Sonnig – mit Aussicht auf Starkregen: Klimakrise, Hitzewellen, Hochwasser: Beim 12. Extremwetterkongress in Hamburg haben rund 100 Experten neueste Erkenntnisse vorgestellt. Dabei ging es auch darum, wie wichtig Wettervorhersagen für Wind- und Sonnenenergie sind.
Starkregen, Dürre, Waldbrände, Hochwasser: „Der Klimawandel ist längst kein exotisches Phänomen mehr, das uns in Form von Extremwetter in den TV-Berichten aus fernen Ländern begegnet. Wir erleben die Klimaveränderung inzwischen direkt vor unserer Haustür und sind selbst unmittelbar betroffen.“ Mit einer deutlichen Warnung hat Tobias Fuchs, Vorstand für Klima und Umwelt beim Deutschen Wetterdienst (DWD), den 12. Extremwetterkongress in Hamburg eröffnet. Drei Tage lang haben rund 100 Wissenschaftler und Experten in Hamburg neueste Erkenntnisse vorgestellt. Dabei ging es um konkrete Dinge, wie Kombinationen von Extremwettern, Klimawandel oder Versicherungen gegen Stürme und Dürren, aber auch um Kommunikation und „Klimaangst“.
Fuchs verwies auf die Hochwasserkatastrophe im Sommer 2021 in West- und Mitteleuropa sowie die hohen Temperaturen und die Trockenheit in diesem Jahr. „Die Böden waren fast flächendeckend ausgetrocknet, was die Landwirtschaft deutlich beeinträchtigt hat.“ Er sprach sogar von einem für Deutschland „bald typischem Sommer“.
Die Experten rechnen mit noch mehr Wetterextremen
„Der Klimawandel verändert auch hierzulande die Intensität und Häufigkeit von Wetterextremen, wie zum Beispiel Starkregen, Trockenphasen oder Hitzewellen“, sagte Fuchs. Das sei durch Studien belegbar. Angesichts immer neuer Rekordwerte bei den Treibhausgasemissionen gehe der Deutsche Wetterdienst davon aus, dass die Erderwärmung absehbar nur eine Richtung kenne und wir künftig mit noch ausgeprägteren Wetterextremen rechnen müssten. „Dieser Zug ist aufs Gleis gesetzt und lässt sich auch mit Blick auf weitere globale Krisen wie die Coronapandemie und den Ukraine-Krieg wohl vorerst kaum stoppen.“ Mit massivem Klimaschutz könnte dieser Zug allerdings noch etwas abgebremst werden. „Und mit schneller Anpassung an die inzwischen unvermeidlichen Folgen des Klimawandels können wir die Auswirkungen von Extremwetter etwas dämpfen“, resümierte Fuchs.
Eine düstere Prognose gab auch Jochem Marotzke, Direktor des Max-Planck-Instituts für Meteorologie, ab: „Egal was wir als Menschheit tun: Wir werden das Ziel des Pariser Klimaabkommens, die Erderwärmung auf unter 1,5 Grad zu beschränken, innerhalb der nächsten Dekade vermutlich verfehlen. In allen Szenarien, die wir durchgerechnet haben, überschreiten wir 1,5 Grad in den 2030er Jahren.“ Das bedeute allerdings längst nicht, dass in der Zukunft alles verloren sei. „Sollte es gelingen, sehr schnell die weltweiten Emissionen herunterzufahren, würde sich das Klima ungefähr bei 1,6 Grad einpendeln und sich dann gegen Ende des 21. Jahrhunderts wieder etwas abkühlen“, prognostizierte Marotzke.
Treibhausgase auf Null? – Das scheint wenig wahrscheinlich
Allerdings müssten bis 2050 die Treibhausgasemissionen auf Netto-Null heruntergefahren werden. Das bedeute, dass Bereiche, in denen – wie beispielsweise in der Landwirtschaft – die Emissionen schwer herunterzufahren sind, kompensiert werden müssten, „indem aktiv CO2 aus der Atmosphäre herausgezogen wird“. Dafür seien 30 Jahre Zeit. Plausibel sei das aktuell allerdings nicht. „Es gibt in der Gesellschaft eine erhebliche Bewegung hin zur Dekarbonisierung – aber diese Bewegung ist nicht stark genug, nicht entschlossen genug und nicht schnell genug“, kritisierte Marotzke. Die Abkehr von fossilen Energien finde „noch gar nicht statt“. „Die Investitionen in fossile Energien sind heute noch viel größer als die in regenerative Energiequellen.“ Trotzdem gebe es keine Alternative, als die Emissionen drastisch herunterzufahren. Steigen die Temperaturen bis zum Ende des Jahrhunderts allerdings weiter, erlebt die Erde aus Sicht der Experten einen „Climate Backflip“, unter anderem mit einem 15 bis 25 Meter höheren Meeresspiegel.
Angesichts solcher Aussichten fühlt sich ARD-Meteorologe Sven Plöger nach eigener Aussage manchmal wie in einem Film, in dem die Welt vor dem Untergang bewahrt werden müsse. „Da schaut man auf den Fernseher und fragt sich, warum die Protagonisten im Film nicht begreifen, wo sie stehen. Und so schaue ich als studierter Meteorologe manchmal in die Welt und denke: Warum hören wir diese ganzen Dinge, die uns die Wissenschaft sagt, seit 30, 40 Jahren, schaffen aber nicht den Transfer zur Erkenntnis und zum Handeln?“ Überall in der Welt sei die Veränderung zu sehen. „Wir können sie nicht nur in Daten erfassen, wir können sie spüren“, sagte Plöger zum Auftakt des Kongresses.
Vorhersagen helfen gegen Engpässe im Stromnetz
Im Anschluss schauten Experten auch auf die politische Situation. Schließlich wurde nach der Bundestagswahl noch einmal bekräftigt, Solar- und Windkraft schnell auszubauen. „Aus unserer Sicht ist es eine gute Idee, beides intensiv auszubauen – weil Wind und Sonne zwei Energieträger sind, die sich im jährlichen Verlauf gut ergänzen“, betonte Frank Kaspar vom DWD, der zusammen mit seiner Kollegin Vanessa Funkel die Wetter- und Klimaabhängigkeit des Energiesystems beleuchtete. Denn neben Windkraftanlagen und Solarzellen sind auch die Stromnetze auf genaue Wettervorhersagen angewiesen. „Dass das Energiesystem wetter- und klimaabhängig ist, wissen wir alle“, sagte Funkel. Dabei sei nicht nur die Erzeugung von Energie wetterabhängig, sondern auch der Verbrauch. „Es ist ein ganzheitliches Problem.“ Wenn man den im Norden erzeugten Strom in den Süden transportieren muss, brauche man zuverlässige Prognosen, um die Verteilung zu planen.
Schon heute bereiteten Nebel, Schnee, Wolken und Saharastaub bei der PV-Einspeisung Probleme. Bei der Windkraft seien Sturmfronten, Turbulenzen oder Wetterwechsel problematisch. „Das sind Wetterlagen, die gar nicht so leicht vorhersagbar sind“, sagte sie. „Wir haben allerdings viele Möglichkeiten, in der Wettervorhersage Anpassungen vorzunehmen – wir können an vielen Schrauben drehen und machen das auch.“
Dieser Artikel ist in der Campus Winter 2022 erschienen. Lies hier den nächsten Artikel zum Thema Windkraftanlagen gegen Dürre.
TEXT Robert Otto-Moog
FOTO DWD Rüdiger Manig