Ulrike Gronau, Berufsberaterin der Agentur für Arbeit, berichtet in unserem Interview von ihren Eindrücken der engen Zusammenarbeit mit der Schule, von der Herausforderung der heutigen Jugend und über die bedeutende Rolle der Eltern im Entscheidungsfindungsprozess. Außerdem gewährt sie Einblicke in ihre persönliche Motivation und gibt wichtige Ratschläge für die Berufsorientierung. Ein Blick hinter die Kulissen einer wichtigen Institution für die Zukunft der Fachkräfte von morgen.
Welche Rolle nimmt die Agentur für Arbeit bei der beruflichen Orientierung junger Menschen ein?
Die Bundesagentur für Arbeit leistet einen wichtigen Beitrag zur Fachkräftesicherung, indem sie junge Menschen bei einem erfolgreichen Übergang von Schule in den Beruf unterstützt. Bei der beruflichen Orientierung spielen wir eine entscheidende Rolle. Wir verschaffen den jungen Menschen einen umfassenden Überblick in der Berufswelt und über den Ausbildungs- und Arbeitsmarkt. Ein großer Teil unserer Arbeit ist die individuelle Berufsberatung der Jugendlichen. Dabei achten wir besonders auf die Jugendlichen, die ohnehin schon schwierige Startbedingungen haben. Durch unsere Kontakte zu lokalen Unternehmen sind wir als Agentur für Arbeit in der Lage, den Jugendlichen Praktikumsplätze und Ausbildungsstellen zu vermitteln. Wir sind ein Bindeglied zwischen den Jugendlichen und den Unternehmen und setzen uns dafür ein, dass die Schülerinnen und Schüler berufliche Erfahrungen sammeln können und Ihnen der Übergang von Schulen in den Beruf gut gelingt. Unser Dienstleistungsangebot umfasst auch das Aufzeigen von möglichen finanziellen Hilfen beim Übergang von der Schule in den Beruf unter Berücksichtigung der gesetzlich vorgeschriebenen Voraussetzungen.
Ein entscheidender Vorteil ist, dass unser Dienstleistungsangebot neutral und unentgeltlich ist.
Warum eignet sich Ihrer Meinung nach Berufsberatung ganz besonders als Ergänzung zum Berufsorientierungsunterricht an Schulen?
Die Zusammenarbeit zwischen den Schulen und der Agentur für Arbeit ist von großer Bedeutung, da die Schülerinnen und Schüler während der Schulzeit eine wichtige Phase ihrer Berufsorientierung durchlaufen. Wir haben als Agentur für Arbeit einen umfassenden und aktuellen Überblick über den Arbeits- und Ausbildungsmarkt. Unser Wissen über Anforderungen sowie Veränderungen in der Berufswelt nutzen wir, um die Jugendlichen bestmöglich auf dem Weg zum erfolgreichen Einstieg in Ausbildung, Studium und Erwerbsleben zu beraten.
Schule und Berufsberatung haben dabei gemeinsam die Ziele, die Stärken und Neigungen der Schülerinnen und Schüler zu ermitteln, sie zielgerichtet auf die Anforderungen des Arbeitsmarktes vorzubereiten und sie stärker an das Arbeitsleben heranführen.
Mit der BO-Koordinatorin, Ann-Kathrin Wille, bin ich im regelmäßigen Austausch zur Umsetzung berufsorientierender Themen an der Schule. Gemeinsam entwickeln und diskutieren wir Ideen und sind mutig, Neues auszuprobieren.
Wie gestaltet sich die Zusammenarbeit mit der Schule?
Die Zusammenarbeit mit der Schule ist sehr eng und wertschätzend. Ich bin seit zwei Jahren Berufsberaterin an dieser Schule und Teil des Schullebens. Jeder weiß, wo ich zu finden bin. Mindestens einmal in der Woche trifft man mich in meinem Beratungsbüro in der Schule an. Jeder kann entweder spontan vorbeischauen oder einen individuellen Termin mit mir vereinbaren.
Die jungen Menschen sollen ihre Berufs- und Studienwahl als einen Prozess verstehen. Daher lernen sie mich als ihre Berufsberaterin bereits in der 7. Klasse beim Stärken-Parcours kennen. Anschließend starte ich Anfang der 8. Klasse in der Vorhabenwoche der Schule mit meinen Berufsorientierungsveranstaltungen. Da das erste Schulpraktikum in dieser Klassenstufe stattfindet, steht bei diesem Workshop dessen umfassende Vorbereitung im Vordergrund. Dazu gehören auch ein gemeinsamer Besuch im Berufsinformationszentrum der Agentur für Arbeit sowie in der Jugendberufsagentur Kiel.
Ich habe gemerkt, wie wichtig den Lehrkräften die berufliche Orientierung an ihrer Schule ist. Sie haben ihre Schülerinnen und Schüler gut im Blick. Im direkten Austausch kann ich so die Jugendlichen gezielt in meine Beratung einbeziehen. Darüber hinaus unterstütze ich in Abstimmung mit den entsprechenden Lehrkräften im Unterricht u. a. bei den Themen: Bewerbung, wie telefoniere ich mit Unternehmen, Vorbereitung auf Bewerbungsgespräche und der Recherche zu Berufsbildern.
Aktuell berate ich alle Schülerinnen und Schüler der Abgangsklassen um herauszufinden, wo sie im Berufswahlprozess stehen und wie ich sie im Berufswahlprozess unterstützen kann.
Welche Herausforderungen in Sachen beruflicher Orientierung nehmen Sie bei den Jugendlichen heute wahr?
Als Berufsberaterin habe ich in den letzten zwei Jahren festgestellt, dass viele junge Menschen von der Fülle des Informationsangebotes überfordert sind. Aus diesem Grund stelle ich in meinen Veranstaltungen und in meinen Beratungen unsere Online-Formate “BERUFENET”, “planet-beruf” und “abi.de” vor. Dies sind gute Adressen im Informationsdschungel bei allein 324 anerkannten Ausbildungsberufen in Deutschland.
In meinen Beratungen nehme ich verstärkt wahr, dass es jungen Menschen zunehmend schwerer fällt, sich ihrer Stärken bewusst zu werden und Entscheidungen selbstständig zu treffen. Daher ist es uns wichtig, die Jugendlichen frühzeitig und eng bei ihrem Berufswahlprozess durch individuelle Beratung zu begleiten. Durch meine Nähe zu den Schülerinnen und Schülern ist eine wertvolle Vertrauensbasis möglich. Berufswahl ist ein dynamischer Prozess. Der Umgang mit vermeintlichen Rückschlägen, wie z. B. eine verkehrte Praktikumswahl, und das Vertrauen in den eigenen Weg sind entscheidende Herausforderungen. Ich möchte den Jugendlichen zeigen, dass es normal ist, kleine Schritte vorwärts und auch mal rückwärts zu machen; solange sie nicht aufgeben.
Inwieweit spielt das Elternhaus bei der Berufsorientierung eine Rolle und gibt es da Verbesserungsbedarf?
Die Eltern spielen eine entscheidende Rolle bei der Berufsorientierung ihrer Kinder. Sind sie doch der erste Kontakt zur Arbeitswelt für den Nachwuchs. Da ich auch selbst Mutter von zwei Kindern bin, weiß ich aus eigener Erfahrung, dass der Berufswahlprozess innerhalb der Familie viele Höhen und Tiefen mit sich bringen kann. Aus diesem Grund halte ich es für wichtig, die Eltern in ihrer Rolle als kompetente Ideengeber verstärkt zu unterstützen. Ich arbeite gemeinsam mit der Schule daran, die Eltern zu aktivieren und sie dazu zu ermutigen, gemeinsam mit ihren Kindern den Weg der beruflichen Orientierung zu gehen. Auf Elternabenden lade ich die Eltern zu den Beratungsgesprächen mit ein und biete ihnen aktiv meine Hilfe an. Das Angebot wird gut genutzt.
Welchen grundsätzlichen Tipp können Sie als Mutter und als Berufsberaterin den Jugendlichen geben?
In beiden Rollen lege ich großen Wert darauf, auch alternative Berufspläne in Betracht zu ziehen. Solche Alternativen sind wichtig und tragen zu mehr Sicherheit im allgemeinen Berufsfindungsprozess bei. Außerdem bietet eine mehrgleisige Ausrichtung – unterstützt durch entsprechende Praktika – ein größeres Spektrum an Entscheidungsmöglichkeiten. Man kann nicht immer davon ausgehen, dass Plan A funktioniert.
Wie sind Sie persönlich zu Ihrer Berufswahl gekommen?
Tatsächlich durch meine Berufsberaterin während meiner Schulzeit. Ich war von dieser Frau und ihrer Unterstützung so sehr angetan und überzeugt, dass ich diesen beruflichen Weg auch einschlagen wollte. Nach meinem Schulabschluss habe ich dann ein duales Studium bei der Bundesagentur für Arbeit absolviert und mache heute genau das, was ich immer machen wollte – junge Menschen auf ihrem Weg zur Berufs- und Studienwahl zu begleiten. Ich bin sicher, wirklich etwas bewegen zu können, und halte meine Arbeit an der Toni-Jensen-Gemeinschaftsschule für sinnstiftend und befriedigend.
Mehr zur Toni-Jensen-Schule: 4 Lehrkräfte über ihren beruflichen Werdegang und schulischen Herausforderungen
TEXT Sophie Blady / Anja Nacken
FOTO Sophie Blady