Kulturprojekt mit Schülern

Kulturprojekt mit Schülern

Raus aus der Schule, rein in den Kulturbetrieb! Siebzehn Schülerinnen und Schüler der 7. Klasse der Gemeinschaftsschule Ferdinand-Tönnies in Husum verlassen für einen Tag und drei Vormittage die Unterrichtsräume, um mit Küstenschutzexperten, einer Museumspädagogin und der Filmemacherin und Kulturvermittlerin Martina Fluck von „Schule trifft Kultur – Kultur trifft Schule“ die großen Sturmfluten an Schleswig-Holsteins Nordseeküste kreativ aufzuarbeiten. Wir sprechen mit Martina Fluck über die Relevanz kultureller Bildung für junge Menschen außerhalb des regulären Schulbetriebs.

Frau Fluck, gemeinsam mit der museumspädagogischen Abteilung des Nordfriesland Museums und der Ferdinand-­Tönnies-Schule haben Sie das Projekt ,Gewaltig! Nordsee – vom Umgang mit Naturkatastrophen‘ ins Leben gerufen. Wie kam es zu der Idee?

Ursprünglich war im Nordfriesland Museum Nissenhaus in Husum eine Ausstellung mit dem Titel ,Gewaltige Nordsee‘ geplant. Ziel war, dass die Schüler in der Ausstellung für ein eigenes künstlerisches Projekt recherchieren. Da die Ausstellung coronabedingt leider ausfallen musste, haben wir zwei ehemalige Mitarbeiter vom Küstenschutz angefragt, mit den Jugendlichen einen Spaziergang zu den Sturmflutstätten durch Husum zu machen. Das Wissen, das sie sich bei dieser Führung angeeignet haben, diente anschließend als Grundlage für eigene kreative Projekte rund um das Thema Sturmflut.

Gab es Kriterien oder Vorgaben für die Projektarbeit der Schüler?

Wir haben den Jugendlichen keinerlei Vorgaben gemacht. Sie durften sich kreativ austoben und eigene Ideen entwickeln. Wir waren sehr positiv überrascht, mit wie viel Begeisterung und Konzentration die Jugendlichen ihre Projekte entwickelten und ganz fantastische Ergebnisse hervorbrachten: Es gab Schüler, die eine Zukunftsvision mit ihren beliebtesten Comic-Helden entwarfen. Ein Schüler erarbeitete ein ganz detailversessenes Modell. Eine Gruppe entschloss sich dazu, einen Film zu drehen. Beeindruckt hat mich auch, wie die Schülerinnen und Schüler dafür ganz selbstverständlich ihr Handy einsetzten. Durch die kreative und vielseitige Auseinandersetzung mit dem Thema ist es uns gelungen, eine Brücke von der historischen Sturmflut 1976 in die Jetztzeit zu schlagen und auch Schüler für das Thema zu begeistern, die im klassischen Schulunterricht wahrscheinlich längst abgeschaltet hätten.

Was können Schüler bei solch einem außerunterrichtlichen Projekt für ihre berufliche Zukunft lernen?

Sie haben durch das Projekt das Museum als Kulturstätte und einen Ort, in dem sie selbst aktiv werden können, kennengelernt. Zudem konnten sie durch die kreative Umsetzung ihrer Projekte in unterschiedliche Berufe wie etwa Tontechniker und Kameramann hineingeschnuppert. In unserer Feedback-Runde hoben viele Schüler sehr positiv hervor, wie spannend es für sie gewesen sei zu erfahren, wie sich Husum durch die Sturmflut verändert hat und wie der Hafen durch die Mahntränken entstanden ist.

Warum ist es so wichtig, dass Jugendliche sich nicht nur theoretisch, sondern auch praktisch mit kulturellen Themen beschäftigen?

Durch die kreative Arbeit, in der sie selbst Ideen entwickeln, sich mit einem Thema auseinandersetzen und anschließend ein Ergebnis präsentieren können, wecken wir bei den Jugendlichen echtes Interesse, und sie können sich die gesammelten Informationen viel besser merken. Die Schüler entscheiden selbst, wie weit sie sich auf ihr Projekt einlassen und engagieren.

Was passiert mit den Kunstwerken, die während des Projekts entstanden sind?

Wenn die Ausstellung 2021 eröffnet wird, werden die kreativen Arbeiten in einem Begleitprogramm für die beteiligten Schüler und Eltern gezeigt.

Sie arbeiten bereits seit fünf Jahren in der Kulturvermittlung. Warum ist es Ihnen so wichtig, dass gerade junge Menschen sich mit Kultur auseinandersetzen?

Kultur ist für mich wie ein Lebensmittel, ein wichtiger und fundamentaler Bestandteil unseres Seins. Und ich glaube, dass Kinder das besser erkennen und annehmen, wenn sie Kunst nicht nur im benoteten System der Schule erfahren. Mir ist aufgefallen, dass Kinder und Jugendliche sich in außerunterrichtlichen Projekten anders verhalten. Gerade denjenigen, die in der Schule auffällig oder schwer zu erreichen sind, bieten solche Projekte eine Chance: Ich erinnere mich an ein reines Mädchenprojekt, in dem sich deutsche und Schüler mit Migrationshintergrund ihre Heimat vorgestellt haben. Ein syrisches Mädchen, das seit zwei Jahren in der Schule kaum mit ihren Mitschülern sprach, blühte regelrecht auf. Solche kleinen Wunder geschehen bei jedem Projekt, das ist keine Ausnahme: Auf einmal treten Begabungen hervor, die im ,normalen‘ Unterricht meist unbemerkt bleiben, und das verändert langfristig die Beziehungen der Kinder untereinander. Sie entdecken Stärken bei ihren Mitschülern, die sie vorher gar nicht wahrgenommen haben.

Kultur hat es derzeit schwer. Warum brauchen Menschen die Kultur?

Um sich innerlich zu entwickeln und den Blickwinkel zu erweitern. Kreativität ist erforderlich, um persönliche Visionen zu schaffen, über den eigenen Lebenshorizont hinauszublicken und so zu erkennen, dass da noch eine ganze andere Welt zu entdecken ist.

Wie lange könnten Sie ohne Kultur auskommen?

Gar nicht (lacht). Mir fällt die Schließung von Theatern, Ausstellungen, Kinos sehr schwer. Ich möchte Kultur im kulturellen Raum genießen. Zu Hause vor dem Laptop zu sitzen und Kultur zu konsumieren, ist einfach nicht das Gleiche. Für mich ist Kultur immer ein gemeinschaftlicher Prozess.

Hier geht es zum Schülerfilm

 

TEXT Sophie Blady
FOTOS privat