Gustav Radbruch – Wissenschaftler, Politiker und Humanist

Gustav Radbruch – Wissenschaftler, Politiker und Humanist

Vor 75 Jahren starb der Rechtsphilosoph in Heidelberg

„Die völlige Leugnung der Menschenrechte […] ist absolut unrichtiges Recht.“

Gustav Radbruch, einer der bedeutendsten Rechtswissenschaftler des 20. Jahrhunderts, wird am 21. November 1878 in Lübeck geboren, lehrt von 1919 bis 1926 als Professor der Rechtswissenschaften in Kiel und später in Heidelberg, vermittelt 1920 während des Kapp-Putsches in Kiel zwischen streikenden Arbeiter- und Putschistengruppen und wird in diesem Zusammenhang kurzfristig verhaftet. Von 1921 bis 1924 ist er für die SPD Mitglied des Reichstages, übernimmt 1921, 1922 und 1923 das Amt des Justizministers. Am 9. Mai 1933 entlassen ihn die Nationalsozialisten aus politischen Gründen aus dem Staatsdienst, als einen der ersten nicht-jüdischen Wissenschaftler. Radbruch bleibt aber in Deutschland und publiziert weiterhin im Ausland. Nach dem Zusammenbruch des NS-Staates kann er bereits Anfang September 1945 seine Lehrtätigkeit an der Heidelberger Universität wieder aufnehmen. Er starb am 23. November 1949.

Gustav Radbruch

Nach dem Ersten Staatsexamen kehrte Radbruch in seine Heimatstadt Lübeck zurück, um sein Rechtsreferendariat anzutreten.

Worin besteht die herausragende wissenschaftliche, politische und publizistische Bedeutung Gustav Radbruchs?

Maßgeblich wirkt er 1919 an der Gründung der Kieler Volkshochschule mit. Dann der Kapp-Putsch 1920: Beim dramatischen Versuch, gemeinsam mit dem Staatsrechtler Heller eine gewaltsame Auseinandersetzung zwischen streikenden Arbeitern und Putschisten in Kiel zu verhindern, wird Gustav Radbruch in sogenannte „Schutzhaft“ genommen, nach sechs Tagen aber wieder freigelassen, nachdem der Putsch gescheitert ist. Von der SPD wird er wegen seiner Haltung für die Wahlen zum Reichtstag nominiert.
Als Abgeordneter und vor allem jedoch in der Rolle des Reichsjustizministers initiiert Radbruch mehrere Reformen, darunter die Zulassung von Frauen zu den Justizämtern, das Jugendgerichtsgesetz, durch das das Jugendstrafrecht aus dem Allgemeinen Strafrecht herausgenommen wird.
Seinem „Entwurf eines Allgemeinen Strafgesetzbuches“, in dem die Abschaffung der Todesstrafe verankert ist und in dem Vergeltungsidee durch die Besserungsidee abgelöst wird, kann Radbruch jedoch nicht mehr Rechtskraft verleihen.
1932 erscheint die Neufassung seiner bereits 1914 publizierten „Rechtsphilosophie“, in der er die ‚Rechtssicherheit‘ ins Zentrum seiner Rechtsidee rückt; 1946 nach dem Zusammenbruch des NS-Staates wird Radbruch diese Auffassung ändern.
In dem kurzen Aufsatz „Gesetzliches Unrecht und übergesetzliches Recht“, der zu den bedeutendsten rechtswissenschaftlichen Texten des 20. Jahrhunderts zählt, formuliert er den naturrechtlichen Gedanken: „Der Positivismus hat in der Tat mit seiner Überzeugung ‚Gesetz ist Gesetz‘ den deutschen Juristenstand wehrlos gemacht gegen Gesetze willkürlichen und verbrecherischen Inhalts. […] wo Gerechtigkeit nicht einmal erstrebt wird, wo Gleichheit, die den Kern der Gerechtigkeit ausmacht, bei der Setzung positiven Rechts bewußt verleugnet wurde, da ist das Gesetz nicht nur ‚unrichtiges Recht‘, vielmehr entbehrt es überhaupt der Rechtsnatur.“ (215f.)
Als „Radbruch’sche Formel“ ist diese Rechtsauffassung wiederholt rechtswirksam geworden, zum Beispiel in den sogenannten ‚Mauerschützenprozessen‘.
An Gustav Radbruch zu erinnern, bedeutet, an einen Juristen, Demokraten und Humanisten zu erinnern, der mit seiner Person und seinem Lebenswerk für die konsequente Verteidigung des demokratischen Verfassungsstaates einsteht.
Der Schlusssatz seines Aufsatzes aus dem Jahr 1946 ist unmissverständlich:

„Demokratie ist gewiss ein preiswertes Gut, Rechtsstaat aber ist wie das tägliche Brot, wie Wasser zum Trinken und wie Luft zum Atmen, und das Beste an der Demokratie gerade dieses, daß sie geeignet ist, den Rechtsstaat zu sichern.“

Darin besteht Gustav Radbruchs fortwährende Aktualität!

Quellen

Gustav Radbruch: Rechtsphilosophie, Heidelberg 2003
Gustav Radbruch: Gestalten und Gedanken, Leipzig, 1944/1954
Arthur Kaufmann: Gustav Radbruch. Rechtsdenker, Philosoph, Sozialdemokrat, München 1987
Robert Alexy: Gustav Radbruch, Download vom 09.12.2024: https://www.uni-kiel.de/grosse-forscher/index.php?nid=radbruch
Benjamin Lahusen: Aus Juristen Demokraten machen, in: DIE ZEIT Nr. 46, 5.11.2009

TEXT Erhard Mich
FOTO Gustav Radbruch: Der innere Weg – Abriß meines Lebens, Vandenhoeck & Rupprecht in Göttingen, 1955 (PD-alt-100)