Reinhard Boucsein ist 52 Jahre alt und zurzeit kommissarischer Schulleiter der Ferdinand-Tönnies-Schule. Er leitet diese gemeinsam mit Matthias Sechting bis zur Rückkehr von Schulleiterin Katrin Humbroich.
Was bedeutet Schule für Sie? Einmal allgemein und einmal in Bezug auf die FTS…
Schule bedeutet für mich mehr als nur ein Ort, an dem Wissen vermittelt wird. Bei Schule geht es mir darum, die Schülerinnen und Schüler möglichst sorgfältig auf das Leben als erwachsener und mündiger Bürger vorzubereiten. Dafür reichen Kenntnisse in Deutsch, Mathe, Englisch nicht aus. Die Schülerinnen und Schüler verbringen einen großen Teil ihrer Lebenszeit an unserer Schule. Sie sollten sich daher wohlfühlen und Schule als Lebensraum erleben und begreifen. Dies geschieht durch viele Aktivitäten wie z.B. die Kreativpause oder die bewegte Pause oder auch die Gestaltung der Räume und des Schulhofes.
Aber auch außerschulische Partner wie das Diakonische Werk bereiten durch zahlreiche Präventionsprogramme die uns anvertrauten Kinder auf das Leben nach der Schule vor. Berufsorientierung durch Stärkenparcours, Potenzialanalysen und Werkstatttage sind für mich ein weiteres zentrales Thema. Die Kinder bekommen explizite Rückmeldungen zu ihren Stärken und Fähigkeiten unabhängig von Schulnoten. Sie erfahren, dass sie etwas können. Das stärkt das Selbstbewusstsein ungemein. Hier an der FTS erlebe ich ein unheimlich engagiertes Kollegium, das einen guten Blick auf die Kinder hat und sich sehr für die Kinder einsetzt. Ein offenes Ohr für die Sorgen aber auch für die schönen Dinge zu haben, zeichnet uns aus.
Wofür steht die FTS? Welche Schwerpunkte setzen Sie beziehungsweise welche Möglichkeiten haben Sie hierfür?
An dieser Stelle möchte ich gerne unser Leitbild zitieren, da ich finde, es drückt genau das aus, wofür wir hier als Schule stehen: „Gute Beziehungen sind die Grundlage für eine erfolgreiche Schullaufbahn. Wir fördern eine tragfähige und vertrauensvolle Zusammenarbeit aller an Schule Beteiligten. Wir haben den Anspruch, dass alle von ihrem Recht auf Bildung Gebrauch machen können. Es ist unsere Grundhaltung, die Schülerinnen und Schüler in ihrer Einzigartigkeit individuell zu betrachten und zu fördern.“ Besser kann man es eigentlich nicht ausdrücken.
Welche Rolle spielt der Namensgeber Ferdinand Tönnies im Schulleben/Unterricht?
Ferdinand Tönnies gilt durch sein Werk „Gemeinschaft und Gesellschaft“ als Begründer der Soziologie. Gerade der Gemeinschaftsgedanke führte zur Namensgebung von der ehemaligen Realschule Husum Süd zur Ferdinand-Tönnies-Schule. Es ist uns nach wie vor sehr wichtig, den Gemeinschaftsgedanken zu leben. Wir sehen uns als Schule als große Gemeinschaft, in der alle zusammenarbeiten und gemeinsam an dem Ziel arbeiten, die Schülerinnen und Schüler auf die Zukunft vorzubereiten. Lehrkräfte, unsere Schulsozialarbeiterinnen und unser pädagogisches Fachpersonal arbeiten Hand in Hand und gestalten gemeinsam mit den Schülerinnen und Schülern unsere Schulgemeinschaft.
Gemeinsame Veranstaltungen wie das Sportfest, das Winterfest, Theateraufführungen, Werkschauen, Ausflüge und Klassenfahrten stärken das Bewusstsein einer Gemeinschaft anzugehören.
Die FTS ist unter anderem Zukunftsschule und Ausbildungsschule. Welche Bedeutung haben diese Titel?
Mit dem Titel „Zukunftsschule Schleswig-Holstein 2024“ präsentieren wir uns als Schule, die die 17 Ziele für Nachhaltige Entwicklung, Bildung für Nachhaltige Entwicklung BNE, in unserer Schule im Rahmen von Projekten verfolgt. Diese Projekte befassen sich praxisnah mit gesellschaftlich, ökonomisch, ökologisch und sozial relevanten Themen. Wir zeigen uns als Schule, die in einem Netzwerk von Zukunftsschulen arbeitet, im Austausch mit anderen Zukunftsschulen ihre eigenen BNE Projekte weiterentwickelt und Erfahrungen mit anderen Schulen teilt. Dies zeigt sich vor allem deutlich darin, dass wir schon seit 2011 als Zukunftsschule SH ausgezeichnet wurden und mit viel Engagement langfristig Projekte weiterentwickeln konnten.
Ausbildung junger Kolleginnen und Kollegen sehen wir als sehr wichtig und gewinnbringend an. Gerade in Zeiten ansteigender Herausforderungen und Anforderungen an den Lehrberuf ist eine gründliche Ausbildung enorm wichtig. Darüber hinaus bringen junge Lehrkräfte viele neue Ideen und Anregungen für den Unterricht mit, sodass alle von der Ausbildung profitieren. Es ist uns aber auch wichtig, den angehenden Lehrkräften unser Verständnis vom Umgang miteinander, das heißt mit den Kindern, den Eltern und dem Kollegium nahezubringen: Gemeinsam – Miteinander – Füreinander.
Wie bringen Sie Themen in die Schule, die Ihnen ein Anliegen sind, aber nicht im Lehrplan stattfinden? Zum Beispiel Demokratie und Vielfalt.
Schule ist per se Vielfalt. Treffen doch ganz viele unterschiedliche Charaktere mit ganz verschiedenen Prägungen täglich aufeinander. Damit Vielfalt gelebt werden kann, ist es wichtig, den Schülerinnen und Schülern gemeinsame Werte zu vermitteln. Wie wollen wir miteinander umgehen? Das ist eine Frage, die nicht nur regelmäßig Thema in Klassenlehrerstunden ist, sondern auch an Präventions- und Klassentagen fortgesetzt wird.
Gleiches gilt für die Demokratiebildung. Gerade in Zeiten, in der rechte Meinungen zunehmen, Rassismus und Ausländerfeindlichkeit geschürt werden, ist es uns als Schule enorm wichtig, den Schülerinnen und Schülern zu vermitteln, wie wichtig die Demokratie und unsere Grundrechte sind. Die Vermittlung demokratischer Grundwerte und gelebte Vielfalt sind uns ein ständiges Anliegen, das regelmäßig im Unterricht oder an Projekttagen thematisiert wird. Sie sind Teil unserer täglichen Arbeit.
Was macht ihrer Meinung nach einem guten Schulleiter aus?
Ich glaube, alle Schulleiter haben eines gemeinsam: Wir wollen alle etwas bewegen. Dazu muss man vor allem belastbar sein. Wichtig ist auch, sich im Haus zu zeigen, anwesend und ansprechbar für Eltern, Schülerinnen und Schüler und das Kollegium zu sein. Wertschätzung für die Arbeit der Kolleginnen und Kollegen ist für mich ebenfalls sehr wichtig. Alle leisten gute Arbeit. Das sollte auch entsprechend gewürdigt werden.
Dazu gehört auch eine offene und transparente Kommunikation mit allen am Schulleben beteiligten Personen. Dabei ist mir persönlich sehr wichtig, dass mir die Menschen, mit denen ich täglich umgehe, auch vertrauen. Vertrauen erhält man durch Transparenz des eigenen Handelns. Jedem muss klar sein, warum und wie ich etwas handhabe. Dabei ist mir die eigene Kritikfähigkeit sehr wichtig. Auch ein Schulleiter macht Fehler. Damit sollte man offen umgehen.
Motivieren können, halte ich auch für ein wesentliches Merkmal einer guten Schulleitung. Dazu gehört es, Ideen der Kolleginnen und Kollegen aufzugreifen, aufgeschlossen gegenüber Neuem zu sein und die Kompetenzen des Kollegiums zu nutzen.
Um Spaß an der Arbeit haben zu können, sollte man Gestaltungsspielräume geben und dabei Vertrauen in die Arbeit der Kolleginnen und Kollegen haben.
Welche Ziele verfolgt die Berufsmesse für die Schüler? Und was motiviert Sie, eine solche Veranstaltung zu unterstützen?
Die Schülerinnen und Schüler informieren sich an den Messeständen über Ausbildungsmöglichkeiten in der Region und lernen einen kleinen Ausschnitt der Vielfalt der hier ansässigen Berufe und Unternehmen kennen. Durch die Gespräche mit den Fachkräften beziehungsweise Experten aus den Betrieben wird ein lebensnaher und „echter“ Eindruck von der Arbeitswelt vermittelt. Schülerinnen und Schüler erfahren aus erster Hand und ungefiltert durch Lehrkräfte und Eltern, welche Aufgaben, Tätigkeiten, Bewerbungskriterien und -verfahren es gibt.
Durch den direkten Kontakt mit den Unternehmen bauen die Schülerinnen und Schüler Hemmschwellen in Umgang mit „fremden Menschen“ ab, was für zukünftige Praktika, Vorstellungsgespräche usw. Vorteile hat. Als größten Erfolg für solch eine Ausbildungsmesse ist anzusehen, dass die Schülerinnen und Schüler durch die Gespräche an ein Praktikums- oder Ausbildungsplatz herankommen.
Wie nehmen die Eltern und die lokale Gemeinschaft an der Berufsmesse teil?
Die Elternschaft wird zur Ausbildungsmesse eingeladen, die Resonanz ist in der Regel sehr gut. Die meisten Eltern sind am Vormittag zu Besuch. Darüber hinaus dürfen die Schülerinnen und Schüler gerne Freunde und Verwandte mitbringen. Die lokale Gemeinschaft ist, mit Ausnahmen der oben genannten Personen, nicht zur Veranstaltung eingeladen,das heißt, die Öffentlichkeit wird aus Gründen der Überschaubarkeit nicht eingeladen (Ausnahmen sind zum Beispiel ehemalige Kolleginnen und Kollegen oder interessierte Lehrkräfte aus anderen Schulen).
TEXT Hilke Ohrt
FOTO Reinhart Witt