Herr Gerken, so ziemlich alle Ihrer Studentinnen und Studenten nutzen künstliche Intelligenz (KI) jeden Tag, etwa in Form von Sprachassistenten wie Alexa. Können alle am Ende des Studiums auch solche Systeme entwickeln?
Jan Gerken: Nein, das müssen sie aber auch gar nicht. Unser Ziel ist es, unseren Studierenden gezielt Möglichkeiten für ihre späteren Berufe mitzugeben. Für uns ist künstliche Intelligenz kein losgelöster Bereich, sondern Enabler für unterschiedliche Berufe. Egal, ob man später Software entwickelt oder sich für eine strategische Rolle im IT-Produktmanagement entscheidet, ist es wichtig, zu verstehen, was es für Möglichkeiten und für Auswirkungen gibt. Künstliche Intelligenz hat riesiges Potenzial. Das gilt übrigens nicht nur für unsere Wirtschaftsinformatiker und Wirtschaftsinformatikerinnen, sondern für alle.
Wie meinen Sie das?
Künstliche Intelligenz wird viele Bereiche verändern. Es muss nicht jeder alles technisch umsetzen können. Es sollte aber möglichst jeder einordnen und beurteilen können. Aktuell sind ja beispielsweise Deepfakes prominent, also mit Hilfe von KI gefälschte Bilder oder Videos. Da ist es wichtig, dass auch Studierende, die später nicht programmieren, zumindest verstehen, worum es geht, um sich am Diskurs beteiligen zu können.
Wollen die Studierenden das denn verstehen?
Wenn ich auf meinen Fachbereich gucke und besonders auf die Wahlpflichtveranstaltungen, dann sehe ich viel Interesse und eine große Begeisterung bei den Studierenden. Viele wollen sich mit künstlicher Intelligenz beschäftigen und sie begreifen.
Am Anfang Theorie, dann immer mehr praktische Anwendung
Wie sieht der Weg dahin bei Ihnen aus?
Wir haben den Bereich KI und Data Science in der Wirtschaftsinformatik ausgebaut. Von Anfang an spielen die Themen eine große Rolle – wenn auch erst einmal nur theoretisch. Zu Beginn des Studiums werden die statistischen Bereiche abgedeckt: Grundlagen, Analyseverfahren. Das ist wichtig, damit wir im fünften Semester mit den „Grundlagen der künstlichen Intelligenz“ loslegen können. Wir werden im Laufe des Studiums immer praktischer und anwendungsorientierter. Auch in unseren Masterstudiengängen eHealth und Business Management geht das ganze Thema weiter mit verschiedenen Veranstaltungen.
Die Studierenden verstehen also erst einmal selbst, wie Algorithmen mit Zahlen umgehen?
Ja, wobei es natürlich auch weitere Veranstaltungen gibt, in denen wichtige Grundlagen gelegt werden, beispielsweise zur Programmierung. Auch die Verarbeitung großer Datenmengen, also von Big Data, steht im Mittelpunkt einer Veranstaltung.
Sie haben auch ein „Smart Data Lab“ an der Hochschule eingerichtet . Was ist darunter zu verstehen?
Wir haben ein Labor eingerichtet, in dem Studierende an ihren Projekten arbeiten können. Das entscheidende ist die Rechenleistung, die wir zur Verfügung stellen. Unser Server ist für ganz andere Dinge ausgelegt, als der Laptop zuhause – beispielsweise für das Training neuronaler Netze, die unter anderem in der maschinellen Sprachverarbeitung genutzt werden. Gleichzeitig wird an einem zweiten Server der Umgang mit großen Datenmengen ausgebildet. Ohne das wären Projekte zur künstlichen Intelligenz nur eingeschränkt möglich.
Studierende entwickeln Software zum automatisierten Aktienhandel
Wann sind die Studierenden so weit, selbst Projekte in Angriff zu nehmen?
Wir lassen die Studierenden inzwischen sehr viele Projekte bei uns im Studiengang erarbeiten. Unter anderem in den Veranstaltungen „Data Science“ und „Einführung in die künstliche Intelligenz“. Diese stehen im vierten und fünften Semester an.
Sind dabei schon spannende Projekte entstanden?
Auf jeden Fall. Eine Gruppe hat angefangen, eine Software namens „Neurodex“ zu entwickeln, die es auch unerfahrenen Menschen ermöglicht künstliche neuronale Netze visuell zu konfigurieren. Damit sollen also diejenigen, die nicht programmieren können, trotzdem selbst lernende Netzwerke bearbeiten können. Eine andere Gruppe arbeitet an einer Software zum automatisierten Kaufen und Verkaufen von Aktien. Die sind zum Teil gar nicht mehr an unserer Hochschule, machen aber immer noch weiter, weil sie so begeistert von dem Projekt sind.
„Es ist eine riesige Chance, aus dem geschützten Raum der Hochschule seine Projektidee mitzunehmen und dann eventuell sogar das eigene Start-up zu gründen“
Passiert das öfter?
Ich hoffe es. Es ist einfach eine riesige Chance,, aus dem geschützten Raum der Hochschule seine Projektidee mitzunehmen und dann eventuell sogar das eigene Start-up zu gründen. Dafür haben wir in der Hochschule eine großartige Gründungsunterstützung. Aber auch für andere, die nicht selbst gründen, ist künstliche Intelligenz später wichtig, beispielsweise in der Softwaretechnik. Jemand, der im IT-Marketing arbeitet, profitiert auch davon, wenn er verstanden hat, worum es geht. Ich habe aber ohnehin den Eindruck, dass eine gewisse Faszination für das Thema entsteht – egal, was die Studierenden später machen.
TEXT Robert Otto-Moog
FOTO Hochschule Flensburg