Interview mit Marie Delaperrière, Gründerin des Kieler Zero-Waste-Ladens „Unverpackt“.
Hallo Marie. In deinem Geschäft „Unverpackt“ verkaufst du Lebensmittel und andere Waren – verpackungsfrei – an deine Kunden. Im Februar 2019 steht das fünfjährige Firmenjubiläum an. Welche Schlagzeile würdest du dann gern lesen?
„Marie hat sich nicht geirrt!“
Diese Überschrift scheint dir sicher. Seit der Eröffnung im Jahr 2014 hat sich „Unverpackt“ in Kiel etabliert. Wie kamst zu dieser Geschäftsidee und mit welchen Produkten hast du angefangen?
Die Idee entstand Ende 2012, nachdem ich einen Bericht über eine Familie gelesen hatte, die vier Jahre lang Müll vermeiden wollte und daran gescheitert war. In einem Selbstversuch stellte ich anschließend fest: In Deutschland ist es nahezu unmöglich, Lebensmittel unverpackt einzukaufen! Damit wollte ich mich nicht abfinden, entwickelte einen Businessplan für den Verkauf unverpackter Waren, erhielt Unterstützung von der Industrie- und Handelskammer Kiel und gründete das erste Geschäft in der Waitzstraße. Getreide, Müsli, Trockenfrüchte, Tee, Gewürze und Süßigkeiten … mit 250 Produkten und wenigen Lieferanten sind wir gestartet. Heute umfasst unser Sortiment über 800 Artikel!
Erläutere uns bitte kurz das „Unverpackt“- Konzept. Wie kauft man bei dir ein?
Bei uns gibt es unverpackte Lebensmittel, Kosmetika, Reinigungsmittel und Zubehörwaren in loser Form. Um sie transportieren zu können, bringen Kunden entweder ihre Dosen, Schachteln und Gläser mit oder können umweltgerechte Behälter bei uns erwerben. Wir wiegen deren Leergewicht, sodass am Ende nur die Netto-Ware berechnet wird. Vorher sollte man sich überlegen, welche Produkte man benötigt und in welchen Mengen. Möchte ich beispielsweise einen Kuchen backe, dann überlege ich mir, wie viel Mehl, Eier und Nüsse ich brauche. Dies führt dazu, dass weder Verpackungsmüll anfällt noch Lebensmittel verschwendet werden. Und da wir gleichzeitig großen Wert auf regionale Lieferanten legen, bieten unsere Produkte eine hohe Qualität.
Was sind die Bestseller in deinem Sortiment?
Das ist schwer zu sagen, denn alle Produkte finden ihre Abnehmer. Feine Haferflocken füllen wir ständig nach, Nüsse sind besonders bei vegan lebenden Kunden beliebt, im Trend liegen außerdem Zutaten für Do-it-yourself-Rezepte, wie beispielsweise Natron für Kosmetik und unsere Shampoo- Blöcke.
Wie würdest du deine Kunden beschreiben? Studierende? Doppelverdiener? Öko-Freaks?
Es kommen etwas mehr Frauen als Männer, aber vom Anzugträger bis zur barfüßigen Studentin ist alles vertreten. Ich finde das super! Manchmal fühle ich mich an die Gäste in süddeutschen Biergärten erinnert. Dort treffen sich auch Menschen aus allen Bevölkerungsschichten.
Du bist gebürtige Französin, lebst und arbeitest aber schon lange in Deutschland. Wie bist du nach Kiel gekommen?
Auf einem langen Marsch von Süden nach Norden! Geboren und aufgewachsen bin ich als Landkind, umgeben von Natur, in einem kleinen Dorf in den französischen Pyrenäen. Ursprünglich wollte ich nach der Schule Dolmetscherin und Übersetzerin werden. Tatsächlich habe ich aber Wirtschaft und Projektmanagement in Paris studiert. Im Anschluss arbeitete ich für ein medizintechnisches Unternehmen in Süddeutschland. Im Auftrag dieser Firma bin ich 2009 nach Kiel gekommen. Es gefiel mir so gut, dass ich hiergeblieben bin. Beruflich musste ich mich dann neu orientieren. Dabei hatte ich zwei Wünsche: Ich wollte selbständig sein und etwas Sinnvolles tun!
Wir danken dir sehr für deine sinnvolle Idee! Irgendwie müssen wir den Verpackungsirrsinn stoppen: Mit fast 12 Millionen Tonnen verbraucht Deutschland mehr Plastik als jedes andere Land Europas! 35 Prozent sind allein auf Verpackungen zurückzuführen. Wie gut gelingt es dir, selbst auf Verpackungen zu verzichten?
Das gelingt mir sehr gut. Natürlich bin ich auch Kundin im eigenen Geschäft und kaufe die meisten Lebensmittel in loser Form. Mein Mann und ich sowie unsere drei Kinder achten auf Nachhaltigkeit und versuchen, sinnvoll zu konsumieren. Bevor wir etwas kaufen, fragen wir uns grundsätzlich: Brauchen wir das wirklich? Wenn ja, brauchen wir das als Neuware oder reicht vielleicht ein Gebrauchtartikel? Wo und wie ist das Produkt hergestellt? Welche Konsequenzen hat der Erwerb dieses Produkts? Auf diese Weise reduzieren wir ständig unseren Müll. Früher haben wir zwei gelbe Säcke pro Woche abgegeben, heute ist es nur noch ein 10 Liter Sack alle vier bis fünf Wochen. Wir betrachten Natur und Umwelt ganzheitlich. Auf ein eigenes Auto verzichten wir zum Beispiel schon seit Jahren und nutzen stattdessen ein Car-Sharing-Modell.
Was denken deine Kinder? Sind sie von „Unverpackt“ genervt? Immerhin sind viele Süßigkeiten attraktiv verpackt und durch Zusatzstoffe gesüßt.
Nein, sie verstehen das. Wir verbieten unseren Kindern nichts. Sie sollen lernen, nachhaltige Konsumentscheidungen zu treffen. Wenn sie etwas kaufen, was weniger umweltgerecht ist, erklären wir ihnen, welche Alternativen es gibt. Mittlerweile merken sie schnell, ob sie eine tiefgekühlte Fertigpizza oder eine selbstgemachte Pizza essen und loben uns dafür, dass unser Essen viel besser schmeckt!
Von deinen Kunden und den Medien erhältst du viel Lob und Zuspruch. Ein Kritikpunkt ist, dass die Produkte etwas teurer als im Supermarkt sind. Was sagst du dazu?
Ich finde es schade, dass wir uns über Preise von Lebensmitteln beschweren, die eine hohe Qualität haben. Für einen Liter Motoröl blättern wir 15 Euro hin. Da kaufen wir das Teuerste, damit der Motor lange lebt! Bei Olivenöl kann es hingegen ruhig das Billigste sein. Wir müssen verstehen, dass es bei Lebensmitteln um unsere eigene Gesundheit geht! Außerdem sollten Preise vergleichbar sein. Unsere Produkte sind überwiegend regional und entsprechen einer Bio-Qualität. Und auch die Psychologie spielt eine Rolle. Warum empfinden wir eine 100-Gramm-Packung Nüsse für 5 Euro als teuer, wenn der Kilopreis bei 50 Euro liegt?
Zum Schluss noch ein paar persönliche Fragen: Was ist dein Lieblingsgericht?
Ach, wie gemein! Ich mag so viel. Mein Lieblingsdessert ist ‚Tarte au citron meringuée.’ Ansonsten liebe ich alle Formen von frischen Salaten mit einer schönen Vinaigrette, aber auch Topfgerichte, etwa Chili con Carne. Nur in der deutschen Küche kenne ich mich leider nicht so gut aus!
Was fehlt dir an Frankreich? Was schätzt du an Kiel?
Was mir fehlt, sind die französische Patisserie und die Käseläden. In Frankreich sind auch die Märkte bunter, lebendiger und bieten mehr Auswahl. An Kiel schätze ich die Nähe zum Wasser und die freundliche Gelassenheit der Menschen.
Marie, vielen Dank für das Gespräch und weiterhin viel Erfolg für ‚Unverpackt’!
TEXT Christian Dorbandt
FOTOS Jan-Michael Böckmann