Zwischen Mensch und Arbeit
Flensburg beheimatet Deutschlands nördlichste Universität, die nördlichste Fachhochschule, die nördlichste Brauerei, den nördlichsten Profi-Handballverein und … die nördlichste Dienststelle der Agentur für Arbeit. In deren Zuständigkeit arbeiten zurzeit rund 157.000 sozialversicherungspflichtig beschäftigte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Permanent treten junge Arbeitskräfte in den Arbeitsmarkt ein, während ältere Leute denselben in Richtung Ruhestand verlassen. Die staatliche Arbeitsagentur gleicht einem Bahnhof: Es herrscht ein ständiges Kommen und Gehen. Im Gespräch mit ME2BE-Redakteur Chris spricht Pressesprecher Christian Groborsch über Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft der Arbeit und verrät, was er heute anders machen würde, wenn er noch mal Schüler wäre.
ME2BE: Moin, Herr Groborsch. Wissen Sie eigentlich, dass wir Kollegen sind? Wir von ME2BE verstehen uns – ähnlich wie die Agentur für Arbeit – als Vermittler zwischen Schule und Wirtschaft und kommunizieren täglich mit Schülerinnen und Schülern, Azubis und Studierenden, Ausbildern, Profs, Eltern und Lehrern. Empfinden Sie uns eigentlich als Konkurrenz?
Groborsch: Überhaupt nicht. Die Agentur für Arbeit verfolgt das Ziel, Menschen in Ausbildung und Arbeit zu bringen, optimal über individuelle Möglichkeiten auf dem Arbeitsmarkt zu informieren, und versteht die Informationsangebote von ME2BE nicht als Konkurrenz, sondern als wertvolle Unterstützung.
Christian Groborsch berichtet ganz offen: Die Agentur für Arbeit steht ein Leben lang begleitend zur Seite.
Wir treffen Sie und Ihre Arbeitsvermittlerinnen und -vermittler in den Schulen und auf Berufsorientierungsmessen. Wie beurteilen Sie das Thema Berufsorientierung? Was sind Ihre Beobachtungen?
Zwei Dinge stelle ich fest:
1.) Sowohl die Möglichkeiten auf dem Arbeitsmarkt als auch die Angebote zur Berufsorientierung haben sich im Verlauf der letzten vierzig Jahre grundlegend verändert.
2.) Schülerinnen und Schüler, auch mein eigener Sohn, stolpern heute oft genauso blauäugig ins Berufsleben wie ich damals. Daraus resultiert, dass sich junge Menschen grundsätzlich zu wenig mit ihrer beruflichen Zukunft beschäftigen. Dabei ist die Situation für Jugendliche heute beinahe ideal. Zu meiner Schulzeit konnten sich Betriebe die besten Auszubildenden aussuchen. Heute ist es umgekehrt. Schulabgänger haben die freie Auswahl an Ausbildungsplätzen. Aufgrund der hohen Durchlässigkeit des Bildungssystems können Schüler theoretisch sogar ohne anfänglichen Schulabschluss studieren. Mein Tipp für junge Leute lautet daher: Beschäftigt euch rechtzeitig mit euren Möglichkeiten auf dem Arbeitsmarkt und euren Neigungen. Jedes Jahr gibt es sechs Wochen Sommerferien. Genug Zeit, um einige Tage mit freiwilligen Praktika zu verbringen.
Aufgrund der hohen Durchlässigkeit des Bildungssystems können Schüler theoretisch sogar ohne anfänglichen Schulabschluss studieren. – Christian Groborsch
Wie haben Sie persönlich den Weg ins Berufsleben gefunden?
Mein Weg verlief nicht straight, sondern kurvenartig. Ich verließ nach der 9. Klasse meine Schule in Nordrhein-Westfalen mit dem Hauptschulabschluss und wusste nur eines: Ich wollte gern körperlich arbeiten, aber auf keinen Fall in der Gärtnerei meiner Eltern! Deshalb entschied ich mich für eine Ausbildung zum Maurer. Ich finde heute noch, dass es ein toller Beruf mit guten Perspektiven ist und wünsche mir generell viel mehr Interesse am Handwerk. Nach der Lehre arbeitete ich einige Jahre als Geselle, bis mich die Bundeswehr nach Schleswig beorderte. Großartig! Ich wollte sowieso immer in den Norden ziehen. Das Maurerhandwerk konnte ich dort leider nicht ausüben, deshalb nutzte ich die Fortbildungsmaßnahmen und erwarb unter anderem den Titel des Straßenbaumeisters.
Nach Ende meiner Dienstzeit tauschte ich endgültig die Kelle gegen den Stift, absolvierte an der Abendschule meine Fachhochschulreife und legte anschließend die Prüfung zum staatlich geprüften Bautechniker ab. Es folgte eine spannende Zeit als Vertriebsmanager und Organisationsleiter für ein Franchiseunternehmen in der Bauwirtschaft, ehe ich zur Agentur für Arbeit in Flensburg als Arbeitsvermittler im Arbeitgeberservice wechselte. Eine Neuorientierung ermöglichte mir vor drei Jahren das Amt des Pressesprechers zu übernehmen. Und diese Arbeit gefällt mir so gut, dass ich mir nichts Besseres vorstellen kann!
Wie haben Sie die Ausbildungszeit erlebt?
Ich erinnere mich noch genau an die ersten drei Monate. Am ersten Tag drückte man mir einen Zimmermannshammer in die Hand und trug mir auf, alle Nägel aus einem riesigen Berg Bretter herauszuziehen.
Ich hab die Faxen dicke! – Christian Groborsch
Nach ein paar Wochen ging ich zu meinem Meister und sagte: „Ich hab die Faxen dicke! Ich möchte Maurer werden und nicht Zimmerer.“ Daraufhin erhielt ich eine Kelle, Steine und Zement und konnte endlich anfangen zu mauern. Das war klasse. Draußen zu arbeiten lag mir – natürlich lieber bei Sonnenschein als bei Sturm und Kälte. Ich war körperlich fit, brauchte nie ins Fitnessstudio, war braun gebrannt und verdiente schon damals richtig gutes Geld! Und das ist übrigens heute noch so! Verändert haben sich die Dinge nur zum Positiven: Im modernen Handwerk muss niemand mehr 50 Kilo schwere Zementsäcke tragen oder stundenlang Steine schlagen. Es ist Aufgabe der Agentur für Arbeit, Menschen in Arbeit zu vermitteln.
Muss es deshalb nicht ihr Ziel sein, sich irgendwann selbst abzuschaffen?
Solange wir ein Sozialversicherungssystem haben, wird das nicht passieren. Wir schaffen uns nicht ab, sondern passen uns an. Das große Thema heißt: ‚Lebenslange Berufsbegleitung‘. Bürgerinnen und Bürger können ein Leben lang von uns beruflich betreut werden. Deshalb halten wir auch Schritt mit der Digitalisierung und bauen unseren e-Service aus. Schon heute können sich Arbeitsuchende elektronisch mit uns in Verbindung setzen und digital kommunizieren, sich online einloggen oder ihr Onlineprofil selbst pflegen.
Danke, Herr Groborsch, zum Schluss noch eine persönliche Frage. Angenommen, Sie wären noch einmal 15 Jahre alt. Würden Sie mit Ihrem heutigen Wissen andere Berufsentscheidungen treffen?
Gute Frage. Vor allem würde ich sofort meine schulischen Leistungen verbessern. Im Nachhinein hätte ich mir mit besseren Noten mein Weiterkommen erleichtern und viel Zeit sparen können!
TEXT Christian Dorbandt
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