MIT WALD UND ARISTOTELES DAS KLIMA RETTEN?

MIT WALD UND ARISTOTELES DAS KLIMA RETTEN?

Die Science Notes brachten fünf renommierte Wissenschaftler vor ein gemischtes Publikum

Schon mehr als eine Stunde vor offiziellem Beginn sammelten sich die ersten Besucher vor den noch verschlossenen Türen der Mathematik-Informatik-Station (MAINS) in Heidelberg an der Kurfürstenanlage nahe dem Hauptbahnhof. Gekommen waren sie für die Science Notes zum Thema Klimawandel. Zum dritten Mal fand diese Veranstaltung in Heidelberg statt und der Besucherandrang war so groß, dass die rund 200 Plätze schnell besetzt waren – und etwa 100 Besucher draußen bleiben mussten. Was aber lockte das Publikum aus Studenten, Wissenschaftlern und Familien an diesem Donnerstag, 6. Februar, in die MAINS?

Science Notes lädt zum Zusammenkommen ein

Die Science Notes sind ein Projekt, das am Institut für Rhetorik der Uni Tübingen entwickelt wurde. Bei den Science Notes geht es darum, wissenschaftliche Konzepte aus dem Elfenbeinturm der Universitäten und Institute der breiten Öffentlichkeit verständlich und spannend nahezubringen. Die Veranstaltungen finden in unterschiedlichen Lokalitäten und in verschiedenen Städten in ganz Deutschland statt. Neben den Veranstaltungen bringen die Science Notes ein gleichnamiges Magazin heraus, das sich in jeder Ausgabe einem thematischen Schwerpunkt widmet. Die aktuelle Ausgabe trägt den Titel „Kommt zusammen”.

Auch darum geht es bei den Science Notes: Klimawissenschaftler treten auf die Bühne und tauschen sich aus – unter anderem auch mit Prof. Olaf Kramer, dem Inhaber von einem der zwei Rhetorik-Lehrstühle Deutschlands. Sie alle waren nach Heidelberg gekommen, um an diesem Donnerstagabend je einen fünfzehnminütigen Vortrag zum Thema Klimawandel zu halten.

Neben den fünf Wissenschaftlern war das Synthesizer-Duo Skinnerbox aus Berlin eingeladen, das für die musikalische Begleitung des Abends sorgte. Nach einigem Warten wurden die rund 200 Besucher in den Saal gelassen, der komplett in pinkes, zur Farbgestaltung der Veranstaltung passendes, Licht getaucht war. Im Hintergrund begleiteten die klaren Beats von Skinnerbox live den hinter die Bühne projizierten Countdown zum Veranstaltungsbeginn. Mit dem Ende des Countdowns verstummte die Musik und Thomas Susanka, Herausgeber und Chefredakteur des Magazins Science Notes, stellte sich auf die nun hell erleuchtete Bühne und leitete humorvoll den Abend ein: „So einige unter Ihnen denken sich vielleicht: So ein paar Grad mehr hier in Heidelberg wären vielleicht auch nicht schlecht“.

Der Klimawandel war das diesjährige Thema der Science Notes.

Jedes Grad zählt

Als erste Rednerin stellte sich Prof. Dr. Sonia Seneviratne von der ETH Zürich auf die Bühne. Die Professorin für Land-Klima-Dynamik setzte mit ihrem Beitrag „Klimaextreme: Warum ein halbes Grad viel ausmacht” den Rahmen für die gesamte Veranstaltung. Mit anschaulichen Analogien über die Grafik „Stürze vom Balkon“ erläuterte sie dem Publikum, warum auch
eine kleine Veränderung der globalen Durchschnittstemperatur mehr Brisanz birgt, als es auf den ersten Blick scheinen mag. Und welche tiefgreifenden Veränderungen nötig seien, um das so häufig zitierte 1,5 -°C-Ziel einzuhalten.

Erst Thomas Susankas Fragen zu ihrer Arbeit am IPCC – dem Weltklimarat der UN – machten diesen Beitrag aber zu mehr als einem Crashkurs in Klimawissenschaften. Seneviratnes Antworten zeigten eindrücklich, was es denn überhaupt heißt, als Klimawissenschaftlerin zu arbeiten. Dr. Felix Creutzig vom Mercator Research Institute on Global Commons and ClimateChange (MCC) in Berlin verstrickte sich in seinem Vortrag „Städtische Lösungen für das Anthropozän“ dann aber für die Laien im Publikum zu sehr in technischen Details bei seinem Versuch, Aufgaben und Hürden der Stadtplanung in einem sich wandelnden Klima zu erklären.

Filmaufnahmen der Reise von Prof. Dr. Alexander Siegmund in die Antarktis, brachten Klimaforschung und Klimawandel in den Horizont der Lebenswirklichkeit des Publikums

Besser verstand Prof. Dr. Alexander Siegmund von der Pädagogischen Hochschule und der Uni Heidelberg, in seinem Vortrag „Globale Prozesse und regionale Folgen des Klimawandels” beides, das Regionale und das Globale, zu verbinden. Durch seine Erläuterungen und die eindrücklichen Filmaufnahmen seiner Reise in die Antarktis, brachte er Klimaforschung und Klimawandel in den Horizont der Lebenswirklichkeit des Publikums. Gerade auch seine regionalen Beispiele von Unwettern und Extremwettereignissen waren beeindruckend – erst recht, wenn man sich vor Augen führt, dass das von ihm angeführte Austrocknen des Flusses Dreisam 2003 in Freiburg im Breisgau sich schon 2018 wiederholt hat.

Damit ging die Veranstaltung auch schon in die Halbzeitpause. Während der Countdown zu Teil 2 ablief, spielten Skinnerbox ihren elektronischen Klangteppich und Scheinwerfer tauchten den Saal in pinkes Licht. Das Publikum nutzte die Gelegenheit, sich die Beine zu vertreten oder neue Getränke zu erstehen.

Der Wald: Retter oder Opfer in der Klimakrise?

Mit Prof. Dr. Michael Rumberg von der Hochschule für Forstwirtschaft Rottenburg ging es nach der Pause stark weiter. Unter dem Titel „Wald im Klimawandel – Retter oder Opfer?” wägte er die Chancen der Waldnutzung, deren Risiken und Problematik für den Klimawandel ab. Der Wald, der einerseits Lösungsansätze für die Klimakrise biete, leide andererseits auch enorm unter den Folgen des Klimawandels, etwa durch Dürreperioden. Er erklärte, wie verschiedene Ansätze der Waldnutzung und -sanierung funktionieren könnten und wie der Wald helfen könnte, das wichtige 1,5-°C-Ziel einzuhalten. Am Ende konstatierte Rumberg, dass der Wald zwar der Retter unseres Wohlergehens im Klimawandel sein könnte, wir aber nicht vergessen dürften, „dass wir auch Täter sind“.

Olaf Kramer, Professor für Rhetorik und Wissenskommunikation an der Universität Tübingen und Herausgeber des Magazin Science Notes, übernahm es dann, den Abend abzurunden. Sein Vortrag „Rhetorik der Klimakommunikation” brachte die weltweite, mediale, politische und wissenschaftliche Aufmerksamkeit auf den Prüfstand aristotelischer Rhetorik. Er zeigte auf, wie Klimaleugner – von Trump bis zur AfD – ihre Thesen verbreiten, welchen Problemen die mediale Öffentlichkeit aufsitze, und dass „Wissenschaftler mehr als nur logischen Verstand, den Logos ansprechen müssen“, um ihre Ergebnisse effektiv zu kommunizieren.

Damit fand die Veranstaltung unter großem Beifall ihr Ende. Die Zuhörer konnten den Vortragenden im lockeren Gespräch persönliche Fragen stellen. Viele nutzten diese Gelegenheit, oder unterhielten sich mit Freunden und Bekannten. Andere machten sich – hoffentlich nicht mit dem eigenen Auto – auf den Weg nach Hause.

 

TEXT/FOTOS Emily Charlotte Wilke