Wie zwei Lübecker Projekte Kindern und Jugendlichen die Türen zu außerschulischer Bildung öffnen

Wie zwei Lübecker Projekte Kindern und Jugendlichen die Türen zu außerschulischer Bildung öffnen

Kultur ist der Kitt der Gesellschaft. Darüber herrscht mehrheitlich Einvernehmen. „Kulturelle Bildung eröffnet neue Welten, sie bietet die Möglichkeit der Auseinandersetzung mit sich selbst und mit der Kunst“ heißt es beim Deutschen Kulturrat. Allerdings steckt der Wurm in den Möglichkeiten, an Kultur teilzuhaben. Theater, Museen, Konzerte, Kino, Zirkus – fast nichts geht ohne Geld, und das ist in vielen Familien knapp. Selbstverständlich ist Kulturgenuss aber auch bei denen nicht, die sich Eintrittsgelder leisten könnten. Da werden die einen von Schwellenängsten ausgebremst und andere wissen nichts von den kulturellen Schätzen vor ihren Haustüren. In den Schulen bleibt oft wenig Raum, um einen Bogen aus Unterricht und Schüleralltag in Museen und Theater zu schlagen. Wie die Begegnung junger Menschen mit Kunst und Kultur gelingen kann, zeigen Initiativen, die sich an den Lebensmittel-Tafeln orientieren, und eine Lübecker Stiftung.

In einem Schreiben an die Lübecker KulturTafel bringt es eine Mutter auf den Punkt: „Dank eurem Angebot kann ich meinem Sohn kulturelle Bildung ermöglichen. Wegen unserer finanziellen Lage wäre das ohne die KulturTafel nicht möglich. Dafür reicht das Geld einfach nicht. Aber mir ist es so wichtig, meinem Sohn Kultur nahezubringen! Später soll er dann selbst entscheiden, was er daraus macht. Aber wenn er in jungen Jahren nicht mit Kultur in Berührung kommt, ist das ein Verlust, den er später nicht mehr aufholen kann. Und außerdem kann er in der Schule endlich mal mitreden, wenn andere von ihren Freizeitaktivitäten berichten und hat auch was zu erzählen.“

Teilhaben, mitreden können: Erste Initiativen für kulturelle Teilhabe bildeten sich vor etwa 20 Jahren. 2008 wurde in Frankfurt am Main der Verein mit dem Namen Kultur für ALLE e. V. gegründet; Organisationen mit gleichen oder vergleichbaren Namen und Zielen folgten. Mittlerweile gibt es deutschlandweit rund 60 Initiativen (u.a. in Niebüll, Elmshorn, Neumünster, Lübeck), die kostenlose Eintrittskarten an Bedürftige vermitteln, 32 haben sich in der Bundesvereinigung kulturelle Teilhabe zusammengeschlossen, eine davon ist die KulturTafel Lübeck e.V., die Kristine Goddemeyer, inspiriert von Vorbildern in Hamburg und Neumünster, vor sieben Jahren gegründet hat, um Platz für alle im Kulturleben der Stadt zu schaffen. Quasi aus dem Stand geriet die Idee zum Erfolg. Inzwischen zählt die KulturTafel Lübeck knapp 2500 Nutzer, die hier, das ist die Philosophie der Institution, „Gäste“ genannt werden, an die bis zu 7000 Eintrittskarten pro Jahr vermittelt werden. Die Tickets werden von 130 Kultur-Partnern zur Verfügung gestellt. Das Schleswig-Holstein Musik Festival, das städtische und private Theater, Museen, Kirchen, der Circus Roncalli, die Eutiner Festspiele; auch JazzBaltica, deren künstlerischer Leiter, der Jazzposaunist Nils Landgren, Schirmherr der Lübecker KulturTafel ist. „Kultur beflügelt“, sagt er, „das erlebe ich jeden Tag von neuem. Mit meiner Musik probiere ich neues aus, verbinde Gegensätze, baue Brücken und bringe Menschen zusammen. Genau das macht auch die KulturTafel.“ Entstanden ist eine Win-Win-Situation: Wo Künstler sonst vor leer gebliebenen Plätzen spielen müssten, sitzen ihnen mit den Gästen der KulturTafel begeisterte Besucher gegenüber.

Ohne Geld, keine Teilhabe?

Kinder und Jugendliche waren bei der KulturTafel als Zielpersonen zwar immer schon mitgedacht, doch nun fokussiert Kristine Goddemeyer mit dem Projekt KulturKinder gezielt auf das junge Publikum. Warum? „Jedes fünfte Kind in Schleswig-Holstein lebt unterhalb der Armutsgrenze“, konstatiert sie, „in Lübeck ist es sogar jedes vierte.“ Insbesondere geht es dabei um Kinder und deren Familien, die in ihrem Leben bislang sehr wenige oder gar keine Berührungspunkte mit Kulturveranstaltungen hatten. „Wir möchten Neugierde auf das Abenteuer Kultur wecken, denn kulturelle und gesellschaftliche Teilhabe kann den Horizont erweitern, neue Perspektiven aufzeigen und somit Weichen für die Zukunft stellen.“ Nicole Großmann, Mutter eines neun Jahre alten Sohnes und zusammen mit diesem Gast der KulturTafel, nennt das „in andere Welten eintauchen“. Das sollte jedes Kind erleben können, sagt sie und betont, wie wichtig es ihr ist, dies als Familie zu erleben.

Das gemeinsame Erleben, insbesondere in den Familien, unterstreicht auch die Kinderbuchautorin Margit Auer, die mit ihrer Buchreihe für Grundschulkinder „Die Schule der magischen Tiere“ international bekannt wurde und die Kristine Goddemeyer als Schirmherrin der KulturKinder gewinnen konnte. Sie stehe „aus vollem Herzen“ hinter diesem Projekt, sagt sie und nein, dafür habe sie nicht lange überlegen müssen, denn es sei natürlich auch und ganz besonders für Kinder wichtig – „für alle Kinder!“ – in andere Welten einzutauchen, Geschichten von Freundschaft und Zusammenhalt zu erleben, Konzerte zu besuchen, laut mitzusingen, zu träumen, über das Erlebte zu sprechen, Gemeinsamkeiten zu erfahren. Auch in ihren Büchern geht es immer wieder darum, wie Kinder durch besondere Freundschaften und gemeinsame Abenteuer die Welt ganz neu entdecken. Und überhaupt: „Ein Tag mit Kultur ist ein besserer Tag als einer ohne!“

Frau

Kristine Goddemeyer, Gründerin und Geschäftsführerin der Lübecker KulturTafel.

Eine Stiftung holt „Jugend ins Museum“

Kristine Goddemeyer wünscht sich Schulen als Distributeure der Projekt-Idee KulturKinder. Direkt an die Schulen wendet sich die Michael-Haukohl-Stiftung in Lübeck. 2019 sind Michael Haukohl und seine Frau Ina Haukohl, Vorsitzender und Stellvertretende Vorsitzende der Stiftung, mit dem Projekt Jugend ins Museum angetreten, das auf drei Säulen basiert: dem Angebot, Museumskunde als Wahlpflichtkurs ins Schulprogramm aufzunehmen, Unterrichtsbausteinen, die den Schulen zur Verfügung gestellt werden, und dem Angebot „Schüler führen Schüler“.
Die Idee für diese dritte Säule ist ebenso naheliegend, wie sie aufwändig (und nicht ganz einfach) umzusetzen ist: Schüler werden zu Museumsführern ausgebildet, führen nach abgelegter Prüfung andere Schüler durch Lübecker Ausstellungen und verhelfen denen zu einem Museumserlebnis, das auf Augenhöhe stattfindet und somit große Chancen hat, beeindruckender zu sein, als eines, das von Erwachsenen bereitet wird.

Es sind zumeist 14-jährige Jugendliche, die die Prüfung zu Museumsführern ablegen – und sich damit neben der Schule zusätzliche Arbeit ans Bein gebunden haben. Ein Jahr dauert die Ausbildung, mit der sie fachlich für das jeweilige Haus, durch das sie führen wollen, fit gemacht werden. Auf dem Programm stehen außerdem Informations- und Präsentationstechniken, Sprachschulungen, Museumsbesuche in anderen Städten und am Ende eine Prüfungsführung, die weder von den Schülern, noch von den Ausbildern auf die leichte Schulter genommen wird. Nach bestandener Prüfung braucht es dann ein ordentliches Maß an Selbstorganisation, denn ein Schüler, der Schüler führt, verpasst jedes Mal selbst mindestens zwei Unterrichtsstunden, deren Stoff nachzuholen ist.

Mann und Frau

Locken die ,Jugend ins Museum‘ – Michael und Ina Haukohl von der Michael-Haukohl-Stiftung.

Kulturgüter brauchen Vermittler

Trotzdem – und manchmal genau wegen der Chance, Selbstorganisation und Präsentationstechniken zu erlernen – finden sich Jahr für Jahr erneut Interessierte in den städtischen Schulen. Das Katharineum ist mit im Boot, das Johanneum, die Ernestinenschule, die Thomas-Mann-Schule, das Carl-Jacob-Burckhardt-Gymnasium. An die 380 Schülerinnen (tatsächlich ist die deutliche Mehrheit der Teilnehmenden weiblich) und Schüler sind bislang zu Museumsführern ausgebildet worden. Jahr für Jahr werden von den jungen Guides rund 2500 Kinder und Jugendliche durch Lübecks teilnehmende Häuser geführt. Insgesamt kommen mit dem Projekt „Jugend ins Museum“ jährlich 5000 Schülerinnen und Schüler mit den Museen in Berührung.

Die Lehrkräfte, die bei Prüfungsführungen anwesend sind, geraten angesichts der außerhalb des Unterrichts erworbenen Kompetenzen mindestens ebenso ins Staunen wie Väter, Mütter und Experten der Partner-Museen, zu denen die Häuser im Verbund der Lübecker Museen, die Bundeskanzler Willy Brandt Stiftung, das Europäische Hansemuseum, die Overbeck-Gesellschaft gehören. Im Behnhaus Drägerhaus ist es Museumschef Alexander Bastek, der einmal mehr registriert, wie niederschwellig und trotzdem gehaltvoll die Neugierde auf Realismus und Neue Sachlichkeit, Romantik und Italiensehnsucht geweckt werden kann; im St. Annen-Museum bestätigt die Wissenschaftliche Mitarbeiterin Anja Kregeloh einer neuen Museumsführer-Riege deren Bedeutung für das Haus: Kulturgüter brauchen Wertschätzung. Wertschätzung braucht Kenntnisse. Kenntnisse brauchen Vermittler.

Was da ein geglückter Museumsbesuch bedeuten kann, hat die Lehrerin einer 3. Klasse an Michael Haukohl geschrieben: „Viele meiner Schülerinnen und Schüler waren tatsächlich noch nie in einem Museum und alle hatten noch nie vom Museum Behnhaus Drägerhaus gehört. Umso schöner war es dann zu beobachten, mit was für einer Begeisterung alle Kinder aufmerksam an der Führung teilnahmen. Sie hörten dabei ruhig zu und stellten an den richtigen Stellen so viele wichtige und tolle Fragen, dass es eine Freude war.“

Kunst und Kultur als Lebensnerv

In einer Stellungnahme des Deutschen Kulturrates zur Kulturfinanzierung heißt es 2010: „Kunst und Kultur haben eine herausragende Bedeutung für die Gesellschaft. Sie spiegeln gesellschaftliche Debatten wider, sie bieten Reibungsflächen zur Auseinandersetzung mit der Wirklichkeit, sie weisen über das alltägliche Geschehen hinaus. Kunst und Kultur sind Ausdruck des menschlichen Daseins. Die Auseinandersetzung mit Kunst und Kultur verweist auf die Vergangenheit und den Umgang mit überbrachten Werten, sie hat zugleich eine zukunftsgerichtete Dimension und beinhaltet Visionen einer künftigen Gesellschaft. Im Umgang mit Kunst und Kultur zeigen sich also die Diskurse der Gesellschaft. Kunst und Kultur wird eine herausragende Bedeutung für die gesellschaftliche Entwicklung beigemessen. In einer multiethnischen Gesellschaft gewinnen Kunst, Kultur und kulturelle Bildung eine zunehmende Bedeutung, um Integration zu befördern und die positiven Elemente kultureller Vielfalt herauszustellen. Im Begriff ,Wandel durch Kultur‘ werden diese Prozesse oftmals zusammengeführt.
Für jeden einzelnen Menschen sind Kunst, Kultur und kulturelle Bildung wesentlich. Kulturelle Bildung eröffnet neue Welten, sie bietet die Möglichkeit der Auseinandersetzung mit sich selbst und mit der Kunst. Kulturelle Bildung ist eine der Voraussetzungen für individuelle Kreativität und eigenes künstlerisches Schaffen.“

Bürgergeld

Das Bürgergeld ist eine staatliche finanzielle Unterstützung, die darauf abzielt, das Existenzminimum einer Person zu sichern, um ein Leben in Würde zu ermöglichen. Leistungsberechtigte Personen erhalten den sogenannten Regelsatz, der die Kosten für Bedarfe des täglichen Lebens, vor allem für Ernährung, Kleidung, Hausrat und Strom umfasst. Abhängig davon, ob jemand in einer Haushalts-, bzw. Bedarfsgemeinschaft oder allein lebt, ob es zusätzlich ein oder mehrere Kinder gibt und in welchem Alter die Kinder sind, ändern sich die Regelsätze. Seit dem 1. Januar 2024 liegt der Bürgergeld-Regelsatz für eine alleinstehende Person bei 563 Euro pro Monat, ein Paar in einer Bedarfsgemeinschaft bekommt 1012 Euro. Auch Kinder, die mit Leistungsberechtigten in einer sogenannten Bedarfsgemeinschaft leben, haben Anspruch auf Bürgergeld. Für 0- bis 5-Jährige werden 357 Euro ausgezahlt, für Kinder von 6 bis einschließlich 13 Jahren 390 Euro, für Kinder im Alter von 14 bis 17 Jahren 471 Euro. Laut „Regelbedarfsermittlungsgesetz“ sind 9,76 Prozent des Bürgergelds für Freizeit, Unterhaltung, Kultur berechnet und 0,36 Prozent für Bildung. Wer Bürgergeld erhalten möchte, muss einen Antrag beim Jobcenter stellen.

Hilfen vom Land

Im Bildungs- und Teilhabepaket hat das Land Schleswig-Holstein Leistungen für anspruchsberechtigte Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene gebündelt.
Danach können Kosten für ein- und mehrtägige Ausflüge von Schulen, Kitas und in der Kindertagespflege übernommen werden, steht eine Pauschale (174 Euro im Jahr 2024) für persönlichen Schulbedarf zur Verfügung, ist die Übernahme der Schülerbeförderung möglich, gibt es Hilfe bei zusätzlicher Lernförderung, besteht Anspruch auf Mittagsverpflegung, kann für die Teilnahme an sozialem und kulturellen Leben pauschal 15 Euro pro Monat beantragt werden.
Näheres zu Antragstellung und weitere Informationen gibt es auf der Seite des Landes Schleswig-Holstein

TEXT Karin Lubowski
FOTO © Africa Studio, stock.adobe.com / Richard Auer / Wolfgang Henze / Karin Lubowski