Sie kümmern sich um Fracht und Passagiere auf der „Color Fantasy“/ Fährlinie Kiel-Oslo mit 1,2 Millionen Fahrgästen
Im Bauch der „Color Fantasy“ haben 750 Autos, viele Dutzend LKW und Frachtgut aller Art Platz. Auf den Oberdecks genießen derweil 2.400 Passagiere das Ambiente im weltgrößten „Traumschiff mit Autodeck“. Damit das Kreuzfahrtschiff mit dem Schwesterschiff „Color Magic“ von Kiel nach Oslo jeden Tag zuverlässig unterwegs ist, arbeiten Hunderte von guten Geistern hinter den Kulissen.
Das tägliche Schauspiel zieht an den Ufern der Kieler Förde die Blicke magisch an: Rückwärts Einparken für Fortgeschrittene! Allerdings handelt es sich hier um die 224 Meter lange und 60 Meter hohe „Color Fantasy“. Der blau-weiße Meeresriese dreht sich mit Hilfe der 42.000 PS starken Maschine zuerst um die eigene Achse, um anschließend im Rückwärtsgang das Norwegenterminal anzusteuern. Nur so können die LKW und Autos den Bauch des Megakreuzfahrtschiffs Richtung Kieler Ostufer verlassen. 20 Stunden zuvor hat das mächtige Schiff die norwegische Hauptstadt Oslo verlassen. Jetzt, um 10 Uhr morgens, bereiten sich die Passagiere schon auf den Landgang vor.
Sobald das Schiff der Color Line seine Position erreicht hat, übernehmen Arnold Thiesen und seine Kollegen das „Festmachen“: Sie befestigen die Taue an den Pollern am Kai. Erst, wenn der 74.500-BRT-Gigant sicher verzurrt liegt, können die Autos von Bord. Und erst dann schlägt die Stunde der „Stauer“. „21 Kollegen kümmern sich um das Be- und Entladen des Schiffes – und das unter Zeitdruck, denn die ‚Color Fantasy‘ wird pünktlich um 14 Uhr wieder Richtung Oslo ablegen“, erzählt Sven-Erik Pegler, Leiter der Frachtabteilung von Color Line Cargo, die seit mehr als 50 Jahren von dem maritimen Traditionsunternehmen Sartori & Berger gemanagt wird.
Der Schifffahrtskaufmann weiß, dass die „Color Fantasy“ ein ganz besonderes Kreuzfahrtschiff ist. „Jeder, der an Deck oder an Land für dieses schöne Schiff arbeiten darf, ist stolz darauf.“ Mit der „Color Fantasy“ (und dem Schwesterschiff „Color Magic“) fährt die norwegische Reederei Color Line auf einer Trendwelle: Das Traumschiff verbindet seit 2004 die stark nachgefragten Kurzreisen mit den beliebten Kreuzfahrten, jedes Jahr checken 1,2 Millionen Passagiere auf der Linie Kiel-Oslo und zurück ein. An Bord finden bis zu 2.400 Passagiere alle Annehmlichkeiten vor: von der 160 Meter langen Einkaufspromenade über eine Bade-, Fitness- und Wellness-Landschaft bis hin zu Musicalbühne, Casino, Sonnendeck und Golfsimulator. Genuss wird auch in den zehn Restaurants und zwei Bars groß geschrieben.
Sobald die Autos und LKW samt Fracht das Schiff verlassen haben, rücken die Stauer mit ihren „Tugmastern“ an. Mit diesen Zugmaschinen ziehen sie die unbegleiteten LKW-Auflieger („Trailer“) aus dem Frachtraum und bringen sie auf den Hafen-Parkplatz. Von hier aus übernehmen sie die Speditionen mit eigenen Sattelzugmaschinen. Derweil warten am Schiff schon fabrikneue Ford-PKW in Reih und Glied darauf, dass sie an Bord gefahren werden. „Wir bekommen auch mal 200 Autos auf einmal, die wir dann mit Aushilfskräften, wie etwa Studenten, in kurzer Zeit verladen“, berichtet Pegler. Insgesamt 10.000 Neuwagen schlucken die Schiffe jedes Jahr, damit sich norwegische Autokäufer über sie freuen können. Auch neue und gebrauchte Wohnmobile sollen jetzt an Bord. Und natürlich Dutzende von Trailern, hin und wieder Baumaschinen, Muldenkipper, Trecker und andere Vehikel. Kollegen übernehmen im Frachtraum anschließend einen überaus wichtigen Job – sie müssen die Trailer „festlaschen“, also mit Zurrgurten befestigen. „Selbst bei heftigem Seegang darf sich die Ladung aus Sicherheitsgründen nicht bewegen.“
Mehr als nur PWK
Unter den Frachteinheiten befindet sich stets mindestens ein Provianttrailer mit allen Spezialitäten und Waren, die an Bord gebraucht werden: Gabelstapler hieven 50 Paletten mit jeweils bis zu 600 Kilo Lebensmitteln in die Lagerräume. Eine echte logistische Herausforderung für die fast unlösbare Aufgabe, täglich drei Mahlzeiten für maximal 2.400 Gäste frisch zuzubereiten. Und schmecken muss es natürlich auch – besonders in den Gourmet-Restaurants. 42 stressresistente Kräfte schälen, raspeln und dünsten in zwei Großküchen. Von dort aus gelangen die Speisen ebenso ins „Oceanic à la Carte“ wie ins „Gourmet Restaurant“ und die anderen acht Restaurants. Im „Grand Buffet“ können 1.200 Hungrige gleichzeitig ihr Frühstück, Mittag- und Abendessen einnehmen. 1.100 ofenfrische Brötchen, 60 Kilo Eier, 80 Kilo Schinken und 120 Liter Orangensaft warten auf den großen Appetit. Extra für die deutschen Passagiere bereiten Köche täglich 50 Kilo Lachs zu. In der bordeigenen Bäckerei duften Hunderte Kuchen und Schokoladenteilchen.
Englisch-Bruchstücke mischen sich mit Deutsch und Norwegisch. Doch sie alle haben ein Thema: Saubermachen! Die Kabinen müssen bis zum Mittag aussehen, als wären sie neu und unbenutzt. Über 100 Housekeeper und Raumpflegerinnen haben vier Stunden Zeit, um 966 Kabinen vorzubereiten für die neuen Fahrgäste. Rucksack- Staubsauger helfen, die kissenweichen Teppiche auf den endlosen Decks vom Alltagsschmutz zu befreien.
Während die Trucker die Papiere fertig machen und der Zoll kritische Blicke walten lässt, checken die ersten Passagiere im Terminal bereits ein. 14 Uhr. Wieder sind Arnold Thiesen und seine Kollegen von der Stauerei im Einsatz. Diesmal heißt es „Leinen los!“, bevor das blau-weiße Traumschiff fast lautlos ablegt und durch die Innenförde gleitet. Manche Passagiere winken. Sie freuen sich auf eine feine Mini-Kreuzfahrt – auf einem Traumschiff mit Autodeck.
Text Joachim Welding
Fotos Color Line & Joachim Welding