Das Ziel ist klar: Bis 2030 sollen mindestens zehn Millionen Elektrofahrzeuge in Deutschland zugelassen sein. Einen Plan für den Weg dahin gibt es allerdings nicht, sagt Joachim Berg von der Hochschule Flensburg. Er weiß, wie so ein Plan aussehen könnte.
Auf Hamburgs Straßen ist die Mobilitätswende bereits in vollem Gange. In nicht einmal zehn Jahren soll der öffentliche Nahverkehr vollkommen elektrisch unterwegs sein, die ersten E-Busse rollen schon seit 2018 durch die Hansestadt. Einer, der das mit zu verantworten hat, arbeitet eigentlich rund 150 Kilometer weiter nördlich. Joachim Berg ist Professor am Fachbereich Maschinenbau, Verfahrenstechnik und Maritime Technologien der Hochschule Flensburg. Und er ist öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger für Elektrische Maschinen und Antriebstechnik sowie für E-Mobilität und Elektrofahrzeuge. Als solcher bewertet er beispielsweise bei Gerichtsprozessen, ob E-Autos die versprochenen Reichweite auch wirklich einhalten. Oder er plant die Elektrifizierung von 1100 Bussen in einer Millionenstadt.
Laden über Nacht
„Ich habe da die gesamte Energieberechnung für den ÖPNV übernommen“, sagt er. Seine Idee: Statt die Busse tagsüber je nach Gelegenheit aufzuladen, tanken sie in der Nacht auf. „Unter der Woche bricht in der Stadt der Stromverbrauch zwischen 22 und sechs Uhr ein, weil die meisten Menschen schlafen“, so Bergs Analyse. „Da werden rund 1000 Megawattstunden weniger elektrische Energie aus dem Netz genommen.“ Das reiche, um 4000 Busse zu laden. Doch stattdessen müssten noch immer Windräder abgestellt werden, weil ihr Strom nicht abgenommen wird. Das könnte mit dem Laden über Nacht verhindert werden.
„Für den ÖPNV ist das allerdings einfacher zu planen, als für den Individualverkehr“, sagt der Professor. Denn Busse und Bahnen fahren nach einem klaren Konzept, Autofahrer nicht. Das größte Hemmnis bei der Mobilitätswende sei dabei die nicht vorhandene Aufladeinfrastruktur. Denn eigentlich müssten auch die privaten E-Autos „smart“ geladen werden, also dann, wenn der Strom im Überfluss da sei, erklärt er. „Das passiert aber nicht – und mir fehlt auch die Fantasie, wie das mit den aktuellen Gegebenheiten klappen soll.“
Viele Baustellen erschweren die Wende
Für viele ist das auch gar nicht möglich. „Ich wohne auf dem Land und kann meinen Hybrid an der eigenen Ladesäule laden“, sagt Berg. Menschen, die in der Großstadt nach Feierabend 30 Minuten um die Straßenlaternen kurven, um überhaupt einen Parkplatz zu finden, könnten das nicht.
Es fehlt der Masterplan
Das Problem mit dem mangelhaften Ladenetz vergleicht der 62-jährige Experte mit dem Ausbau der Windenergie von einigen Jahren. „Es wurde die richtige Entscheidung für die Windkraft getroffen – sie wurde aber nicht richtig umgesetzt“, sagt er. In kurzer Zeit seien möglichst viele Windkraftanlagen gebaut worden. Nur wie und wohin der Strom soll, ist teilweise bis heute unklar. „Es fehlt der Masterplan“, sagt Berg. Bei der Mobilitätswende sei es ähnlich. „Ich sehe da kein politisches Konzept und keine planerischen Vorgaben, wie wir erfolgreich den richtigen Weg umsetzen“, kritisiert er.
Das Druck ist da, das Konzept fehlt
Ganz entscheidend sind aus Sicht des 62-Jährigen deshalb die sogenannten Ladeinfrastrukturpartner. „Beispielsweise der Parkplatz des Arbeitgebers oder Parkhäuser“, erklärt er. Damit man so etwas aber richtig planen kann, brauche es eine Verkehrsanalyse. „Wir werden aber jetzt schon von der Entwicklung überholt“, warnt Berg. „Wenn Sie sich mal die neuesten Zulassungszahlen anschauen, dann werden mehr Autos mit alternativen Antrieben angemeldet als reine Verbrenner.“ Im vergangenen November erreichten Elektro-Pkw und Plug-in-Hybride bei den Neuzulassungen in Deutschland einen Marktanteil von 32,3 Prozent. Verbrenner kamen auf einen Anteil von 49,2 – Tendenz rapide sinkend.
Der Druck ist da, das Konzept fehlt. „Es gibt hier und dort mal ein paar neue Ladestationen. Aber wenn man nach eine Plan für die nächsten fünf oder zehn Jahre fragt, dann bekommt man keine Antwort“, beklagt Berg. Dabei habe Mobilität jeglicher Art eine erhebliche energiepolitische Bedeutung. Ein Fünftel des bundesweiten Energieverbrauchs benötige der Personen- und Güterverkehr, 80 Prozent davon entfielen auf den Straßenverkehr.
Vor allem in Norddeutschland sei man inzwischen in der Lage „aus nachhaltiger Energieerzeugung, nachhaltige Mobilität zu schaffen“, sagt Berg. Immerhin stehen hier die meisten Windräder. Dafür müsse aber zuerst einmal der Ist-Bedarf ermittelt werden, dann der Ist-Zustand. Und von dort aus müsste das Netz geplant werden – und die Einspeisung von möglichst viel regenerativer Energie. Auch regionale Strukturen müssten vermehrt eingebaut werden. „Wir brauchen planerische Ansätze für einen Zeithorizont von fünf, zehn und 15 Jahren“, sagt Berg.
E-Mobilität wird noch eine große Rolle spielen
Da kommen auch seine Studierenden ins Spiel. Denn die seien diejenigen, die die Masse an Problemen in naher Zukunft lösen müssten. „Diese jungen Menschen werden in den nächsten Jahrzehnten bestimmt nicht arbeitslos“, prognostiziert Berg.
Mobilität ist das große Thema der Industrienationen
Ganz im Gegenteil. „Das Problem ist eher, dass in unserem Bereich händeringend Nachwuchs gesucht wird. Und ich habe keinen. Meine Studierenden werden mir aus den Händen und gerissen.“ Für Berg ist das wenig verwunderlich. „Mobilität ist das große Thema der Industrienationen“, betont er. Trotz Home-Office in Zeiten der Pandemie. „Es müssen immer Menschen und Güter bewegt werden.“ Nur wie das passiert, wird sich ändern. Der Weg zur E-Mobilität ist längst beschlossen. Doch das E-Auto wird den Verbrenner kaum eins zu eins ersetzen. „In großen Städten ist es heute schon nicht mehr unbedingt angesagt, ein Auto zu fahren“, sagt Berg. Auch das müsse mit geplant werden. So wie in Hamburg, wo die Mobilitätswende bereits in vollem Gange ist. Auch dank Joachim Berg und einem Masterplan.
TEXT Robert Otto-Moog
FOTO Christina Kloodt