„Praxis-plus-Schule“: Frühe Praxiserfahrungen, echte Perspektiven

„Praxis-plus-Schule“: Frühe Praxiserfahrungen, echte Perspektiven

Jorrit Schütt ist Lehrkraft im Vorbereitungsdienst an der Friedrich-Junge-Schule in Kiel. Mit seinem Projekt „Praxis-plus-Schule“ bringt er Schüler ab Klasse 9 regelmäßig in Handwerksbetriebe – mit dem Ziel, ihnen den Einstieg ins zweite Lehrjahr zu ermöglichen. Ein Gespräch über Motivation, Mut und das Potenzial junger Menschen.

Herr Schütt, wie ist die Idee zu „Praxis-plus-Schule“ entstanden?

Ich habe meine Masterarbeit zu dem Thema geschrieben. In Baden-Württemberg gibt es seit etwa 2014 das Modell „Abitur plus Gesellenbrief“ – sehr erfolgreich, allerdings für Gymnasien. Mich hat interessiert, ob und wie so etwas auch für Gemeinschaftsschulen funktionieren kann. Ich habe das Konzept also angepasst und weiterentwickelt, in enger Zusammenarbeit mit meiner Universität in Flensburg.

Worum geht es konkret?

Schülerinnen und Schüler nehmen ab Klasse 8 an einer Vorbereitungsmaßnahme teil und arbeiten dann ab Klasse 9 für 24 Wochen in einem Handwerksbetrieb. Zusätzlich absolvieren sie eine zweiwöchige überbetriebliche Lehrlingsunterweisung. Wenn sie das erfolgreich schaffen, können sie direkt ins zweite Ausbildungsjahr im entsprechenden Berufsfeld einsteigen.

In welchem Berufsfeld startet das Projekt?

Wir beginnen im August mit dem Beruf Maler und Lackierer – neun Schülerinnen und Schüler, neun Betriebe. Das ist die Pilotphase in Kiel.

Ist das Projekt auf Kiel beschränkt?

Vorerst ja. Aber der Wunsch ist, es perspektivisch auszuweiten. Die Handwerkskammern sind seit Frühjahr 2025 eingebunden. Wenn die Inhalte vermittelt sind und die Anerkennung vorliegt, können wir das Modell auch an anderen Standorten umsetzen.

Wie kam es dazu, dass Sie als Lehrkraft im Vorbereitungsdienst so ein großes Projekt initiieren?

Ich sehe jeden Tag, was Schülerinnen und Schüler brauchen. Viele sind sehr praxisorientiert, manche auch schulmüde. Da ist ein hoher Praxisanteil ein echter Gewinn. Nicht alles, was junge Menschen können, lässt sich in Noten ausdrücken. Und genau darum geht es: Chancen schaffen, die über den klassischen Unterricht hinausgehen.

Wie wurde das Projekt aufgenommen?

Die Resonanz war groß. Drei Schulen in Kiel haben mitgemacht, insgesamt gab es 45 Interessierte. Einige haben sich dagegen entschieden, weil das Berufsfeld nicht zu ihnen passte – aber das Modell selbst fanden sie überzeugend. Deshalb ist es wichtig, auch andere Berufsfelder zu erschließen.

Ist das geplant?

Ja, das Modell ist flexibel. Wir können es auf andere Berufe übertragen, je nach regionaler Nachfrage. Mein Wunsch ist, dass es nicht beim Malerhandwerk bleibt.

Was war Ihre persönliche Motivation?

Mich hat beeindruckt, wie gut das Modell in Baden-Württemberg funktioniert. Es verbindet Schule und Betrieb auf sinnvolle Weise, und die Leistungen der Jugendlichen verbessern sich oft sogar. Hier an Gemeinschaftsschulen sehe ich viel praktisches Talent. Diese Schüler sollen früher einsteigen dürfen – freiwillig, praxisnah und mit echter Berufswahlkompetenz.

Wie läuft das schulisch und organisatorisch ab?

Die Schülerinnen und Schüler gehen einen Tag in der Woche zum Fachkundeunterricht ans RBZ Schützenpark, wo wir mit einer Lehrkraft zusammenarbeiten. In den Ferien arbeiten sie im Betrieb: vier Wochen in den Sommerferien, jeweils eine Woche in den kürzeren Ferien. Dafür erhalten sie eine monatliche Aufwandsentschädigung von 120 Euro – auch in Monaten, in denen sie nicht im Betrieb sind.

Wie wichtig ist die persönliche Begleitung?

Sehr zentral. Wir sprechen hier von Jugendlichen, die 14 oder 15 Jahre alt sind. Die müssen auf diesen Schritt vorbereitet werden. Ich begleite sie eng – inhaltlich, organisatorisch, auch im Austausch mit den Betrieben. Das entlastet die Unternehmen, die neben ihrer regulären Ausbildung wenig Zeit für zusätzliche Betreuung haben.

Und wie werden die Eltern eingebunden?

Die Eltern sind ein ganz wichtiger Teil. Sie kennen ihre Kinder am besten. Wenn Probleme auftreten, sind sie unsere ersten Ansprechpartner. Manche begleiten ihre Kinder sehr aktiv durch das Projekt, andere eher zurückhaltend – das ist ganz unterschiedlich. Aber wir versuchen, alle gut mitzunehmen.

Was bringt das Projekt den Schülern – über Geld und Praxis hinaus?

Sie bekommen eine echte Perspektive. Sie lernen früh, was auf sie zukommt, schnuppern Ausbildungsluft und erfahren, ob ein Beruf wirklich zu ihnen passt. Selbst wenn jemand merkt, dass es nicht das Richtige ist, ist das ein Gewinn. Denn dann weiß er es frühzeitig – und kann neu überlegen.

Und was haben die Betriebe davon?

Sie können die Jugendlichen über einen längeren Zeitraum kennenlernen – viel intensiver als in einem kurzen Praktikum. Das hilft bei der Auswahl, senkt Abbrecherquoten und sichert langfristig Fachkräfte. Es ist ein Baustein gegen den Fachkräftemangel – sicher nicht die Lösung für alles, aber ein relevanter Beitrag.

Wie wird der Erfolg des Projekts gemessen?

Ich führe Befragungen und Interviews durch – mit Schülern, Eltern, Betrieben, Schulen. Wir evaluieren, was gut läuft und wo nachgesteuert werden muss. Der größte Erfolg wäre, wenn der Übergang ins zweite Lehrjahr gelingt. Aber auch jede bewusste berufliche Entscheidung ist ein Gewinn.

Was wünschen Sie sich von Schulen und Betrieben?

Mut! Mut, etwas auszuprobieren. Wir haben die Experimentierklausel – nutzen wir sie. Und wir müssen Verständnis dafür haben, dass ein 14-Jähriger noch nicht so weit ist wie ein 18-jähriger Azubi. Aber er kann es werden, wenn wir ihm die Chance geben.

Was bedeutet Ihnen das Projekt ganz persönlich?

Verdammt viel. Es ist aus einer Idee entstanden, dann zu einer Masterarbeit geworden – und jetzt zur Praxis. Die Rückmeldungen von Schulen, Betrieben, Eltern und Schülern zeigen mir: Es wird gebraucht. Und wenn wir damit jungen Menschen helfen können, ihren Weg zu finden, dann war es jede Mühe wert.

Foto: Mubarak Bacondo
Text: Anja Nacken