The loop of life – Apo Genç über die Faszination fiktiver Bildwelten

The loop of life – Apo Genç über die Faszination fiktiver Bildwelten

Videograf, Freigeist, Vater und Ehemann: Apo Genç kam 1988 mit fünf Jahren von der Schwarzmeerküste der Türkei an die Ostseeküste nach Kiel. Dort wuchs der Sohn einer Gastarbeiterfamilie zwischen türkischen Traditionen und norddeutscher Gelassenheit auf, studierte an der CAU Literatur und Medienwissenschaften und entwickelte eine ausgeprägte Leidenschaft für Bildwelten. „Da lag es nahe, solche Geschichten selbst zu kreieren”, so Genç. Als anerkannter Videograf und Fotograf transportiert er heute all seine Erfahrungen, Gefühle und Erlebnisse in seine Bilder.

Intuitiv folgte Genç seiner Leidenschaft und eröffnete immer mehr Menschen Einblicke in seine Art, die Welt zu sehen – erst in seinem Fußballverein, der ein paar brauchbare Bilder für seine Website benötigte, später in großen Kampagnen und künstlerischen Bewegtbildern. 

„Wenn ich ein Foto mache, fließen tausend kleine Entscheidungen in dieses Bild hinein: Welchen Winkel ich wähle, welchen Ausschnitt, welche Lichtführung – so entsteht meine ganz persönliche Sichtweise. Meine Bilder und Filme sind daher nicht nur Ausdruck von dem, was ich sehe, sondern vor allem von dem, was ich fühle.”

Der Kurzfilm After The Silence über die Zeit nach dem ersten Lockdown lässt den Betrachter auf beeindruckende Weise das Gefühl nachspüren, wie das Leben nach dem ersten Lockdown langsam wieder an Fahrt aufnimmt. „Alle Welt hat sich das ganz normale Leben, den Alltagstrott, zurückgewünscht, und dieses Gefühl möchte ich mit dem Film zum Ausdruck bringen”, so Genc. Allein mit der Kraft der Bilder, einer Prise Musik und ganz viel Rhythmusgefühl erzählt der Videograf die Geschichte einer Stadt, die wieder zum Leben erwacht – ungestellt, ehrlich und poetisch. Ganz alltägliche Momente werden durch die Brille von Apo Genç zu künstlerischen Inszenierungen: Wenn Autos im Takt der Musik die Straße überqueren, wirken sie ebenso poetisch wie eine Vogelschar, die in der darauffolgenden Szene in einem geometrisch einwandfreiem Bogen an der Fensterfront eines Hochhauses vorbeifliegt. Ist das echt oder inszeniert? Ganz alltägliche Momente sind so aufeinander abgestimmt, dass sie zugleich faszinieren und irritieren. 

Apo Genç

Aus der Sicht eines Stadtromantikers

Während andere mit dem Leben in der Stadt Hektik, Smog und Stress assoziieren, kommt Apo Genç ins Schwärmen, wenn er über die Brücken in Hamburg, das Gewusel auf den Straßen, die Gerüche, die Lichter und die Zufälle spricht. „Die Straßen einer Stadt erzählen so viel. Wenn ich Zeit für freie Projekte habe, gehe ich einfach raus und lasse mich inspirieren. Zuerst habe ich eine Idee, die mich antreibt. Manche Projekte entwickeln eine regelrechte Eigendynamik: Ich sehe überall neue Szenen, die zu meiner Idee passen, und der Film entsteht fast von alleine.” 

Jeder noch so kleinen, scheinbar unbedeutenden Szene gewinnt er eine Ästhetik ab, die er in der Nachbearbeitung spielerisch in seine Werke überführt. Nicht etwa, indem er fototechnisch den Himmel von Grau in Rosarot verwandelt, sondern durch sich wiederholende Momente, Musik und Rhythmus. Auf diese Weise schafft Genç wundervoll ehrliche Momente, die den Betrachter in eine fiktive, romantisch verklärte Stadt entführen.

„Leuchtende Städte in der Nacht sind wie Seelenfutter für mich. Ich kann vor der Skyline von Hongkong drei Tage lang stehen und bin immer noch fasziniert.”

Selbst, aber nicht ständig

Die Freiheit, künstlerisch zu arbeiten, hat sich der Videograf und selbst ernannte Stadtromantiker hart erarbeitet. Nach seinem Studium der Literatur und Medienwissenschaft an der Christian Albrechts Universität in Kiel produzierte Genç für die Kieler Agentur Plan B Online-Content für Kunden aus den verschiedensten Bereichen. 2019 wagte er schließlich den Schritt in die Selbstständigkeit und machte aus seiner Passion einen Beruf „das ist der schönste Weg, den man gehen kann”, so Genç. Seitdem gibt es keine Grenzen für den Bildkünstler „Ich versuche Bilderwelten zu erschaffen. Ob Bewegtbild oder Fotografie – ich liebe es, in diese Welten einzutauchen und anderen Menschen meine ganz persönliche Sicht auf das Leben, die Stadt und all die kleinen, scheinbar unbedeutenden Momente zu zeigen.” 

Während Apo Genç früher oft bis spät abends für die Kunden der Agentur Aufträge fertigstellte, kann er heute selbst entscheiden, wie viel Zeit er für Aufträge, künstlerische Arbeiten und seine Familie einsetzten möchte. „Der Weg in die Selbständigkeit hat für mich so viele neue Möglichkeiten eröffnet, aus denen ich Kraft schöpfe. Ich bekomme zwar auch Vorgaben von meinen Auftraggebern, aber ich kann selbst entscheiden, welche Aufträge ich annehmen möchte. Wenn die Zahlen stimmen, Projekte abgeschlossen und die Kunden happy sind, nehme ich mir die Freiheit,  auch mal zwei Tage die Beine hochzulegen und Zeit mit der Familie zu verbringen.” Apo Genç ist nicht nur ein Mensch hinter der Kamera, sondern auch ein leidenschaftlicher Vater, der jeden Morgen seine Tochter in die KiTa bringt, nachmittags die Zeit mit seiner Familie auf dem Spielplatz genießt und sich riesig auf ein weiteres Familienmitglied freut, das seinen bunten Alltag bald noch ein bisschen mehr durcheinanderwirbeln wird. 


TEXT Sophie Blady
FOTOS Apo Genç