Extreme Höhen, massive Temperaturschwankungen, eingeschränkte Transportmöglichkeiten: Die Voraussetzungen, in Nepal Windkraftanlagen zu errichten, sind denkbar schlecht. Studierende aus Flensburg haben jedoch eine Anlage für genau diese Umgebung entwickelt.
Mehr als 6500 Kilometer liegen zwischen Nepal und Flensburg. Gemeinsam haben die Stadt im flachen Norden Deutschlands und das Land am Himalaya-Gebirge wenig. Eine Verbindung gibt es seit vergangenem Jahr trotzdem. Studierende des Master-Studiengangs „Wind Energy Engineering“ der Hochschule Flensburg haben eine Windkraftanlage für die extremen Bedingungen in Nepal entwickelt. „Langfristig werden Windkraftanlagen in komplizierteren Umgebungen benötigt – und dafür braucht es Konzepte“, sagt Studiengangsleiter Torsten Faber.
Die Entwicklung einer Windkraftanlage steht für alle Studierenden im dritten Semester an. Das Besondere in diesem Jahr: Die Windkraftanlage wurde in Kooperation mit der Fachhochschule Kiel und der Universität der nepalesischen Hauptstadt Kathmandu entwickelt. Und noch etwas hat sich über die vergangenen Jahre verändert. „Früher war das Motto ‚immer höher, schneller, weiter‘. Der Trend geht aber heute mehr in Richtung Nachhaltigkeit und gesellschaftliche Akzeptanz“, erklärt Faber. Das Vorgängerprojekt etwa legte viel Wert auf möglichst geringe Emissionen und damit ein Maximalmaß an gesellschaftlicher Akzeptanz. Das spielte auch in diesem Jahr eine Rolle. „Das Besondere ist, dass die Anlage aus Holz besteht“, sagt Faber. Der Umweltaspekt spielt also eine große Rolle – auch übergeordnet. Professor Rajesh Saiju, der das Projekt begleitet hat, sagt:
Klimaschutz ist die Aufgabe aller Nationen. Nepal ist ein ideales Beispiel für diese Entwicklung.
Nepal bietet denkbar schlechte Voraussetzungen
Das Problem: Während Windkraftanlagen in Deutschland relativ leicht errichtet werden können, bietet Nepal denkbar schlechte Voraussetzungen: extreme Höhenlagen, massive Temperaturschwankungen, starke Windturbulenzen, eingeschränkte Transportmöglichkeiten, häufige Erdbeben, schwache Netzanbindungen. Windkraftanlagen können nicht einfach per Kran hochgezogen und gewartet werden, Hubschrauber sind für letzteres oft zu teuer. Entstanden ist deshalb ein Konzept namens Optimus 60 – eine Windkraftanlage, die komplett geklappt werden kann, um das Aufstellen eines Krans zu umgehen. Der Rotordurchmesser der Anlage liegt bei 60 Metern, die Nennleistung bei 800 Kilowatt. Zum Vergleich: Die in den vergangenen Jahren in Deutschland installierten Onshore-Windenergieanlagen an Land haben laut Bundesverband Windenergie einen Rotordurchmesser von etwa 120 Metern und eine mittlere Nennleistung von 3 bis 3,5 Megawatt. Trotzdem ist Optimus 60 den Projektteilnehmern zufolge wirtschaftlich attraktiv für Entwicklungsländer mit besonderen Herausforderungen bei der Errichtung und beim Betrieb von Windkraftanlagen.
Für die Studierenden lag der Reiz vor allem in der Praxisnähe. „Die Möglichkeit, mit allen anderen zusammenzuarbeiten, ist spannend – vor allem an so einem konkreten Projekt mit hohem Praxisbezug“, sagt Student Flemming Ohlsen. „Wir mussten uns unter anderem auch mit der Industrie auseinandersetzen: Was gibt es schon für Konzepte? Welche Lösungen? Was kann man übernehmen?“ Dafür wurden auch internationale Firmen kontaktiert. „Das Projekt hat einen hohen wissenschaftlichen Anspruch, und die entwickelte Anlage entspricht in jeder Hinsicht dem aktuellen Stand der Technik“, betont er. „Darin liegt auch ein großer Teil der Motivation.“ Die Entwicklung der Anlage werde unter realen Bedingungen durchgeführt und gebe einen sehr guten Einblick in die tatsächlichen Tätigkeiten von Ingenieuren in der Windbranche. So leisten die Studierenden das Projektmanagement, entwickeln komplexe Systeme und müssen mit Kommilitonen aus der ganzen Welt kommunizieren und zusammenarbeiten.
Einige Ideen könnten umgesetzt werden
Dass Optimus 60 tatsächlich gebaut wird, glaubt Ohlsen aber nicht – auch wenn die Anlage umsetzbar wäre. „Der Prototyp für diese Windkraftanlage würde ungefähr eine Million Euro kosten“, erklärt er. „Das kann die Hochschule nicht bewerkstelligen.“ Auch wenn die Kosten der Anlage in Serienreife erheblich geringer wären, bräuchte es einen Investor für den Anfang – und das ist unwahrscheinlich. Professor Faber ist trotzdem optimistisch. „Solche Anlagen werden nicht innerhalb der nächsten fünf Jahre gebaut“, sagt er. Langfristig würden aber auch Entwicklungsländer wie Nepal auf Windkraft setzen müssen. „Ich glaube nicht, dass die Anlagen dann genau so umgesetzt werden, wie sie die Studierenden jetzt entwickelt haben. Aber es gibt eine Reihe von Ideen, die Realität werden könnten“, sagt Faber. „Das Konzept hat in meinen Augen Potenzial. Die Studierenden haben wichtige Vorarbeit geleistet.“
Dieser Artikel ist in der Campus Winter 2022 erschienen. Wenn dich interessiert, wie der Klimawandel Einfluss auf unser Wetter nimmt, lies doch den nächsten Artikel.
TEXT Robert Otto-Moog
FOTO HS Flensburg, Klimapakt Flensburg