Die Bekleidungsindustrie zählt zu den umweltschädlichsten Industrien. Rund 10 % der weltweiten CO2-Emissionen gehen auf das Konto der Modebranche. Hinzu kommen Wasserverschmutzung, giftige Chemikalien, ausbeuterische Arbeitsbedingungen und Unmengen an Bekleidungsabfällen. Jede Sekunde wird ein Müllwagen voller Textilien entsorgt! Ein Wandel hin zu mehr Nachhaltigkeit ist also dringend nötig. Die gute Nachricht: Neue Ideen, Konzepte und Produkte sind längst da, Haute Couture Sandalen aus Bio-Baumwolle etwa. Und wer sagt eigentlich, dass man Kleidung besitzen muss, um sie zu tragen?
Recyceln statt neu
Das Traditionsunternehmen Salvatore Ferragamo gilt als Vorreiter ökologischer Produktion. Es setzt auf nachhaltige Materialien und Handarbeit aus Italien. Die „Rainbow Sandal“, ikonisches Schuh-Kunstwerk, das einst Hollywoodstar Judy Garland zur Filmpremiere des Zauberers von Oz trug, erfuhr im Jahr 2018 eine besondere Neuauflage. 100 Prozent nachhaltig produziert, besteht der „Rainbow Future“ aus Bio-Baumwolle, einem Futter aus Leder, das CO2-frei und wasserneutral gefertigt wurde, sowie Nähgarn aus recycelten Materialien. Die auf 100 Exemplare limitierten Plateausandalen kommen außerdem in einem Karton aus recycelbarer Pappe, verpackt in einem biologisch abbaubaren Baumwollsäckchen. Zusätzlich wird pro verkauftem Paar ein Orangenbaum gepflanzt. Geht es nachhaltiger?
Ferragamo
Wer in die Geschichte des milliardenschweren High-Fashion-Unternehmens blickt, findet nicht nur die einmalige Aufstiegsgeschichte eines Schusterlehrlings aus dem kleinen italienischen Dorf Bonito, der sich in Hollywood einen Namen als Schuhdesigner der Stars machte. Der versteht auch den historischen Ursprung des Ideenreichtums der Marke Ferragamo. Während der faschistischen Mussolini-Ära waren im Italien der vierziger Jahre die Ressourcen zur Herstellung von Schuhen begrenzt. Das Leder wurde vorwiegend für die Produktion von Soldatenstiefeln verwendet. So musste Ferragamo zwangsläufig mit anderen Materialien wie Kork, Filz, Bast und sogar alten Angelschnüren experimentieren. Im unternehmenseigenen Museum in Florenz lassen sich die frühen Kreationen noch bis März 2020 im Rahmen der Ausstellung „Sustainable Thinking“ bewundern.
Ferragamos Schöpfungen beweisen, dass die Herausforderungen einer umweltbewussten Produktion keinen Nachteil bedeuten müssen. Ganz im Gegenteil, sie können auch als Antrieb für Innovationen fungieren. Denn um nachhaltig produzieren zu können, ist eine ganz neue Auseinandersetzung mit Materialien und Herstellungsweisen nötig. Das fördert neue Ideen, und davon lebt die Modewelt. Mit einem Preis von 2.500 € ist der „Rainbow Future“ allerdings nur für ein sehr zahlungskräftiges Publikum erschwinglich. Was dabei aber nicht unterschätzt werden darf, ist die Signalwirkung, wenn ein Luxus-Unternehmen mit Nachhaltigkeit wirbt.
Fast Fashion ist die Bezeichnung für modegewordene Cheeseburger.
Die Schattenseiten der Modewelt: Fast Fashion
Wenn man sich schon in der Position befindet Trends zu setzen, warum dann nicht Nachhaltigkeit zum Trend machen? So einfach ist es dann leider doch nicht. Denn Nachhaltigkeit verlangt einen bewussten Konsum und setzt voraus, dass die Produktion von Kleidung die bestehenden ökologischen Ressourcen schont und nicht verschwendet. Allein für die Herstellung eines T-Shirts werden aber mehr als 2.000 Liter Wasser benötigt. Außerdem hat sich die Bekleidungsproduktion in den letzten 15 Jahren mehr als verdoppelt. Selbst wenn alle Unternehmen sofort auf Bio-Baumwolle umsteigen würden und sich bemühten, die Umwelt nicht durch giftige Chemikalien zu belasten, allein die reine Masse an benötigten Materialien brächte das Ökosystem an seine Grenzen.
Die Modeindustrie ist ein auf schnelles Wachstum ausgelegter Wirtschaftszweig. Sie will in erster Linie verkaufen – und zwar immer mehr. Um die Nachfrage zu erhöhen, gibt es stetig neue Kollektionen in immer kürzeren Zeitspannen. Bis zu zwanzig Kollektionen im Jahr diktieren neue Modetrends. Wer da mithalten will, greift oft zur sogenannten Fast Fashion. Fast Fashion ist die Bezeichnung für modegewordene Cheeseburger: Schnell konsumierte Massenware, billig produziert, die kaum getragen schon wieder out ist. Rund 50% der Fast Fashion Kleidungsstücke werden innerhalb eines Jahres weggeworfen.
Doch warum machen wir da überhaupt mit?
Stichwort Konsumverzicht. Aus Liebe zur Umwelt könnte man doch einfach ganz auf Mode verzichten! Den eigenen Modekonsum radikal einzuschränken, ist durchaus lobenswert, verkennt jedoch, dass die Bedeutung von Kleidung über die Funktion hinausgeht, uns vor Nässe und Kälte zu schützen. Durch Mode werden ebenfalls unterschiedliche Lebensstile sicht- und kommunizierbar.
Second-Hand-Kleidung bietet zwar eine kostengünstige und umweltverträgliche Alternative. Nachhaltigkeit und Abwechslung im Kleiderschrank versprechen aber auch andere Konzepte, die angetreten sind die Modebranche langfristig zu verändern. Und die – im Gegensatz zu Ferragamos Öko Haute Couture – für jedermann auch bezahlbar sind.
Mode neu gedacht: Leihen statt Kaufen Mode leihen statt kaufen, ist ein Konzept, das in Deutschland Unternehmen wie „Stay Awhile“ oder oder „RE-NT“ anbieten. Neue Mode als monatliches Abo, die bequem von zu Hause aus online bestellt wird. Das Geschäftsmodell von Stay Awhile bietet zwei Leihoptionen an. Vier Teile können sich die Kundinnen und Kunden monatlich entweder selbst aussuchen oder von der Gründerin Thekla Wilkening zusammenstellen lassen. Nach einem Monat wird die Kleidung zurückgeschickt und die Auswahl beginnt von neuem. Ganz ähnlich funktioniert auch das Modell von RE-NT. Es gibt ein Punktesystem, wobei ein Punkt den Wert von zehn Euro hat. Abhängig vom Einkaufswert der Kleidung können die Kunden dann ihre Punkte einlösen – und diese beliebig oft im Monat umtauschen. Als zusätzlichen Anreiz bietet RE-NT eine App an, die nachzeichnet, wie viel CO2 man im Vergleich zu gekaufter Kleidung bereits eingespart hat.
Ein ähnliches Konzept praktiziert die niederländische Jeansmarke „MUD Jeans“. Sie bietet Jeans zum Leasen an, eher bekannt aus der Automobilbranche. Für einen festen monatlichen Betrag zahlt man quasi für die Nutzung der Jeans. Nach zwölf Monaten steht dann die Entscheidung an: Behalten oder austauschen gegen ein neueres Modell. In letzterem Fall wird die getragene Jeans entweder upgecycelt und als Vintage Modell angeboten oder recycelt und für die Herstellung einer neuen Jeans genutzt. Kreislaufwirtschaft nennt sich das.
Digitale Mode für eine digitale Welt
Das junge Amsterdamer Label „The Fabricant“ verfolgt dagegen einen revolutionären Ansatz. Die futuristischen Haute Couture Entwürfe existieren ausschließlich als digitale Dateien. Nach dem Kauf werden sie als digitale Maßanfertigung auf ein Foto des Kunden montiert. Das Bild können die Besitzerinnen und Besitzer nun etwa auf sozialen Netzwerken wie Instagram posten. Damit würde das Bedürfnis sich selbst durch Mode auszudrücken und darzustellen gänzlich ins Digitale verlagert.
Das wiederum eröffnet eine völlig neue Perspektive auf das Thema Nachhaltigkeit. Kleidung, die in stofflicher Hinsicht gar nicht existiert, verbraucht bis auf den Strom, der für die digitalen Entwürfe benötigt wird, keinerlei Materialien oder Ressourcen. Bedenken wegen Umweltverschmutzung oder prekärer Arbeitsbedingungen wären überflüssig. Ein weiterer Vorteil gegenüber „analoger“ Mode: Die Entwürfe sehen zwar echt aus, sind aber nicht an die Grenzen der realen Welt gebunden. Die Optik von Materialien, die es gar nicht gibt oder futuristische Schnitte – der Fantasie wären kaum Grenzen gesetzt. Ob sich diese Zukunftsvision wirklich durchsetzen wird, bleibt offen. Spannend ist sie allemal!
TEXT Lina Kerzmann
FOTOS Alexander Probst, Salvatore Ferragamo, Julien Boudet