Ministerin für Schule und Berufsbildung: Britta Ernst im Interview

Ministerin für Schule und Berufsbildung: Britta Ernst im Interview

Jan Ole Gravert ist 15 und besucht die 9. Klasse der Gemeinschaftsschule Brunsbüttel. Gemeinsam mit unserem Redakteur Joachim Welding befragte er Bildungsministerin Britta Ernst über MINT, Berufschancen und Flüchtlingskinder.
Auf die Frage, wie viel MINT in ihm steckt, gab er uns die Antwort: „Ich würde sagen, in mir stecken 85 Prozent MINT. Ich bin schon ziemlich technikinteressiert. Bio ist nicht so mein Ding, dafür gefällt mir Chemie ganz gut, vor allem, wenn es um Atome und Moleküle geht. Beruflich würde ich gern was mit Elektronik machen.“

ME2BE: Was passiert mit den Flüchtlingskindern, nachdem sie die Schule beendet haben?
Britta Ernst: Anerkannte Flüchtlinge haben die gleichen Möglichkeiten wie alle anderen Schulabsolventinnen und -absolventen auch. Sie können in eine Ausbildung gehen oder nach dem Abitur ein Studium aufnehmen. Der Aufenthaltsstatus spielt eine große Rolle. In jedem Falle unterliegen sie – solange sie noch nicht volljährig sind – der Berufsschulpflicht und nehmen an den Maßnahmen zur Berufsvorbereitung teil, den Berufseingangsklassen (BEK) oder dem Ausbildung vorbereitendem Jahr (AVJ) an Berufsbildenden Schulen oder den Regionalen Berufsbildungszentren.

Danach greifen viele Angebote zur Berufsvorbereitung. Ganz neu ist das gemeinsame Programm von Bundesagentur und Wirtschaftsministerium „Begleiteter Übergang für Flüchtlinge in Arbeit und Ausbildung – BÜFAA“. Dieses richtet sich gezielt an junge Flüchtlinge und soll ihnen den Weg in eine Ausbildung oder in den Arbeitsmarkt öffnen.

Sind technische Berufe in Zukunft stärker gefragt als andere Berufe?
Im naturwissenschaftlichen Bereich gibt es viele attraktive Berufsangebote. Bundesweit sind mehr als 20 Prozent der ungefähr 6,5 Millionen Beschäftigten im so genannten MINT-Bereich – das heißt Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik –
 tätig. Im Zuge der fortschreitenden Technologisierung der Gesellschaft ist der Bedarf an qualifizierten Arbeitskräften hoch – und er wird hoch bleiben. Aktuell haben wir eine Lücke von mehr als 160.000 Beschäftigten im MINT-Bereich. Das gilt für die  Ausbildungsberufe, die Meister- und Technikerstellen und auch für die akademischen Zweige. Wer hier eine Ausbildung macht, hat gute Chancen.

Wir haben bei uns vor Ort das Kernkraftwerk Brunsbüttel. Lohnt sich angesichts der Energiewende noch eine technische Ausbildung für ein AKW?
Energieingenieurinnen und -ingenieure sowie Fachkräfte für Klima- und Wärmetechnik sind gefragte Fachleute mit guter beruflicher Perspektive. Das Ausbildungsprofil ist viel breiter als es ein bestimmter Arbeitsplatz zeigt.

Welche Ausbildung ist am geeignetsten, wenn man Politiker/in werden möchte?
Die meisten engagieren sich ehrenamtlich oder neben ihrer Berufstätigkeit für Politik – das wird häufig gar nicht gesehen. Unsere Gesellschaft funktioniert nur, wenn sich ein Teil so engagiert. Berufspolitikerin und Berufspolitiker sind nur wenige und auch fast nie für das ganze Leben. Dem Einstieg in die Berufspolitik geht aber fast immer ein langjähriges ehrenamtliches Engagement voraus. Dabei findet man auch heraus, ob man nur noch Politik machen möchte. Auf jeden Fall braucht man unabhängig von einem politischen Amt eine Ausbildung – auch um immer unabhängig zu bleiben.

Warum interessieren sich auch heute noch weniger Mädchen als Jungen für eine MINT-Ausbildung? Wie könnte man sie evtl. schon in der Schule begeistern?
Man hat lange geglaubt, Jungen interessierten sich mehr als Mädchen für Naturwissenschaften. Das schlug sich auch auf Erziehung, und Unterricht nieder. Heute steuern wir im Unterricht längst gegen, aber es gibt immer noch weniger weibliche Rollenvorbilder im MINT-Bereich, an denen Mädchen sich orientieren können. Und das Vorurteil, Mädchen interessierten sich weniger für naturwissenschaftlich-technische Phänomene, ist auch noch nicht ganz weg. Mittlerweile gibt es aber bundesweit und auch in Schleswig-Holstein viele Projekte, die das Interesse von Mädchen für den MINT-Bereich wecken: Das Projekt ‚Roberta – Lernen mit Robotern‘ zum Beispiel und herausragende Schulen, die im MINT-Bereich besondere Schwerpunkte setzen und auch ein besonderes Augenmerk auf die Förderung von Mädchen in diesem Bereich legen – übrigens auch die Gemeinschaftsschule Brunsbüttel, die als „MINT-Schule SH“ für ihre hervorragende Arbeit im MINT-Bereich ausgezeichnet wurde.

Viele Frauen fühlen sich in den männerdominierten MINT-Berufen ungerecht behandelt, denn immer noch verdienen sie deutlich weniger Geld als Männer. Wie kann man ein Umdenken in den Personalabteilungen erreichen?
Frauen müssen sich für Ihre Interessen einsetzen. Gut ist es natürlich, wenn mehr Frauen in Führungspositionen sind. Das seit diesem Jahr geltende Gesetz für eine Geschlechterquote für Aufsichtsräte in börsennotierten Unternehmen ist ein wichtiger Schritt dahin. Einige Unternehmen haben verstanden, dass sie mehr weibliche Beschäftigte brauchen. Wenn die ungleiche Bezahlung nicht aufhört, bin ich für ein weiteres Gesetz.

Was macht die Landesregierung, um mehr Frauen für MINT-Berufe zu gewinnen?

Es gibt zum Beispiel in jedem Jahr den Girls‘ Day, bei dem Schülerinnen ab der 5. Klasse für einen Tag in naturwissenschaftlich-technische Berufe hineinschnuppern können. Viele Schulen in Schleswig-Holstein machen mit, und das finde ich sehr gut. Das Bildungsministerium hat viele Projekte für Mädchen, die sich für Naturwissenschaften interessieren. Roberta habe ich bereits erwähnt, auch das Projekt LüttIng ist ein gutes Beispiel, das sind Technik-Akademien für Schülerinnen und Schüler. Dabei kooperieren Schulen, Hochschulen und Unternehmen, um technische Produkte zu planen, zu gestalten und herzustellen.

Sehr geehrte Frau Ernst, wir danken Ihnen für die Antworten. 

FOTOS Land Schleswig-Holstein, Michael Ruff