„Hallo, schön dass Sie da sind!“, begrüßt uns die farbenfroh und sommerlich gekleidete Dame am Eingang des Portals zum Tagungszentrum Tannenfelde, während wir die Treppe zum funktionalen Bau aus den 1970er Jahren erklimmen. Flankiert von Kunstwerken wie der zwei Meter hohen Installation „Möwenschwarm“ aus Carrara-Marmor des Künstlers Pierre Schumann, und dann noch vorbei an einer Ahnengalerie mit in Bronze gegossenen Büsten distinguiert aussehender Herren. Wo sind wir? In einem Skulpturenpark? Einer Kunstausstellung? Keineswegs! Wir werden in Tannenfelde willkommen geheißen. „Das ist der Kristallisationspunkt der Jugend- und Erwachsenenbildung in Schleswig-Holstein“, wie uns die herzliche Dame mit einem strahlenden Lächeln verrät.
Heute treffen wir also auf Heike Claßen, Geschäftsführerin des Tagungszentrums: „Unsere Bildungsarbeit umfasst die fach- und führungsspezifische Fortbildung von Mitarbeitern aller betrieblicher Ebenen sowie die gesellschaftspolitische Jugend- und Erwachsenenbildung“, kommt Frau Claßen gleich zur Sache. In diesem Jahr feiert man das 50-jährige Bestehen der Einrichtung. Ökonomische Bildung und Wirtschaftswissen seit 1974! Und sie fügt nicht ohne Stolz hinzu: „In Tannenfelde hat auch SCHULEWIRTSCHAFT Schleswig-Holstein ihren Sitz!“
Arbeitgeberverbände übernehmen Verantwortung
Die Geschichte von Tannenfelde beginnt aber genau genommen schon gut 20 Jahre vor dem Bau und der Inbetriebnahme des Bildungs- und Tagungszentrums im Jahr 1974. Die Entstehungsgeschichte von Tannenfelde ist eng verzahnt mit der Historie der „Studien- und Fördergesellschaft der schleswig-holsteinischen Wirtschaft” (stfg) und reicht bis ins Jahr 1952 zurück. Denn schon in diesen ganz frühen Jahren der noch jungen Bundesrepublik, in den später so bezeichneten Wirtschaftswunderjahren, machte sich der „Verein zur Förderung der Schleswig-Holsteinischen Wirtschaft“ Gedanken über den Wirtschaftsstandort und suchte Kontakte zur Politik. Der etwas später gegründete „Studienkreis für Wirtschaft“ griff die aus Skandinavien stammende Idee zur überbetrieblichen Fort- und Weiterbildung auf und entwickelte erste Seminar- und Tagungsangebote.
„Das ist der Kristallisationspunkt der Jugend- und Erwachsenenbildung in Schleswig-Holstein.“
Im Sommer 1966 war es dann soweit: Aus dem Wirtschaftsförderungsverein und dem Studienkreis sollte etwas gemeinsames Neues entstehen. Die „Studien- und Fördergesellschaft der Schleswig-Holsteinische Wirtschaft“ war geboren. Der Sitz war von Beginn an in Rendsburg. Und schon damals gab es eine enge, nicht nur räumliche Verbindung mit der ebenfalls am Paradeplatz 10 residierenden „Landesvereinigung der Schleswig-Holsteinischen Arbeitgeberverbände“, die heute den Namen UVNord trägt. Als wirtschafts- und sozialpolitischer Spitzenverband der freiwillig organisierten Wirtschaft vertritt UVNord die Interessen seiner angeschlossenen 114 Mitgliedsverbände aus allen Bereichen der Wirtschaft, die – nach eigenen Angaben – mit über 106.000 angeschlossenen Unternehmen mehr als 1,89 Millionen Menschen in Hamburg und Schleswig-Holstein Arbeit geben.
Wirtschaftsbosse, Mittelständler und Mäzene
Die „Studien- und Fördergesellschaft der Schleswig-Holsteinischen Wirtschaft e.V.“ ist heute ein Zusammenschluss von rund 300 Betrieben aus allen Regionen des Landes und aller Branchen. Neben zahlreichen Mittelständlern zählen nahezu alle bedeutenden und wichtigen Unternehmen zu den Mitgliedern der Gesellschaft. Erster Vorsitzender der Studien- und Fördergesellschaft war Dr.Dr. Karl F. Möllering vom Unternehmen Dräger aus Lübeck. Heute repräsentiert Dr. Philipp Murmann die Gesellschaft.
In der Satzung heißt es, dass der Verein die „Erhaltung und Stärkung der schleswig-holsteinischen Wirtschaftskraft“ zum Ziel habe und sich neben der Bildungsarbeit und den Kontakten zur Politik auch der „Förderung des kulturellen Schaffens schleswig-holsteinischer Künstler“ widmen müsse. Diese Satzungspassage wurde im Übrigen später in „Sammlung qualitativ hochwertiger Kunstwerke“ umformuliert. Große Teile dieser Sammlung sind ins Landesmuseum Schloss Gottorf überführt worden. Einige dieser Kunstwerke bedeutender schleswig-holsteinischer Künstler stehen jedoch heute wieder in Tannenfelde. Wie beispielsweise die Bronze-Büsten aller Vorsitzender der Fördergesellschaft vor dem Eingangsportal des Tagungszentrums. Gestaltet von dem schleswig-holsteinischen Künstler Manfred Sihle-Wissel, einem der Preisträger des von der Studien- und Fördergesellschaft seit 1985 alle zwei Jahre verliehenen Kunstpreises der schleswig-holsteinischen Wirtschaft.
Das Bildungs- und Tagungszentrum im laufenden Betrieb
Die Architektur ist funktional und hat sich bewährt. „Die Räume sind auch nach 50 Jahren noch genau richtig!“, sagt Heike Claßen. Die typischen 70er Jahre Muster und Materialien sind charmant. Barrierefreiheit habe man damals zwar noch nicht mitgedacht. „Aber der vollflächig verlegte grüne Teppich in allen Fluren, auf allen Stufen und in den Seminarräumen ist super!“, lacht Heike Claßen. „Wir brauchen auch in 100 qm Räumen kein Mikrofon. Die Akustik ist für Referenten und Teilnehmer ein Traum.“
Angefangen hatte man in Tannenfelde mit klassischer betrieblicher Weiterbildung wie Meister- und Vorbereitungsschulungen. Sowie mit Führungstrainings, die auch heute noch den Bildungsschwerpunkt bilden. Allein in diesem Bereich werden knapp 30 Seminarthemen angeboten. Durchgeführt werden die Veranstaltungen von 35 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern und 45 freiberuflichen Trainern. Die Palette reicht von einem „Grundlagentraining Mitarbeiterführung“ bis hin zu „Mentale Stärke für Führungskräfte“. Aber auch „Umgang mit gendersensibler Sprache“ wird angeboten. „Ich finde das gut“, sagt Heike Claßen. „Irgendwann muss man ja mal damit anfangen.“
„Wir brauchen auch in 100 qm Räumen kein Mikrofon. Die Akustik ist für Referenten und Teilnehmer ein Traum.“
Später kamen dann auch Betriebsratsschulungen dazu. Als arbeitgeberverbandsnahe Einrichtung wollte man die Schulung von Mitarbeitenden in der betrieblichen Gremienarbeit nämlich nicht allein den Gewerkschaften überlassen. Betriebe werden heute als „lernende Organisationen“ gedeutet. Lebenslanges Lernen ist somit für Mitarbeitende wie für Führungspersonal ein wichtiger Bestandteil eines jeden Arbeitslebens.
Die Zukunft von Tannenfelde? Lernen in Präsenz
Die Zukunft der Bildungsarbeit in Zeiten von Zoom, Teams, KI und ChatGPT? „Führung wird immer eine Rolle spielen“, ist Heike Claßen überzeugt. Auch die Bedeutung von Präsenz-Veranstaltungen hebt sie hervor. „Wir haben es seinerzeit geschafft, als Reaktion auf die Corona-Pandemie mit ihren Beschränkungen des öffentlichen Lebens unser Programm auf Online-Seminare umzustellen. In nur fünf Wochen haben wir es geschafft, ganze 20 Themenbereiche online anzubieten! Trotzdem sind wir wieder sehr schnell zur klassischen Präsenzveranstaltung zurückgekehrt. Die Teilnehmenden und auch die Trainerinnen und Trainer wollen es so.“ Der Trend geht also eindeutig zum Event. Blended-Learning-Ansätze mit „Learning Nuggets“ inklusive.
„Führung wird immer eine Rolle spielen.“
„Darüber hinaus machen wir vieles möglich, und das schätzen die Leute“, sagt Heike Claßen und liefert gleich mal ein paar Beispiele. So habe man schon Kinderbetten für den Mittagsschlaf von Kleinkindern besorgt, weil die KiTa geschlossen war. Oder Muttermilch eingefroren, um einer jungen Mutter die Teilnahme an einem ganztägigen Seminar zu ermöglichen. Auch Wassermelonen im November habe man einmal besorgen müssen. Wofür das wichtig war? Das weiß Heike Claßen auch nicht mehr so genau. „Wir machen es einfach möglich!“, lacht die quirlige Geschäftsführerin. Auf dass der Spirit von Tannenfelde, entspanntes Lernen in individueller Atmosphäre für alle anzubieten, vom Schüler bis zur Managerin, auch in den kommenden 50 Jahren noch genauso aus der Mitte Schleswig-Holsteins heraus leuchten und strahlen möge.
TEXT Natascha Pösel
FOTO Michael Ruff