Durch die Zusammenlegung von Real- und Hauptschulen entstand eine von Schleswig-Holsteins größten Regionalschulen mit 790 Schülern – jetzt wird sie zur Gemeinschaftsschule.
„Der alte Teil der Schule ist total entkernt worden und der Rest ist sozusagen runderneuert worden“, beschreibt Schulleiter Hans Ferdinand Sönnichsen die umfangreichen Sanierungs- und Renovierungsarbeiten an seiner Schule. „Entstanden ist eine sehr helle, freundliche und moderne Schule mit ganz viel Glas.“ Schon auf den ersten Blick scheinen die Vo-raussetzungen für gutes Lernen hier gegeben zu sein: Es gibt moderne Fachräume für Chemie, Biologie, Musik, Technik und Informatik. Zwei Sporthallen, nebenan befindet sich die VHS mit einer großen Bühne, die für Theateraufführungen genutzt werden darf. Aber natürlich sind auch hier, wie überall, Schüler und Lehrer vor die Herausforderungen der Schulreform gestellt – Binnendifferenziertes Lernen heißt das Zauberwort, dass so manchen das Gruseln lehrt. Schüler mit sehr unterschiedlichen Begabungen und Wissenstand gemeinsam in einer Klasse zu unterrichten – das ist nicht ohne: „Wir sind sehr froh, dass wir durch den Umbau der Schule nun in einigen Klassen noch separate Gruppenräume haben, in denen wir dann einzelne Schülergruppen fördern oder auch fordern können“, erzählt Judith Boldt, Lehrerein für Englisch und WiPo.
In der Regionalschule Niebüll wird ausschließlich die Sekundarstufe 1 unterrichtet. Klar, dass hier die Vorbereitung auf eine Ausbildung ganz oben auf dem Programm steht. Die neunten Klassen widmen diesem wichtigen Thema deshalb seit Jahren eine ganze Projektwoche. Sie macht die Schüler ‚Fit für den Beruf‘.
Benimm dich! Aber wie? Projektwoche mal anders
Jeder kennt sie: Die Projektwoche. Da heißt es, sich für mehr oder weniger interessante Themen zu begeistern – was nicht immer leicht fällt. Aber es geht auch anders! Wie wäre es, wenn man in einer Woche all das lernt, was man für eine gut Bewerbung und ein erfolgreiches Vorstellungsgespräch wirklich braucht?
„Ich bin froh über jeden Tag, der glatt läuft“, muss Judith Boldt schmunzeln, dabei hat sie für die Projektwoche der acht 9. Klassen alles bis ins letzte Detail geplant und natürlich läuft alles glatt. Etwa 120 Schüler sind in dieser Woche unterwegs und werden ganz gezielt rund um das große Thema Beruf und Ausbildung vorbereitet. Für das Projekt hat sie Niebüller Unternehmen und Institutionen mit ins Boot geholt: „Bei der VR-Bank lernen sie alles zum Thema Bewerbung“, erzählt Judith Boldt, „die Bewerbungsunterlagen werden geprüft und Vorstellungsgespräche durchgespielt. Gleichzeitig bekommen sie mit auf den Weg, wie sie sich zum Gespräch anziehen sollen.“ Das ist ein wichtiger Punkt, denn wer sich als Banker bewirbt, sollte sich auch entsprechend kleiden. Und wer gerne Handwerker werden möchte, muss auch nicht in Schlips und Kragen erscheinen. Dann geht es ab ins Tanzstudio Stümer – keine Sorge, getanzt wird hier heute nicht. Hier gibt es Tipps in Sachen gutes Benehmen: „Ich erzähle den Schülern, wie wichtig Etikette ist. Es gibt nun mal Spielregeln in der Gesellschaft. Und die muss man kennen“, erklärt Sonja Stümer, die nicht nur Tanzlehrerein ist, sondern auch Coach für Umgangsformen. Gutes Benehmen öffnet Türen, da ist sie sich absolut sicher: „Wenn ich weiß, wie ich mein Gegenüber richtig begrüße, wem ich zum Beispiel bei einem Vorstellungsgespräch zuerst die Hand schüttele, kann ich sofort punkten. Vielen ist das gar nicht klar.“ Oft entscheiden nicht die Noten darüber, wer eine Lehrstelle bekommt, sondern das Auftreten – und eben das gute Benehmen. Dafür möchte Sonja Stümer sensibilisieren.
In der Bildungs- und Ausbildungswerkstatt haben die Schüler die Möglichkeit, in verschiedene Berufe hineinzuschnuppern. Dort sind die Möglichkeiten vielfältig: Sie können in der Lehrküche mal in die Töpfe gucken, an der Hobelbank ein Stück Holz bearbeiten oder den Pinsel schwingen – einfach mal sehen, was passt.
Was macht die winkende Queen auf dem Schrank?
‚Merk‘-wüdigkeiten im Klassenzimmer: Albert Einstein steckt uns die Zunge heraus, während eine Ratte durch das Zimmer läuft. So ‚merk‘-würdig wie an diesem Vormittag geht es in der 9. Klasse der Regionalschule Niebüll normalerweise nicht zu! In der Projektwoche zum Thema ‚Fit für den Beruf‘ stand Gedächtnistraining auf dem Programm. Was das mit winkenden Königinnen auf Schränken, frechen Physikern und flotten Nagern zu tun hat? Das es ist eine etwas längere Geschichte…
„Die Informationsmenge, die täglich auf euch einprasselt, ist riesig“, erklärt Jürgen Petersen, „und sie wird immer größer. Jeden Tag. Damit das Gehirn dabei nicht überlastet, hat es sogenannte Wahrnehmungsfilter eingebaut. Ihr nehmt nämlich nur bestimmte Dinge bewusst wahr. Eine Mutter hört zum Beispiel im größten Lärm das Weinen ihres Babys – das ist lebenswichtig. Auch Bekanntes nehmt ihr wahr, weil eine persönliche Beziehung zu den Informationen besteht. Was euch bewusst interessiert, bemerkt ihr ebenfalls und ihr nehmt das wahr, was ‚merk‘-würdig ist, also Witziges, Ungewöhnliches oder Übertriebenes.“
Ok, so viel zur Theorie. Aber was bedeutet das für den Alltag eines Schülers? Was kann man mit diesen Infos anfangen? Man kann sich Dinge merken! Ganz einfach und vor allem dauerhaft. Wie das funktioniert, ist kein Geheimnis, sondern eine Methode, die schon die Redner in der Antike drauf hatten. Damit man sie richtig ausüben kann, muss man zuerst ein paar Vorbereitungen treffen: „Geht in Gedanken in euer Zimmer und sucht euch markante Punkte aus. Zum Beispiel den Schrank, das Bett, ein Bild, die Lampe, die Uhr an der Wand usw. Die müsst ihr euch einprägen und zwar in der richtigen Reihenfolge“, beschreibt Jürgen Petersen.
Wenn diese Vorarbeit geleistet ist, kann man an diesen Positionen, nennen wir sie Merk-orte, Dinge in Gedanken ablegen. Am besten verknüpft man etwas Bekanntes und etwas ‚merk‘-würdiges damit: „Wenn wir uns zum Beispiel die zehn größten Städte der EU merken sollen, überlegen wir bei Platz eins, das ist London, was wir mit dieser Stadt verbinden: Den Tower, den Buckingham Palast oder vielleicht die Queen. Damit sich das Bild von ihr in unseren Gedanken einprägt, verknüpfen wir es mit etwas ‚merk‘-würdigem und setzen sie winkend auf den Schrank, den ersten Merkort in unserem Zimmer.“ In dieser Art verfährt man nun auch mit den anderen Städten: Rattenflöhe haben im Mittelalter die Pest übertragen. Eine Ratte steht deshalb für die Pest und die wiederum für Budapest, Platz neun der Rangliste. Auf Platz zehn liegt Warschau. Da könnte man sich Albert Einstein vorstellen, wie er gerade seine Zunge herausstreckt – denn er war schlau! Was sich jetzt vielleicht komisch anhört, funktioniert einwandfrei. Innerhalb eines Schultages haben die Schüler nicht nur die zehn größten Städte der EU gelernt, sondern auch die zehn häufigsten Entenarten, die zehn letzten amerikanischen Präsidenten, die zehn größten Bundeslänger inklusive ihrer Einwohnerzahlen, die chemische Zusammensetzung von Chlorophyll und vor allem die Methode, die ihnen das alles ermöglicht: „Ihr müsst das Gelernte nach einer Stunde wiederholen, dann nach einem Tag, nach einer Woche, nach einem Monat und dann nach einem halben Jahr – ihr werdet das nie wieder vergessen!“ verspricht Jürgen Petersen.
Als amtierender Gedächtnis-Großmeister muss er es ganz genau wissen. Seit vielen Jahren gibt er Seminare zu diesem Thema und erklärt, wie man sich schnell und langfristig Dinge einprägt. Er kann sich so ziemlich alles merken, und zwar als zehn Dinge. In seinem Gedächtnis hat er über 3500 Merkplätze gesammelt. Natürlich ist er auch schön länger dabei und hat sich im Laufe der Zeit immer mehr Plätze zum Ablegen seines Wissens gemerkt: „Wenn man sich zehn Plätze merken kann, kann man auch zwanzig, dreißig oder hundert behalten“, weiß er. Die Schüler zeigen sich ganz schön beeindruckt: „Es ist echt heftig, dass man sich mit diesem System so viel merken kann. Ich weiß zwar noch nicht so genau, wie ich es im Schulalltag anwenden soll, aber ich bin sicher, dass mir da noch etwas einfällt“, staunt Evelyn Grätchen. Ihr Mitschüler Lukas Nielsen hat schon ganz konkrete Vorstellungen: „Das kann ich sicher gut gebrauchen, wenn ich mich auf den Realschulabschluss vorbereite. Danach möchte ich gerne am Fachgymnasium mein Abitur machen und später etwas Kreatives studieren. Um sich die verschiedenen Dinge einzuprägen, sollten wir uns ja Sachen vorstellen, auch Gerüche und Bewegungen – das fällt mir nicht schwer und deshalb ist es für mich sicher eine gute Art zu lernen.“
TEXT Claudia Kleimann-Balke
FOTOS Tim Riediger