Berufsmessen, Bewerbungstraining, Praktika und dann ab in die Ausbildung? Was für viele ganz normal ist, ist für andere eine große Herausforderung. Sie brauchen mehr Zeit, mehr Orientierung und mehr Hilfe. Die Gudewerdt-Gemeinschaftsschule setzt nicht nur auf eine vielseitige Berufsorientierung, sondern auch auf eine Übergangsphase in den Flexklassen.
Bedarfsgerechte Förderung ist manchmal ein schwieriger Spagat, den Gemeinschaftsschulen meistern müssen, um ihren Schützlingen bestmöglich zur Seite zu stehen. Eine Mathe-AG für Begabte oder eine Hausaufgabenhilfe für Förderbedürftige ist dann oftmals nicht ausreichend, um allen gerecht zu werden.
An der Gudewerdt-Gemeinschaftsschule in Eckernförde möchte man daher ein breitgefächertes Angebot bieten, von dem alle Schüler und Schülerinnen der Klassen 5 bis 10 profitieren. Dazu gehören Maßnahmen bei Legasthenie, eine Begabungsförderung und Nachmittagsangebote mit einem bunten Mix an Sport,- Musik- sowie Kreativkursen. Darüber hinaus gibt es die Möglichkeit, in Profilklassen seinen Interessen im Kunst, Sport oder MINT-Bereich zu folgen – inklusive Ausflügen zu Museen, Wettkampfteilnahmen und vielen anderen Aktivitäten.
Berufsorientierung ist nicht nur Sache der Schule
Und natürlich darf eines nicht fehlen: die Berufsorientierung. „Sie startet in der 7. Klasse“, erzählt BO-Lehrer Karsten Stühmer. Ab diesem Zeitpunkt durchlaufen die Kinder bis zum Schulabschluss ein vielseitiges Programm. „Wir haben Kooperationen mit Betrieben, die Firmenführungen veranstalten oder in die Schule kommen, um zu erzählen, worauf es bei einer Bewerbung ankommt. Es ist immer besser, wenn das von Menschen gemacht wird, die auch direkt aus der Branche kommen. Ansonsten würden die Schüler das Thema nur theoretisch in der Klasse durcharbeiten“, so Stühmer. Und er weiß, wovon er redet, denn eigentlich ist er gelernter Industriemechaniker. Außerdem war er eine Zeitlang selbständig und sogar Geschäftsführer eines landwirtschaftlichen Betriebes. Da er aber immer gerne mit Jugendlichen gearbeitet hat, entschied er sich vor einigen Jahren dazu, Lehrer zu werden. Seine Erfahrungen bringt er gerne im Unterricht ein, und auch seine Beziehungen zu den Firmen sind für Kooperationen hilfreich.
Dass nun viele Veranstaltungen durch Corona abgesagt werden mussten, bedauert er sehr. Dafür habe man über neue Aspekte der Berufsorientierung nachgedacht. ‚Was macht man eigentlich mit den Eltern?’, lautete eine Frage. Karsten Stühmer erzählt, dass es bereits in der 7. Klasse bei Elternabenden die ersten Anlaufversuche gibt, um Eltern intensiver einzubinden. Deshalb waren sie auch dazu eingeladen, ihre Kinder beim Stärkeparkour in Rendsburg zu begleiten, bei dem die Schüler und Schülerinnen ihre eigenen Stärken erforscht haben.
Eltern haben nicht immer Zeit
Doch das Einbeziehen der Eltern sei nicht immer einfach, so Stühmer. Nicht jeder habe die Zeit, in der Woche nach Rendsburg zu fahren oder an Elternabenden teilzunehmen. „Aber wir wollen ihnen bewusst machen, dass auch sie verantwortlich sind bei der Berufswahl ihrer Kinder. Es ist auch wichtig, dass sie wissen, wo deren Interessen liegen.“
Das ist aber nicht nur wichtig für die Eltern, sondern auch für die Schüler und Schülerinnen. Daher wird in der 8. Klasse eine Potenzialanalyse in Zusammenarbeit mit einem Eckernförder Unternehmen durchgeführt. Hier erhalten sie Einblicke in die Bereiche Produktion, Sekretariat und Pflege. „Ziel ist es herauszufinden, ob ihnen eher der handwerkliche Bereich gefällt oder sie lieber mal in einem Büro arbeiten möchten“, so Stühmer. „Ich glaube, für die Schüler ist das eine sehr gute Erfahrung, weil sie dadurch lernen, was ihnen liegt. Im besten Fall können sie die Suche nach einer Ausbildung eingrenzen.“
Flexklassen ermöglichen neue Perspektiven
„Natürlich fehlen im Berufsorientierungsprogramm auch nicht die klassischen Praktika in der 8. und 9. Klasse, um in einen Beruf etwas intensiver reinzuschnuppern. Auch hier bietet die Schule individuelle Förderung an: Wer zum Erreichen des ersten allgemeinen Schulabschlusses mehr Zeit benötigt, kann nach der 7.Klasse in eine Flexklasse wechseln. Hier können die Jugendlichen die Jahrgangsstufen 8 und 9 in einer sich über drei Schuljahre erstreckenden flexiblen Übergangsphase durchlaufen. Das Besondere daran ist nicht nur, dass sie mehr Zeit zum Lernen bekommen, sondern sich durch die vielen Praktika beruflich besser orientieren können.
Die 14-tägigen Praktika finden bis zu viermal im Jahr statt. Außerdem sind die Schüler und Schülerinnen auch in der Woche über einen längeren Zeitraum regelmäßig in einem Betrieb eingebunden. „Die festen Praktikumstage geben ihnen über drei oder sechs Monate einen Einblick darüber, wie es in einem Betrieb zugeht. Sie bekommen viel von den Abläufen mit und verstehen, worauf es im Beruf wirklich ankommt.“
Die Praktikumsstellen suchen sich die Schüler und Schülerinnen der Flexklassen allein. Ihnen steht jedoch immer jemand zur Seite. Es gibt einen Coach, der ihnen zur Seite steht. Er hält die Verbindung zu den Betrieben, besucht die Praktikanten bei der Arbeit und gibt Tipps, wenn es mal nicht so gut läuft. Gerade längere Praktikumsphasen führen oft sogar zum Abschluss von Ausbildungsverträgen.
Niemand geht verloren
„Die Flexklassen kann man aber auch jederzeit verlassen“, erklärt Stühmer. Häufig sei das noch nicht vorgekommen, denn die Schüler und Schülerinnen werden nicht gezwungen, an dem Programm teilzunehmen, sondern müssen sich dafür bewerben. Gemeinsam mit der Schule wird dann entschieden, ob dieser Weg der richtige ist.
„Wir wollen, dass sie diese Klasse als Chance begreifen. Es ist keine Bestrafung, wenn man in diesem System ist.“
Für ihn sind Flexklassen ein Erfolgsmodell. Sie verhindern, dass die Jugendlichen im System verloren gehen. Die meisten fänden nach der Schule eine Ausbildung oder wüssten zumindest ziemlich genau, wohin sie ihr Weg führen soll. Das bestätigen Stühmer auch die vielen positiven Rückmeldungen der Jugendlichen sowie die Stimmen aus den Betrieben.
Und was wünscht er sich für die Zukunft? „Es wäre schön, wenn Berufsorientierung ein eigenes Fach wäre. Bisher ist es immer nur ein Thema, das sich in allen Fächern wiederfindet. Das macht eine wirksame Berufsorientierung schwierig.“ Ein paar neue Ideen für kommende Veranstaltungen hat er auch schon im Kopf – aber: „Die sind noch nicht spruchreif“.
Text: Juliane Urban
Foto: Juliane Urban