Berufliche Orientierung ist ein Prozess – ME2BE im Gespräch mit Ministerin Prien

Berufliche Orientierung ist ein Prozess – ME2BE im Gespräch mit Ministerin Prien

Karin Prien ist seit 2017 Bildungsministerin des Landes Schleswig-Holstein. Mit ME2BE spricht sie über das Thema Berufliche Orientierung.

Im Oktober wurden die Ergebnisse des IQB-Bildungstrends 2021 im Primarbereich vorgestellt. Die Kompetenzen in den Fächern Deutsch und Mathematik haben sich offenbar deutlich verschlechtert. Welche Probleme und Herausforderungen ergeben sich grundsätzlich daraus für das Bildungssystem?

In der Tat sind die Ergebnisse des jüngsten IQB-Bildungstrends besorgniserregend und sie zeigen einmal mehr: Es sind insbesondere Schülerinnen und Schüler mit schlechten Startbedingungen, die die Mindeststandards nicht erreichen. Hier müssen wir dringend handeln. In Schleswig-Holstein unterstützen wir seit dem Schuljahr 2019/20 mit unserem PerspektivSchul-Programm gezielt 62 Schulen in einem sozial belasteten Umfeld. Dieses Programm wollen wir auf die frühkindliche Bildung ausweiten, denn eine erfolgreiche Förderung beginnt schon vor der Einschulung, in den Kindertagesstätten vor allem mit einer gezielten Sprachförderung.

Wie beurteilen Sie die Ergebnisse des Bildungstrends mit Blick auf die Sicherung des Fachkräftenachwuchses?

Der Erwerb der Grundkompetenzen im Primarbereich ist die Grundlage für einen erfolgreichen Übergang in die weiterführende Schule, für einen erfolgreichen Schulabschluss, das Erlernen eines Berufs oder die Aufnahme eines Studiums und hat damit auch Auswirkungen auf den Fachkräftemarkt. Wenn fast jedes vierte Kind in der Grundschule im Fach Mathematik zur Risikogruppe gehört, so ist das nicht hinnehmbar. Gemeinsam mit dem Institut für Qualitätsentwicklung an Schulen Schleswig-Holstein (IQSH) erarbeiten wir deshalb einen ,Handlungsplan basale Kompetenzen‘. Jede Schülerin und jeder Schüler soll die Möglichkeit haben, den Mindeststandard zu erreichen. Das ist unsere Verpflichtung und zugleich die Voraussetzung dafür, dass wir unseren Wohlstand und gesellschaftliche Stabilität erhalten.

Das Land Schleswig-Holstein hat vor einem Jahr das ‚Landeskonzept für Berufliche Orientierung an den weiterführenden Schulen’ auf den Weg gebracht. Gibt es bereits Erfahrungen bei der Umsetzung dieses Konzepts?

Das Landeskonzept Berufliche Orientierung ist im Herbst 2021 als Erlass in Kraft gesetzt worden. Das Konzept haben wir gemeinsam mit den Partnern aus Wirtschaft, Wissenschaft, Verbänden, den Schulen, den Schüler- und Elternvertretungen sowie den Bundesministerien für Arbeit und für Bildung und Forschung und der Bundesagentur für Arbeit erarbeitet und es ist – trotz der schwierigen Phase der Pandemie – zu einem echten Erfolgsprojekt geworden. Jetzt geht es darum, all diese Möglichkeiten unseres Landeskonzepts Berufliche Orientierung gemeinsam mit unseren Partnern voll auszuschöpfen und an allen Schulen umzusetzen.

Wie kann der Fachkräftenachwuchs in Schleswig-Holstein durch berufliche Orientierung und berufliche (Weiter-)Bildung gesichert werden?

Berufliche Orientierung soll einerseits über die Berufsmöglichkeiten informieren und andererseits den Jugendlichen helfen, die eigenen Interessen und Fähigkeiten besser einzuschätzen. Unsere Schulen leisten da schon sehr gute Arbeit mit ganz unterschiedlichen Projekten: Zum Beispiel dem Stärken-Parcours, der gemeinsam mit der Regionaldirektion Nord der Bundesagentur für Arbeit seit 2021 umgesetzt wird. Damit bieten wir eine verpflichtende und flächendeckende Kompetenzfeststellung für alle Schülerinnen und Schüler der 7. Jahrgänge an den Gemeinschaftsschulen. Auch die Entrepreneurship-Education mit den vielen beeindruckenden Schülerprojekten ist ein wichtiger Bestandteil beruflicher Orientierung. Mit der ‚Praktikumswoche‘ steht ein neues digitales Tool zum Matching von Praktikumsplätzen zur Verfügung. Die Angebote der beruflichen Weiterbildung müssen in allen Berufen weiter ausgebaut werden, namentlich in den Mangel- und Zukunftsberufen.

Welche Prioritäten würden Sie setzen?

Berufliche Orientierung ist mehr als ein zweiwöchiges Betriebspraktikum. Sie ist ein Prozess, der sich über mehrere Jahre in unterschiedlichen Phasen erstreckt und Jugendlichen Orientierungs- und Entscheidungskompetenz vermittelt. Es braucht ein Netzwerk von kompetenten Partnern, mit dem die Schulen zusammenarbeiten können. Aktuell haben wir bereits 74 Schulen, die mit dem Berufswahl-SIEGEL-SH für eine vorbildliche Berufliche Orientierung ausgezeichnet wurden. Dieses Netzwerk wollen wir weiter ausbauen. Zwei Ziele sind vorrangig: Zum einen wollen wir das Matching verbessern und zum anderen müssen wir die Quote der Abbrüche beim Schulabschluss sowie in Ausbildung und Studium deutlich verringern.

Welche Rolle spielen in diesem Zusammenhang die beruflichen Schulen?

Die beruflichen Schulen sind wichtige Partner für die allgemeinbildenden Schulen. Schwerpunkte der Zusammenarbeit sind vor allem Berufsmessen und Informationsveranstaltungen, auch Elternabende, zur Beruflichen Orientierung, zu Berufen und Berufsfeldern, zur dualen Ausbildung sowie zu weiterführenden Bildungsgängen in den berufsbildenden Schulen. An Beruflichen Schulen können junge Menschen außerdem im Rahmen der Berufsfelderprobung unter pädagogischer Anleitung Berufe kennenlernen und Werkstoffe erproben. Zudem eröffnen die berufsbildenden Schulen die Möglichkeit, weitere Schulabschlüsse zu erwerben.

TEXT ME2BE

FOTO Frank Peter