bekommt zwei Patienten zugewiesen, echte Patienten auf einer Station, an denen dann die Prüfung abgenommen wird. Er bekommt vier Stunden Zeit zur Vorbereitung, einen Tag später wird geprüft. Dazu kommt dann auch noch eine theoretische und praktische Prüfung. Und wer das erfolgreich überstanden hat, kann als examinierte Pflegefachfrau oder als examinierter Pflegefachmann hinaus in Welt. Oder auch am Städtischen Krankenhaus in Kiel bleiben. Solange es ihm dort gefällt.
TEXT Michael Ruff
FOTO Sebastian Weimar