In Flensburg arbeiten Forscher und Studierende an der Zukunft der Windenergie
Jahrelang lag der Windkraftausbau in Deutschland brach. Jetzt gibt es eine Aufbruchstimmung in der Branche, sagt Torsten Faber, Leiter des Wind Energy Technology Institute an der Hochschule Flensburg.
Herr Faber, der Windkraftausbau in Deutschland ist in den vergangenen Jahren nahezu zum Erliegen gekommen, Zehntausende Jobs wurden vernichtet. Jetzt sind die Grünen zurück in der Regierung – wird damit alles besser für die Branche?
Faber: Ich bin sicher, dass demnächst sehr viel passieren wird – viel mehr, als dass die Branche überhaupt hinterher kommen kann, die Nachfrage zu bedienen. Lieferengpässe und Kostensteigerungen sind heute schon absehbar. Ich beobachte in jedem Fall eine Aufbruchstimmung. Am Ende werden wir aber sehen müssen, wie die neue Regierung das Ganze vorantreiben wird – oder ob es erst einmal nur übergeordnete Ziele gibt.
Signalisiert diese Aufbruchstimmung auch für Ihre Studierenden rosige Aussichten?
Die gibt es schon länger. Wir haben zum Jubiläum unseres Instituts eine Umfrage unter ehemaligen Studentinnen und Studenten gemacht. Und die hat noch einmal gezeigt, dass mehr als die Hälfte unserer Studierenden, die ihre Masterarbeit in einem Unternehmen schreiben, dort auch direkt übernommen wird. Der Markt sieht gut aus, auch wenn es zwischenzeitlich Engpässe gab und viele gut ausgebildete Mitarbeiter freigestellt worden sind, weil Unternehmen wie Senvion pleite gegangen sind. Inzwischen ist aber wieder klar: Die Branche braucht unbedingt qualifizierte Mitarbeiter. Und ganz besonders hoch ist der Druck im Bereich der Planung.
Wer entscheidet sich denn für ein Studium bei Ihnen?
Unsere Studierenden kommen von überall auf der Welt und aus allen Bereichen. Denn in der Windbranche braucht man alle Ingenieure – ausnahmslos. Auf die rund 40 Studienplätze, die wir jedes Jahr anbieten, kommen über 500 Bewerbungen. Das zeigt, wie hoch die Reputation ist. Wir haben Studierende aus dem Bauingenieurwesen, Maschinenbau, aus der Elektrotechnik, dem Schiffsbau und aus der Luft- und Raumfahrttechnik. All diese Ingenieure haben aber in der Regel noch kein detailliertes Verständnis für Windenergieanlagen. Genau diese Lücke versuchen wir zu schließen.
Und wie sieht das in der Praxis aus?
Die Ingenieure aus den unterschiedlichen Disziplinen werden erst einmal zu Generalisten, um zu verstehen, wie eine Windkraftanlage funktioniert, was die Besonderheiten sind. Und dann gehen sie zurück in ihr Spezialgebiet. Der Maschinenbauer baut also anschließend Getriebe, der Bauingenieur den Turm und das Fundament, der E-Techniker den Generator. Ziel ist es natürlich, in der Windbranche tätig zu sein – viele als Ingenieurinnen und Ingenieure. Einige gehen aber auch in die Planung.
Sie selbst haben den ersten Boom der Windenergie miterlebt. Was ist heute anders als vor 20 Jahren?
Damals waren die Fragestellungen ganz andere als heute. Gesellschaftliche Akzeptanz und CO2-Bilanz haben damals eine viel kleinere Rolle gespielt. Es ging einfach erst einmal darum, die Erneuerbaren auszubauen. Die großen Anlagenhersteller versuchen zwar auch heute erst einmal ihre klassischen Produkte zu verkaufen, um die Nachfrage zu bedienen. Die greifen da verständlicherweise zunächst auf bewährte Konzepte zurück. Was aber nicht heißt, dass neue Ideen keine Relevanz bekommen werden. Irgendwann wird man anfangen müssen umzudenken. Rotorblätter beispielsweise sind aus GFK, ein Werkstoff aus Kunststoff und Glasfasern. Der ist zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht ohne riesigen Aufwand recycelbar. Heute ist der Fokus ein ganz anderer. Hinzu kommt, dass Ressourcen knapp sind. Da geht es der Windenergie nicht anders als beispielsweise dem Autobau. Und damit wird auch der Druck auf die Anlagenhersteller wachsen, sich über andere Alternativen Gedanken zu machen.
Wirken sich solche Faktoren auch auf Ihr Institut und den Studiengang aus?
Ja, im dritten Semester beispielsweise bekommen Studierende immer eine Projektaufgabe von uns. Früher war das Motto dabei immer ‚Höher, schneller, weiter‘. Der Trend geht aber heute mehr in Richtung Nachhaltigkeit und gesellschaftliche Akzeptanz. Also haben die Studierenden eine Low-Emission-Turbine entwickelt, die möglichst leise und optisch dezent sowie – und das war der wichtigste Punkt – eine möglichst gute CO2-Bilanz haben soll. Dafür wurden beispielsweise nachwachsende Werkstoffe wie Holz genutzt und eben kein GFK für die Rotorblätter oder Stahl für den Turm. Solche Ideen finden sich auch in unserer Forschung wieder.
Inwiefern?
Die Forschung am Institut ist getrieben durch das Know-how der drei Professoren, die die Stiftungsprofessuren innehaben. Wir haben unterschiedliche Schwerpunkte. Ich bin gelernter Zimmermann, Holz ist also mein Thema. Das ist ein sehr zukunftsträchtiges Material – gerade im Bereich der Erneuerbaren Energien. Dabei hatten schon die ersten Anlagen Rotorblätter aus Holz. Ich habe mich aber auch intensiv mit dem Turm beschäftigt. Auch den kann man aus Holz bauen. Und wenn man ihn abspannt, spart man sogar Material. Denn das ist immer der CO2-Treiber bei einer Windkraftanlage. Deshalb haben wir auch schon anders versucht, den Turm schlanker zu machen. Wenn er sich immer in die Hauptwindrichtung drehen kann, brauche ich keinen zu allen Seiten gleich stabilen Kreisquerschnitt mehr, sondern kann zum Beispiel eine Ellipse nutzen. Meine Kollegen haben andere Spezialfelder. David Schlipf bringt den Windanlagen mit Laser-Messgeräten, mit denen Windgeschwindigkeit und Turbulenzen gemessen werden können, das Sehen bei. Clemens Jauch kümmert sich als Elektrotechniker um die Interaktion zwischen Netz und Windenergieanlage. Und er arbeitet daran, dass Anlagen die atmosphärische Situation verbessern können, etwa indem sie an der Küste Wasser aus dem Boden pumpen und über die Rotorblätter künstliche Wolken schaffen können.
Sehen wir also schon bald Windkraftanlagen aus Holz, die die Atmosphäre verbessern?
Ganz so optimistisch bin ich da nicht – schließlich sind wir nicht das einzige Institut. Und vor allem sind wir ein verhältnismäßig kleines mit nur 15 Mitarbeitern. Wir können aber mit unserem Know-how Impulse geben. Die Aufbruchstimmung in der gesamten Branche, die ich beobachte, wird erst einmal nicht zur Übernahme neuer Ideen führen. Erst einmal muss der Markt bedient werden – trotz der allgemeinen Lieferengpässe und der explodierenden Rohstoffpreise. Das sehen wir weltweit: Die Nachfrage ist groß, die Anlagenhersteller haben aber große Schwierigkeiten, sie zu befriedigen. In welche Richtung es danach geht, müssen wir abwarten. Die Perspektiven sind aber riesig.
Zur Person: Torsten Faber (56) ist Professor am Fachbereich Energie und Biotechnologie an der Hochschule Flensburg. Er lehrt im Bereich Wind Energy Engineering. Seit der Gründung 2010 leitet er das Wind Energy Technology Institute (WETI) der Hochschule. Faber ist gelernter Zimmermann und promovierter Bauingenieur. Anschließend arbeitete er in verantwortlicher Position bei einem großen Zertifizierter von Windkraftanlagen, bevor er an die Hochschule kam.
Dieser Artikel ist in der Campus Winter 2022 erschienen. Interessiert dich die Diskussion um russisches Gas? Dann lies den nächsten Artikel.
TEXT Robert Otto-Moog
FOTO Marcel Schedat