Wie sich Hochschulen in der Corona-Pandemie behaupten
Über viele Jahre haben sich die Digitalisierung und die deutsche Hochschullandschaft eher langsam angenähert. Damit ist jetzt Schluss. Denn mit Beginn der Corona-Pandemie sind digitale Lehre und Forschung auf einen Schlag von einer technisch möglichen Alternative zur Grundvoraussetzung geworden. Für Studierende und Dozenten an den Universitäten und Fachhochschulen steht der Alltag auf dem Kopf – und ändert sich doch oft weniger als befürchtet.
Ein Virus hält die Welt in Atem – und schafft plötzlich das, was Kritiker seit langer Zeit fordern: eine bessere Ausrichtung des Hochschulbetriebs auf die Möglichkeiten der Digitalisierung. Eine globale Pandemie hätte sich dafür wohl selbst der überzeugteste Digitalbefürworter nicht gewünscht. Aber eines haben die vergangenen Wochen und Monate deutlich gezeigt: Die schnelle Umsetzung weitreichender Neuerungen ist möglich.
Als sich Anfang März mit der zunehmenden Ausbreitung des Corona-Virus in Deutschland die Entwicklungen überschlugen, reagierten viele Hochschulen sofort. Die Verwaltung wurde ins Homeoffice geschickt, Hörsäle, sogar Bibliotheken blieben geschlossen, Veranstaltungen wurden abgesagt. Schnell war klar, dass der Ausbruch des Virus langfristige Folgen für die akademische Welt haben würde. Abgesagte Prüfungen und Laborübungen, dazu verschobene Meldefristen und verlängerte Semesterlaufzeiten, alles muss auf dem hürdenreichen Weg zurück in den Regelbetrieb bedacht werden. Mit einem Studienalltag wie vor der Krise rechnen viele Fachleute nicht vor dem kommenden Jahr, manche gehen gar von 2022 aus.
Doch noch ist die Bedrohung durch das Corona-Virus nicht ausgestanden, trotz zunehmender Lockerungen in vielen Lebensbereichen befindet sich der Hochschulbetrieb in einer Ausnahmesituation. Hygienepläne für eine große Anzahl von Menschen auf dem Campus entstehen eben nicht nebenbei. Viele Fragen zum täglichen Miteinander in Bibliotheken, in der Mensa oder im Hochschulsport müssen beantwortet und abgestimmt sowie mit den sich wandelnden politischen Vorgaben ein Einklang gebracht werden.
Dazu kommt, dass nicht nur viele Studierende weitermachen wollen (und mit Blick auf BAföG oder die eigene Lebensplanung auch müssen), sondern auch Forschungsprojekte und Kooperationen häufig an Fristen zu Laufzeit oder Finanzierung gebunden sind. Stillstand bedeutet hier tatsächlich Rückschritt, weil bereits gewonnene wissenschaftliche Erkenntnisse verloren gehen oder nicht weiterverfolgt werden können.
Also geht es weiter – nicht wie gewohnt, aber erheblich besser, als sich wohl selbst überzeugte Optimisten ausgemalt hätten. Vorlesungen verfolgen die Studierenden per Livestream oder als abrufbares Video, ganze Seminare führen nun im Konferenz-Tool heiße Diskussionen, und sogar praktische Übungen werden in manchen Studiengängen ins studentische Homeoffice verlegt. So viel Digitalisierung ohne Drama, nahezu aus dem Stand – wohl erst in der Rückschau werden viele Studierende, aber auch Professorinnen und Professoren sowie das Hochschulpersonal erkennen, wie gut sie die außergewöhnliche Situation gemeinsam gemeistert haben. Die kleinen Pannen, unerwartete Verbindungsprobleme und eventuelle Digitalisierungspeinlichkeiten sind dann allenfalls unterhaltsamer Stoff für Anekdoten beim gemeinsamen Mittagstisch in der Mensa – so ganz ohne Abstand.
TEXT Lutz Timm
ILLUSTRATION Shutterstock