Ganz oben in Schleswig-Holstein, 3,8 Kilometer entfernt von der Grenze zum EU-Nachbarn Dänemark, lernen und forschen rund 5.700 Studierende an der nördlichsten Uni Deutschlands, der Europa-Universität Flensburg (EUF). Mit der Ausrufung zur „Europa-Universität“ im Jahr 2014 wurde neben den bildungswissenschaftlichen Studiengängen zur Ausbildung von Lehrerinnen und Lehrern ein weiterer Schwerpunkt definiert: International und interdisziplinär ausgerichtete Studiengänge mit dem Anspruch, eine Generation auszubilden, die Europa versteht, lebt und aktiv fortentwickelt. Volltreffer! Studieren im Kontext europäischer Werte und Kultur – das trifft das Lebensgefühl junger Menschen aus dem In- und Ausland!
Komplexe EU-Bürokratie, wachsende EU-Skepsis, aufkeimender Nationalismus – es gibt gute Gründe, akademische Ausbildung im Kontext europäischer Werte und Kultur zu betreiben. Aber was genau bedeutet das? Wie viel Europa steckt in den Studiengängen der Europa-Universität Flensburg? Und welche Perspektiven eröffnen sich? ME2BE Campus hat sich auf dem Sandberg-Campus umgeschaut, Studierende, Professorinnen, Professoren, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter befragt und erstaunlich viel ‚Europa‘ entdeckt.
Interdisziplinäre Studiengänge im europäischen Kontext
Professor Dr. Peter Heering leitet die Abteilung Physik und ihre Didaktik und Geschichte an der EUF. Lässt sich Physik im europäischen Kontext vermitteln? „Selbstverständlich“, erläutert er, „unsere Absolventinnen und Absolventen sollen später Schülerinnen und Schülern kompetent vermitteln, dass physikalische Bildung auch kulturelle Bildung bedeutet und keine bloße Anordnung von Fakten. Es waren europäische Naturwissenschaftler, die den Menschen aus dem Zentrum des Universums rückten, sodass sich die heliozentrische Weltsicht durchsetzen konnte. Eine fundamentale Erkenntnis, die unsere Kultur bis heute prägt!“
Philosophie-Professorin Dr. Anne Reichold leitet den noch jungen Studiengang European Cultures and Society, der sich bereits großer Beliebtheit erfreut. „Freie Grenzen, Bewegungsspielräume, internationaler Austausch – diese Aspekte prägen die Umwelt junger Leute. Momentan erleben wir eine wachsende Sensibilität dafür, was europäische Werte sind, zum Beispiel Solidarität und Gleichheit. Die aktuellen europäischen Entwicklungen werfen viele Fragen auf, die von kompetenten Europafachleuten beantwortet werden müssen. Unser Studiengang bietet eine fokussierte Methodenausbildung, entweder in kulturwissenschaftlichen oder sozialwissenschaftlichen Methoden, mit den Schwerpunkten Journalism, Art and Scenoraphy, Entrepreneurship und Research.“
Dem Thema Erziehungswissenschaft widmet sich der Masterstudiengang Erziehungswissenschaft: Bildung in Europa – Education in Europe unter der Leitung von Prof. Dr. Beatrix Niemeyer. „Von der Volkshochschulbildung bis zur Jugendverbandsarbeit – wir beschäftigen uns mit außerschulischen Bildungsprozessen in internationalen Dimensionen und üben den kritischen Blick auf soziale Verhältnisse. Wie entsteht europäische Bildungspolitik? Auf welche Art und Weise sind regionale Bildungssettings von Europa beeinflusst? Mit dem Studiengang haben wir wissenschaftliches Neuland betreten, das auf ein wachsendes Interesse stößt.“
Campus-Uni mit ausgeprägter Willkommenskultur
Die Europa-Universität Flensburg ist eine kleine Universität mit großer Ausstrahlung! Wer den Campus betritt, wird schnell die besondere Willkommenskultur erleben und sich herzlich eingeladen fühlen, zu bleiben und mitzustudieren. Keine Scharen Studierender, deren Gesichter sich niemand merken kann. Niemand muss Nummern ziehen. Anonymität ist ein Fremdwort. In Flensburg kennt man sich. Vom ersten Tag an gibt es eine intensive Betreuung, zum Beispiel durch die Campusengel und das International Center. Dort kümmert sich das Team von Lucila Morales de Mittag, Koordinatorin für Austauschstudierende (Incomings) und internationale Studierende, rund um die Uhr um die studentischen Belange. Internationale Erfahrung bringt die gebürtige Venezuelanerin aus ihrer Studienzeit an den Universitäten von Boston, Miami und Hawaii mit.
„Im International Center kümmern wir uns intensiv um unsere Incomings und Outgoings“, berichtet sie, „also um alle Studierenden, die aus dem Ausland zu uns kommen oder von hier aus ein Semester im Ausland absolvieren möchten. Momentan betreuen wir Studierende sowohl aus Europa als auch aus vielen anderen Ländern, wie z.B. Südkorea, Kolumbien, USA oder Mexiko. Wir holen sie bei Bedarf vom Flughafen Hamburg ab, vermitteln ihnen Unterkünfte, bieten Orientierungsveranstaltungen an, führen Ausflüge durch und stehen ihnen bei der Erledigung von Formalitäten zur Seite. Am Infopoint beantworten wir die Fragen von allen Studierenden. Einen besonderen Service bieten unsere studentischen Campusengel, die sich von Ende August bis Anfang November intensiv um die Erstsemester-Studierenden kümmern. Dieses Team von deutschen und internationalen Studierenden spricht fließend Englisch und zahlreiche andere Fremdsprachen und gibt Auskunft zur Immatrikulation und zum Campus, zu Veranstaltungsräumen, Einstufungstests, Sprachkursen, Wohnraum, Krankenversicherung, Kinderbetreuung und Freizeitangeboten.“
Wie gut es sich anfühlt, willkommen zu sein, erzählen uns Gustavo aus Kolumbien und Vladyslava aus der Ukraine. „I got excellent support from the International Center and Lucilla’s team“, meint der 30-jährige Gustavo aus Cali. „We communicated in English right from the start, and as a Spanish speaker I was happy to notice that that language is also spoken here. I really like Europa-Universität Flensburg and the international, open minded atmosphere on campus. I’m learning so much from the teachers and the other students. I feel that my courses in the European Studies program are giving me a better understanding of the world, and inspiring me to help shape it!“
Vladyslava ist gebürtige Ukrainerin, studiert Media Culture im polnischen Breslau und absolviert ein Auslandssemester an der EUF. Originally I come from central Ukraine, where most people want to develop closer ties to Europe and the EU. That’s definitely true for me. My motivation in coming here was to immerse myself in European culture and get a better understanding of the EU…. that, and the desire to meet new people and learn German. It turns out that EUF is a great place for this! It’s been very easy to make new friends here, and my English and German skills are improving every day. Plus, the International Center here is perfectly organized. It’s really amazing—everything has gone through so quickly. By comparison, some friends of mine who applied to other universities for study abroad are still waiting for an answer. I think experiences like the ones I’ve had here during my semester abroad help to crush stereotypes. In my opinion, regular international exchange is really important!”
Weltoffene Studierende, die Europa als Chance begreifen
Im Helsinki-Gebäude treffen wir auf Lasse und Tuuli aus dem dritten Semester des englischsprachigen Bachelor-Studiengangs European Cultures and Society. „Excuse me, could you please tell us something about you and your studies here at EUF?
„Yes, sure. Come in, please. My name is Tuuli Heimonen. I‘m 20 years old and I come from Tampere in Finland. After finishing high school I asked myself: if you’re interested in international cultures and society, wouldn’t it be good to study abroad? Looking into the available options quickly led me to EUF’s European Cultures and Society program. It sounded interesting, was offered in English, and there are no tuition fees. It turned out to be a great decision. I really like the teachers and topics, for example in European economics, something I’m learning a lot about. It’s amazing how many social, political and cultural processes are connected to each other. Later on, I could imagine working for an international institution—maybe at an embassy or trading organisation.“
„Hey, my name is Lasse Funck from Lüneburg. After high school I went to Romania and worked for a social project. This encouraged me to learn more about Europe and so I decided to apply to the EUF. Honestly, my expectations have been totally met here! We’re learning so much about the structures and dynamics of European society, and we try to discuss all topics from an interdisciplinary perspective. Plus, having so many interesting and international people around, helps me to understand the value of our cultural differences and similarities.“
Ortswechsel. Universitätsgebäude ‚Dublin‘. 300 Meter westlich auf dem Campusgelände. Hier studiert Gerhard Sells den englischsprachigen Masterstudiengang European Studies. Seinen Bachelorgrad erwarb der gebürtige US-Amerikaner aus Alaska an der University of Alaska Anchorage (UAA) im Studiengang ‚International Relations‘. Auf unsere Fragen antwortet der 24-jährige in akzentfreiem Deutsch: „Ich komme aus Alaska und habe eine deutschstämmige Mutter. Für Europa habe ich mich deshalb schon immer interessiert. Das Studium an der Europa-Universität Flensburg war die perfekte Wahl, denn es ist breit aufgestellt und bietet eine gute Kombination aus law, politics, economy and sociology. Vor allem: In meinem Semester sind Studierende aus aller Welt. Mit vielen bin ich mittlerweile befreundet. In unseren Diskussionen werden ständig unterschiedliche Perspektiven sichtbar und daraus resultiert ein großer Lerneffekt. Sehr spannend! Mit der EU verbinde ich (persönlich) die Hoffnung, dass Staaten lernen zusammenzuarbeiten, um die Welt menschlicher zu gestalten. Wir können nach diesem Studium unseren Teil dazu beitragen!“
Europa und Flensburg. Sprachen, Minderheitenschutz, Austausch, Pluralität … In der Hafenstadt Flensburg ist Europa permanent spürbar! Ebenso an der EUF. Dort auf dem Campus weht die Europaflagge. Die Universitätsgebäude sind nach europäischen Hauptstädten benannt. Keine bemühte Symbolik, sondern ein Statement! In den Begegnungen mit den Menschen, die hier lernen, lehren, arbeiten und forschen, erleben wir spannende, europäische Momente. Wir lernen Menschen kennen, die Europa als Chance begreifen. Sie alle wollen aktiv sein, wissen, verstehen und vermitteln. An der EUF sind sie willkommen.
TEXT Christian Dorbandt
FOTOS Eric Genzken