„Als Chocolatière musst du das lieben, was du tust“

„Als Chocolatière musst du das lieben, was du tust“

Interview mit Esther Kempa, „Estrella’s Chocolaterie“

Mit ihrem Laden „Estrella’s Chocolaterie“ in Berlin hat sich Ex-Balletttänzerin und Chocolatière Esther Kempa einen Traum erfüllt. In „THE NØRD TIMES“ erzählt sie von ihrem süßen Leben als Schokoladenmacherin – und ihrem ungewöhnlichen Weg dorthin…

Macht Schokolade wirklich glücklich?

Ja. Und sie macht auch den glücklich, der sie herstellt. Allein beim Rühren der Schokolade kannst du wunderbar abschalten, fühlst dich geistig vollkommen frei. Die meisten Menschen verbinden mit Schokolade starke, positive Gefühle. Das merke ich auch jeden Tag bei meinen Kunden: Sie wollen sich selbst etwas Besonderes gönnen oder anderen eine Freude machen. Und das strahlen sie auch aus, wenn sie meinen Laden betreten. Das sind manchmal unheimlich wertvolle Begegnungen, großartige Gespräche.

Das Leben und Arbeiten als Chocolatière war für dich ein Neuanfang. Eigentlich bist du ausgebildete Tänzerin…

Ja, Tanz war meine grosse Leidenschaft und ich habe sehr hart trainiert dafür. Tänzerin zu sein ist eine sehr intensive Art zu leben. Ich wollte nichts anderes, war total glücklich. Doch dann haben meine Knie nicht mitgespielt – und ich musste meine Karriere an den Nagel hängen, bevor sie überhaupt richtig beginnen konnte.

Esther Kempa

In Estrella’s Chocolaterie in Berlin

Das war sicher sehr hart.

Ja. Doch irgendwie ging es weiter. Das habe ich wirklich gelernt: Wenn eine Sache nicht funktioniert, ergibt sich mit der Zeit etwas Neues. Man darf sich nicht unterkriegen lassen. Selbst wenn man tausend kleine Tode stirbt. Es geht immer weiter.

Als Tänzerin musstest du sicher extrem auf dein Gewicht achten und ständig verzichten. Als Chocolatière kannst du aus dem Vollen schöpfen…

Ach, das sind so Klischees, die einfach nicht stimmen. Als Tänzer brauchst du Energie. Schokolade ist Energie, ohne die Verdauung zu belasten. Alle Tänzer lieben Schokolade! Und ich habe Süßes schon immer sehr sehr gerne gegessen. Klar musst du dich als Tänzerin wie in jedem Leistungssport auch gesund ernähren, aber Tänzer sind meistens schlank, weil sie so viel Energie verbrennen, immer in Bewegung sind! Diät wäre da wirklich Blödsinn.

Esther Kempa

Also war das kein „Jetzt-erst-recht“-Moment, der dich in Richtung Chocolatière trieb…

Nein, sondern ein glücklicher Zufall, und Jahre später, nach vielen anderen Versuchen. Nachdem ich meine Tanzlaufbahn beendet hatte, landete ich erst einmal im tiefen, schwarzen Loch. Ich suchte mir zunächst etwas Bühnenverwandtes, machte eine Kosmetik-Ausbildung in Richtung Maske. Doch zu-zusehen, wie die Schauspieler auf die Bühne rannten, während ich mit dem Puderpinsel in der Hand in der Maske blieb – das war einfach zu hart, die Enttäuschung noch zu frisch. Dann ging ich an die Uni, studierte Theater-, Film- und Fernsehwissenschaften, schrieb danach Drehbücher. Schließlich ging ich für eine Zeit nach Los Angeles, nach Hollywood, der Liebe wegen. Doch die Beziehung zerbrach, alles lief schief. Ich zog zurück nach Berlin, schlüpfte unter bei meinem Vater. Und eines Tages bummelten wir über die Schlossstraße und wir gingen in diese kleine Pralinenmanufaktur „Most“. Da stand dann diese wahnsinnig sympathische Frau am Tresen – Nicole. Heute ist sie meine beste Freundin und arbeitet in meinem Laden als Konditorin. Wir sagen, wir sind Schokoladenschwestern!

„Eine positive Einstellung zum Leben solltest du auch mitbringen: Mit schlechter Laune kannst du nämlich Süßes gar nicht richtig schmecken…“

Oft sind es gerade die kleinen Momente, die Großes bewirken. Was passierte nach dieser Begegnung?

Zufällig suchte genau diese Confiserie eine Aushilfe und ich ergriff diese Chance. Das war einer dieser Glücksfälle. Ich fühlte einfach, dass ich etwas mit den Händen machen muss, etwas wirklich Eigenes. Schlussendlich wurde ich dort ein Jahr lang angelernt und habe alles über Schokolade erfahren. Doch kurz darauf wurde „Most“ insolvent. Wieder ein Aus. Doch ich wollte weitermachen, mit dem, was ich gerade gelernt hatte, und was mir Halt gab und mich jetzt glücklich machte. Ich beschloss, mich mit meiner eigenen kleinen Chocolaterie selbstständig zu machen. Ich hatte wieder Glück und fand schnell diesen Laden.

Esther Kempa

Schokoladen bei Esther Kempa

Das ist jetzt zehn Jahre her. Hattest du Anlaufschwierigkeiten?

Überhaupt nicht, die Kunden kamen vom ersten Tag an. Dabei hatte ich wirklich riesige Angst, dass es nicht funktionieren könnte. Gleichzeitig war ich glücklich. Ich schuftete zum Teil 50 bis 60 Stunden in der Woche und habe es geliebt. Das ist es: In dem Moment zu lieben, was man tut. Selbst wenn man müde und erschöpft ist. Und ich bekam sofort so viel zurück an Begeisterung für diesen Laden, für meine Idee von Schokolade. Seit der französische Film „Chocolat“ mit Juliette Binoche und Johnny Depp herauskam – entdecken die Menschen überall ihre Lust auf Schokolade und sind neugierig…

Du hattest mit deiner kleinen Chocolaterie also den Nerv der Zeit getroffen. Und dazu siehst du Juliette Binoche auch noch sehr ähnlich…

Sie ist eines meiner großen Vorbilder, ich mag ihre ganze Art, ihre Emotionalität. Und der Film „Chocolat“ hat wirklich so wunderbar widergespiegelt, was Menschen mit Schokolade verbinden. Auch wenn er wie ein Klischee daher kommt, gibt es doch Parallelen, die sich auch in meinem Schokoladenleben wieder finden..

Was ist für dich das Geheimnis guter Schokolade?

Die Qualität der Rohstoffe ist absolut wichtig. Und natürlich die Handarbeit. Je länger du die Schokolade beim Schmelzen rührst, desto mehr wird sie „belüftet“ und desto feiner wird der Geschmack. Das ist es ähnlich wie bei guten Weinen, bei Käse..

Esther Krempa

Jedes Stück ein Unikat: Esthers Pralinen

Auf welche Kreationen bist du besonders stolz?

Ich experimentiere gerne – mit Gewürzen, ätherischen Ölen, Blütenessenzen… Der Phantasie sind da keine Grenzen gesetzt. Da kommt immer wieder etwas Ungewöhnliches heraus. So gibt es bei mir auch Schokolade mit Rosenessenz, mit Curry oder Ziegenkäse. Ich liebe auch unsere Sonderanfertigungen nach speziellen Kundenwünschen: Als Geschenk für einen Professor aus dem Berliner Krankenhaus Charité schufen wir zum Beispiel ein Seepferdchen-Mikroskop, für einen anderen Kunden ein Marzipan-Lama und für Udo Jürgens einen Fagottspieler!

Mittlerweile gibt es gerade in Großstädten viele Chocolaterien. Beobachtest du die Konkurrenz oder rührt jeder in seinen eigenen Töpfen?

Ich freue mich über jeden einzelnen Mitstreiter – es kann gar nicht genug geben! Jeder Neuzugang prägt die Schoko-Kultur in Deutschland und baut sie mit auf, das ist enorm wichtig. Und jeder arbeitet auf unterschiedliche Art und Weise, hat seine eigenen Fans. Ich fühle einfach eine große Sympathie zu Leuten, die dieses Handwerk lieben und es ausüben. Und tausche mich auch unheimlich gerne mit Köchen aus.

Esther KempaDu hast jetzt sicher viele junge Leser inspiriert. Was sollten sie bei Schoko-Experimenten zu Hause beachten?

Bloß keine Berührungsängste! Zuallererst ist es ein Handwerk, die Grundregeln sind wirklich simpel. Als Einstieg eignen sich Tutorials auf Youtube wunderbar. Darüber hinaus findet man so viele schöne Rezepte und wertvolle Herstellungs-Tipps im Internet. Wer sich ernsthaft interessiert, sollte dranbleiben und nach Ausbildungsstätten forschen.

Wie ist denn der klassische Weg zur Chocolatière oder zum Chocolatier?

Das ist in Deutschland ganz klar eine Ausbildung zum Konditor und Patissier. Am besten in einem guten Hotel oder tollen Restaurant mit einer eigenen Patisserie. Als Krönung könnte man danach noch ins Ausland gehen und in Belgien oder Frankreich an eine der berühmten Chocolatier-Schulen gehen.

Was sind neben Lust auf Schokolade die wichtigsten Voraussetzungen für diesen Beruf?

Leidenschaftlich Schokolade zu essen allein reicht nicht (…lacht)! Du solltest gerne zeichnen, backen und dekorativ arbeiten können. Und eine positive Einstellung zum Leben solltest du auch mitbringen: Mit schlechter Laune kannst du nämlich Süßes gar nicht richtig schmecken…

TEXT Katharina McKechnie
FOTO Nadya-Vanessa Gruber