Im Gespräch mit Hauke Kretschmann, Fachleiter für das Fach Wirtschaft und Politik, Leiter der Floorball-AG und zuständig für den Bereich Berufsorientierung
Heute treffen wir Hauke Kretschmann, der an der Goethe-Gemeinschaftsschule den Sport Floorball etabliert hat und mittlerweile mit seinen Mannschaften auch an Turnieren teilnimmt. Zweimal haben sie bereits im Bundesfinale der Schulen eine Platzierung erreicht. Die Goethe-Gemeinschaftsschule ist auch selbst Ausrichter von Turnieren und nimmt beispielsweise an Programmen wie „Jugend trainiert für Olympia” teil.
Hauke Kretschmann ist seit vielen Jahren an der Goethe-Gemeinschaftsschule als Lehrer für Englisch und WIPO tätig und leitet darüber hinaus die Floorball AG an dieser Schule. Diese hat er im Jahr 2011 eingerichtet. Floorball ist eine Nischensportart, die in gemischtgeschlechtlichen Teams – zwei Jungs und zwei Mädchen – gespielt wird. Diese freiwillige Sport AG bringe den Schülerinnen und Schülern nicht nur viel Spaß, sondern lehre darüber hinaus auch vieles, was sie im späteren Berufsleben gebrauchen können, erzählt Herr Kretschmann.
Team-Sport ist Soziales Lernen
Wie muss man sich das vorstellen? Was lernt man in einer Sport-AG fürs Leben, das im Unterricht nicht ebenso vermittelt werden könnte? Hauke Kretschmann hat dazu eine klare Haltung. Zunächst einmal erklärt er, dass sich Schülerinnen und Schüler und Lehrpersonen in dem informellen Rahmen, in dem sie sich zweimal in der Woche nach der 6. Stunde begegnen, auf eine ganz andere Weise treffen können. „Die sind freiwillig hier”, sagt Kretschmann. Und dann plaudert er aus dem Nähkästchen.
„Allein dadurch, dass man zusammen Sport macht, bekommt man schon einen ganz anderen Zugang zu den Kindern. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass auch Schüler, die im Unterricht vielleicht schwieriger sind, sich in der Sport-AG plötzlich von einer ganz anderen Seite präsentieren. Das ist ein positiver Nebeneffekt, beziehungsweise der Grund, warum ich das so gerne mache”, verrät Hauke Kretschmann. Die Vermutung liegt nahe, dass es da auch um gemeinsam errungene Erfolgserlebnisse geht.
Das kann so eine Gruppe schon einander näher bringen, oder?
„Auf jeden Fall”, bestätigt Kretschmann. Man habe einfach gemeinsam schon viel erlebt, habe die Erfahrung gemacht, dass man sich aufeinander verlassen könne. Das schweißt zusammen.
Freiwilligkeit ist die Basis für Motivation
Im Hinblick auf das Thema Schulorganisation liegt es dann nahe, zu fragen, warum Floorball dann nicht im verbindlichen offenen Ganztag angeboten wird. Zu diesem Thema hat Hauke Kretschmann jedoch seine ganz eigene Haltung: „Das bin ich schon häufiger gefragt worden, habe aber immer abgelehnt. Wenn ich das in den Ganztag integrieren würde, hätte ich nämlich auch Kinder dabei, die eigentlich keine Lust auf den Sport haben, aber halt hingehen müssen, weil ihre Eltern sie im Rahmen des offenen Ganztages dort angemeldet haben. Im Rahmen der AG habe ich jedoch die Möglichkeit, nur mit Kindern zu arbeiten, die wirklich freiwillig zu mir kommen.”
Dass diese Saat aufgeht, erläutert Hauke Kretschmann dann anhand des Werdegangs eines seiner Schüler: „Der Kevin zum Beispiel, den habe ich in den sechs Jahren, die er an unserer Schule gewesen ist, nicht nur im Unterricht gehabt, sondern der hat auch sechs Jahre lang bei mir Floorball gemacht. Danach ist er für ein Jahr in die Schweiz gegangen und hat dort Profi-Floorball gespielt, also Geld verdient mit seinem Sport. Jetzt ist er zurückgekommen und studiert Sport. Das ist natürlich cool zu sehen, was aus dem kleinen Jungen, den ich als Fünftklässler kennengelernt habe, geworden ist: kein Gramm Fett am Körper und durchtrainiert.”
Mannschaftssport als Teil der Berufsorientierung?
Und wie lässt sich nun der kausale Zusammenhang zwischen AG-Sport und gelungener Berufsorientierung herstellen, wollen wir wissen. Abgesehen von der erfolgreichen Karriere eines einzelnen Schülers? Auch darauf weiß Hauke Kretschmann eine Antwort:„Berufsorientierung findet ja normalerweise im Rahmen des WIPO-Unterrichts statt. Dort geht es beispielsweise um das Thema Interessenfindung. Da gibt es mittlerweile ganz tolle KI-basierte Programme, mit denen Schülerinnen und Schüler Aufgaben bearbeiten können. Und am Ende wird ihnen dann ein ganzes Universum an Berufen ausgespuckt”, erklärt Hauke Kretschmann.
„Dann machen wir Praktika, wir machen eine Lehrstellenrallye, die Kinder können hier in der Schule rumlaufen, in die Werkstätten gehen, hier und da reinschauen. Da dürfen die Kinder mit anfassen: ein paar Steine mauern, beim Dachdecker mit einem Hammer Schindeln pickern – solche Sachen eben”. Das wären dann die praktischen, die fachlichen Erfahrungen. Was das soziale Lernen fürs Berufsleben angehe, könne man von einer Mannschaftssportart wie Floorball jedoch noch viel intensiver und vor allen Dingen nachhaltiger profitieren, ist Kretschmann überzeugt.
„Kooperieren statt Konkurrieren ist eines der wichtigsten Skills für das Arbeitsleben.“
Fast wie im richtigen Leben
Jungen und Mädchen spielen ja gemeinsam in einem Team. Dies sei in dieser Sportart angelegt. Insbesondere die Jungen begriffen dann frühzeitig, dass sie nicht gewinnen können, wenn sie aufgrund eines überkommenen Rollenverständnisses die Mädchen in ihrer Mannschaft nicht anspielen und alles alleine machen wollen. Und die Mädchen gewinnen natürlich auch an Selbstbewusstsein, wenn sie in einer Mannschaft mit den Jungs gemeinsam ein Spiel für sich entscheiden. Das bringe diese Sportart so mit sich, berichtet Hauke Kretschmann.
„Wir haben hier Schülerinnen und Schüler von der fünften bis zur zehnten Klasse in der AG. Seit letztem Jahr sind wir eine Kooperation mit der benachbarten Grundschule eingegangen und nehmen nun auch noch Viertklässler mit dazu. Für die Jüngeren ist das ein guter Übergang. Und die Älteren lernen ganz viel Verantwortung. Die helfen mir beim Training. Im letzten Jahr haben zwei Neuntklässlerinnen zum Beispiel eine Projektarbeit dazu gemacht. Die haben Grundschüler trainiert und dabei gelernt, wie man ein Training aufbaut und dieses evaluiert. Das sind Skills, die man später auch im Berufsleben braucht.” Man könnte also behaupten, dass diese Schülerinnen damit ihre ersten Führungserfahrungen gemacht haben?
Verantwortung und Gemeinsinn lernen
Hauke Kretschmann stimmt zu, geht aber noch weiter darüber hinaus in seiner Einschätzung, was dieser Sport mit den Schülerinnen und Schülern macht. Floorball sei nichts, wo diejenigen Erfolg haben, die nur an sich denken und die Ellenbogen ausfahren. Nur gemeinsam als Team komme man weiter. Und diese Teamfähigkeit – also Kooperieren statt Konkurrieren – sei ja nun definitiv eines der wichtigsten Skills, die im Arbeitsleben der Zukunft von Bedeutung sein werden, ist Kretschmann überzeugt.
Das ist wohl wahr. Jedoch nicht nur dort. Denn partnerschaftliche Zusammenarbeit zwischen Männern und Frauen spielt ja auch anderweitig eine wichtige Rolle. Beispielsweise bei der Gründung einer Familie, im Freundeskreis, in der Nachbarschaft, im Verein, in der Politik oder bei der Gestaltung anderer Lebensbereiche. Womit belegt ist, dass Berufsorientierung mehr ist als die Suche nach einem Ausbildungsplatz. Berufsorientierung ist in einem umfassenden Sinn zu verstehen als Lebens-, Welt- und demokratische Wertorientierung.
TEXT Natascha Pösel
FOTOS Henrik Matzen