Filmemacher und Biologe Philipp Hoy im Interview über seinen preisgekrönten Film „Das Geheimnis der Miesmuschelbank“, das Tauchen, Filmen unter Wasser und den perfekten Job.
Preisgekrönter Naturfilmer, geprüfter Forschungstaucher, Biowissenschaftler und Masterstudent der Meeresbiologie: in den Adern des 23-Jährigen Philipp Hoy aus Eckernförde fließt Ostseewasser. Leben am Wasser, an der Ostsee, das ist das Größte für ihn. Und arbeiten? Am liebsten unter Wasser, den Miesmuschelbänken, Seegraswiesen und kleinen Krebsen mit ihren fächernden Rankenfüße beim Tauchen auf der Spur. Was treibt einen an, die bunten Geheimnisse der rauen See zu entdecken und sie einem Publikum nahezubringen? Seine Liebe für das Meer und die Lebewesen, die es ihr Zuhause nennen, macht Hoy in seinen Kurzfilmen eindrucksvoll erlebbar – ganz nah dran an den bunten Wesen der „Unterwelt“.
Sophie Blady, Kristina Krijom: Herr Hoy, Sie haben bereits zum zweiten Mal erfolgreich am Green Screen Festival in Eckernförde teilgenommen und konnten das Publikum mit Ihrem Film Das Geheimnis der Miesmuschelbank’ überzeugen. Was macht die Miesmuschel zu einem so geeigneten Protagonisten für einen Naturfilm?
Philipp Hoy: Die Miesmuschel, beziehungsweise die Miesmuschelbank – also alle Miesmuscheln zusammen –, bilden einen beeindruckenden Lebensraum für viele andere Tier- und Pflanzenarten. An einem guten Tag kann man bereits auf einem Quadratmeter all das entdecken, was in dem Film zu sehen ist. Es ist ein spannender Lebensraum, der von oben betrachtet oft als etwas leer, karg und langweilig wahrgenommen wird. Doch wenn man sich zwischen die Muscheln begibt, eröffnet sich eine faszinierende unbekannte Welt. Das begeistert mich so an der Miesmuschelbank.
Wird das oberflächlich betrachtet Karge in Ihrem Film durch den Angler symbolisiert, der von oben kaum etwas sehen kann?
Die Eingangsszene steht symbolisch für das Problem der Ostsee, dass man vom Ufer aus oft nur die Assoziationen grau, kalt und wellig hat. Aber wenn man den Kopf einmal unter die Oberfläche steckt , merkt man: Das ist hier ja gar nicht so dunkel und karg, sondern ein ganz faszinierender Ort und ein wundervolles Tauchrevier.
Welche Rolle nehmen die Miesmuscheln im ökologischen Kreislauf der Ostsee ein?
Sie filtrieren große Mengen von Wasser und besitzen eine wichtige ökologische Bedeutung. Sie sind mehr als nur Miesmuscheln, sie sind Lebensraum. Darin liegt das Geheimnis, dass Miesmuschelbänke in sich noch so viel mehr verbergen.
Sie sind mehr als nur Miesmuscheln, sie sind Lebensraum.
Möchten Sie damit auch ein Bewusstsein für mehr Nachhaltigkeit und den Schutz dieser Lebensräume fördern?
Natürlich ist das ein sehr wichtiges Thema. Nun gibt es in meinem Film keinen richtigen Appell zum Schutz der Meere oder Aufnahmen von Plastikmüll. Mein Ansatz ist es eher zu zeigen, wie schön es dort sein kann und dass dieser Lebensraum schützenswert ist. Unter der Meeresoberfläche befindet sich eben keine graue, karge Wüste, in der es keinen Unterschied macht, ob man Müll reinwirft oder nicht. Denn das Leben und die Natur hören nicht am Strand auf. Das wollte ich durch die Hintertür zeigen, ohne es zum Hauptthema zu machen.
Unter der Meeresoberfläche ist eben keine graue, karge Wüste, in der es keinen Unterschied macht, ob man Müll reinschmeißt, sondern da unten geht es weiter. Das Leben und die Natur hören nicht am Strand auf, sondern gehen im Wasser weiter.
Warum haben Sie sich für das Format Kurzfilm und das Genre Naturfilme entschieden?
Das mit dem Kurzfilm hat praktische Gründe. Einen längeren Film zu drehen und dabei nicht zu langweilen, finde ich schwierig. Außerdem benötigen längere Filme viel mehr Zeit. Neben dem Studium bin ich zeitlich limitiert, da war das Kurzfilmformat von zehn Minuten optimal für mich. Das Tauchen brachte mich zum Naturfilm. Ich möchte nicht ausschließen, künftig auch andere Naturfilme fernab des Wassers zu drehen, aber ich bin schon sehr auf die Unterwasserwelt und das Filmen unter Wasser fixiert.
Abtauchen lohnt sicht
Wie sind Sie zum Tauchen gekommen?
Für das Tauchen konnte ich mich schon immer begeistern. Schon als kleiner Junge haben mich die Arte-Dokumentationen von Jacques-Yves Cousteau in ihren Bann gezogen. [Anm. d. Red.: Jacques-Yves Cousteau war ein französischer Pionier der Meeresforschung und deren Filmdokumentation.] Mehr noch als die Tiere begeisterten mich die Taucher und ihre Abenteuer. Als Kind habe ich geschnorchelt. Mit 15 animierte mich dann ein Freund dazu, professionelles Tauchtraining bei ‚Tauchen und Meer’ in Eckernförde zu nehmen. Das hat mir total Spaß gemacht, und ich habe dort viele weitere Tauchkurse bei Thorsten Peuster absolviert, um schließlich selbst den Tauchlehrerschein zu machen. Den Großteil meiner Tauchgänge habe ich in Eckernförde an der Hafenmole gemacht.
Beim Tauchen entdecken Sie die hiesige Unterwasserwelt. Kommt man da in Eckernförde weit ohne Zusatzlicht?
Am Tag benötigt man normalerweise keine Lampe, außer, man möchte eine bessere Sicht unter Steine oder in Löcher haben. Mit Hilfe eines Lichts sieht alles zudem bunter aus, denn je tiefer man taucht, desto farbloser wirkt alles. Bei Rot ist das besonders eklatant. Da sehen Seesterne schon in wenigen Metern Tiefe grau-bräunlich aus. Möchte man sie in ihrer vollen Pracht sehen, lohnt es sich, sie einmal anzuleuchten.
Sie konnten bereits mit 17 beim Green Screen Festival mit einem Unterwasserfilm überzeugen. Wie kam es dazu, Ihre Leidenschaft fürs Tauchen mit dem Filmen zu verbinden?
Was ich als Taucher unter Wasser erlebt habe, wollte ich mit Freunden und Familie teilen. Da man die Tiere nicht mit nach oben bringt, gelingt das am besten, indem man seine Entdeckungen filmt. Zuerst habe ich mit einer kleinen Actioncam jede Menge Filmmaterial gesammelt. Dann kam mir ein wenig der Zufall zugute. Im Winter besuchten Kalmare die Eckernförder Bucht. Zwar nur etwa zehn Zentimeter lang, aber ansonsten nie dort zu sehen. Ich entdeckte sie bei einem Nachttauchgang und hatte dadurch das ideale Thema für meinen ersten richtigen Kurzfilm. Für das Green Screen Festival habe ich ihn dann eingereicht und hatte Glück.
Mutig für einen Siebzehnjährigen sich mit dem Film bei einem internationalen Naturfilmfestival zu bewerben. Wie sind Sie darauf gekommen?
Dadurch, dass es in Eckernförde stattfindet, war mir das Festival immer schon ein Begriff. Obwohl es ein so großes, internationales Filmfestival ist, hat man nicht das Gefühl, es sei unerreichbar. Ein Jahr zuvor hatte ich mich bereits mit einem Unterwasser-Kurzfilm in der Jugendkategorie des Festivals beworben. Das Green Screen Festival hält nämlich viele unterschiedliche Kategorien bereit. Die treibenden Kräfte, meinen Film einzureichen, waren nicht zuletzt meine Freunde und Familie. Aber auch Thorsten ist stets ein Mutmacher und Unterstützer.
Kurzfilm mit Tiefgang
Sie haben jede Menge Aufnahmen gemacht, aber ein Kurzfilm erfordert ja noch mehr. Was macht einen Kurzfilm aus?
Bei dem Kalmar-Kurzfilm waren die Kalmare da und haben die Geschichte quasi selbst geschrieben. Beim aktuellen Film ‚Das Geheimnis der Miesmuschelbank’ habe ich mir vorher Gedanken gemacht: Was möchte ich erzählen, und welche Aufnahmen brauche ich dafür? Zum ersten Mal gab es ein richtiges Storyboard, und ich wusste, ich will Miesmuscheln zeigen, Seesterne, Seepocken – so habe ich den Film vorher auf einem Blatt Papier entworfen. Dann hatte ich eine Liste mit Aufnahmen und musste diese nach und nach abarbeiten. Ich brauchte also eine passende Kamera, geeignetes Filmmaterial in Verbindung mit einem Storyboard und eine Geschichte. Musik und Sprachkommentar sind ebenso wichtig. Musik kann man in Online-Libraries finden; bei der Sprecherin hatte ich großes Glück: Meine Freundin studiert Schauspiel und hat unter anderem Sprechunterricht. Angehende Schauspieler sind, was das Sprechen angeht, sehr gut geschult, so hat sie mir meinen Film eingesprochen. Das hat uns beiden viel Freude bereitet.
Auch eine Drohne kam bei den Dreharbeiten zum Einsatz …
Ich habe mir gedacht, alle großen Naturfilme zeigen mindestens eine Drohnenaufnahme. Auch wenn mein Film unter Wasser spielt – da muss eine Drohnenaufnahme mit rein. Praktischerweise besitzt der Bruder meiner Freundin eine Drohne. Der Angler wird übrigens vom Vater meiner Freundin gespielt. Die Making-off-Bilder im Abspann zeigen dann auch noch meinen Vater und Thorsten – eine Familienproduktion sozusagen.
Welche Rolle spielt ihre Familie bei ihrer Filmproduktion und Ihrer beruflichen Orientierung?
Sie unterstützen mich sehr, weil sie mir Mut machen, Dinge auszuprobieren, ohne mich in eine Richtung zu drängen oder zu bevormunden. Und sie stehen mir mit Rat und Tat zur Seite. Das ist sehr schön, und ich könnte mir nichts Besseres wünschen. Früher hätte ich immer gesagt, als 23-Jähriger hat man für alles einen Plan, aber ich bin froh, wenn ich auch mal meine Eltern oder Thorsten um Rat fragen kann.
Planen Sie bereits weitere Filmprojekte, und werden Sie künftig wieder mit einem Storyboard arbeiten?
Im Bereich Naturfilm kommt man um ein Storyboard nicht herum. Wenn man sich unter Profis umhört, die das hauptberuflich machen, zieht niemand mehr ohne Storyboard oder Drehbuch los. Welche Geschichten erzählt werden, steht schon vorher fest. Im Oktober starte ich mit meinem Masterstudium, aber wenn dann wieder Zeit ist, möchte ich vielleicht einen Film über Seegraswiesen drehen. Da wird es vorher auch ein Storyboard geben, um den roten Faden sicherzustellen.
Haben Sie zum Thema Seegraswiesen bereits ein Konzept im Kopf?
Es könnte um die ökologische Bedeutung von Seegraswiesen gehen, da sie große Mengen an CO2 binden. Zusätzlich sind sie die ‚Kinderstube’ für ganz viele Fischarten. Das Ostsee Info-Center in Eckernförde wurde sogar mit Seegras gedämmt.
Vom Hobby zur Berufung
Sie haben just Ihren Bachelor in Biowissenschaften abgeschlossen. Nun geht es mit dem Master Meeresbiologie weiter. Haben Sie den Studiengang bewusst im Hinblick auf das Thema Film ausgewählt?
Ein bisschen schon. Das Problem beim Naturfilm ist, dass es keine spezielle Ausbildung für Naturfilmer angeboten wird. In der Branche gibt es viele Quereinsteiger; Biologen und andere Naturwissenschaftler, aber auch Kameramänner. Ich habe mich schließlich für ein Biologie-Studium entschieden, weil ich es spannend finde und es gut zum Tauchen passt. Das habe ich bis heute nicht bereut.
Die biologischen Hintergrundinformationen sind für Ihre Kurzfilme enorm wichtig. Verfassen Sie die Sprechtexte selbst?
Genau, dabei hat mir mein Bachelor-Abschluss sehr geholfen. Manchmal fragt man sich ja, was man nach einem Studium überhaupt weiß, aber bei der Recherche für meinen Film wurde mir bewusst, wie viel ich doch schon einmal gehört hatte, so dass ich es einordnen konnte.
Filmemachen fing für Sie als Hobby an. Möchten Sie diese Richtung weiterverfolgen und zum Beruf machen?
Die Verbindung von Tauchen und Filmen möchte ich auf jeden Fall weiterverfolgen. Ob es nun darauf hinausläuft, dass ich reiner Naturfilmer werde, kann ich noch nicht sagen. Im Rahmen des Studiums habe ich kürzlich meine Forschungstaucherausbildung gemacht. Das ist eine Qualifikation, um zu wissenschaftlichen Zwecken tauchen zu können. Auch das würde ich gerne weiterverfolgen. Womöglich gibt es eine Chance, später einmal auf allen Interessensgebieten aktiv zu sein .
Was ist Ihnen beim Beruf besonders wichtig?
Das ist ein Thema, über das ich häufig nachdenke. Im Naturfilmbereich sind viele Selbständige unterwegs; auch ich kann mir ein solches Arbeiten gut vorstellen. Auf der anderen Seite bin ich sehr sicherheitsaffin und arbeite gerne mit Netz und doppeltem Boden. Manchmal habe ich den Eindruck , wenn sie jung sind, kommen Selbständige gut klar, aber beim Thema Altersvorsorge wird es eng. Deswegen bin ich da aktuell noch hin- und hergerissen, in welche Richtung es gehen soll. Was ich mir allerdings nicht vorstellen kann, ist ein eintöniger Schreibtischjob.
Gibt es im Hinblick auf die Bereiche Naturfilm und Kurzfilm ein Karriereziel, das Sie auf jeden Fall erreichen möchten?
Es wäre ein Traum, irgendwann ein intendierter Unterwasserkameramann zu sein. Wenn es heißt: ‚Wir möchten für eine Dokumentation oder Reportage etwas Bestimmtes in der Ostsee filmen – wen können wir da anrufen? Ach, den Philipp.’ Das wäre schön, wenn es in die Richtung ginge.
Welche Rolle spielen für Sie das Meer, insbesondere die Ostsee und die Region Eckernförde?
Eine große Rolle. Ich kann mein Glück noch immer nicht fassen, hier groß geworden zu sein. Bisher ist Eckernförde für mich die ultimative Stadt. Im europäischen Ausland ist mir noch kein Ort begegnet, den ich lieber als Heimat hätte. Ich finde, Eckernförde kombiniert eine überschaubare Größe mit der unmittelbaren Lage am Wasser, inklusive der Möglichkeiten wie Wassersport, Tauchen, SUPen [Anm. d. Red.: SUPen steht für Stand Up Paddling]. Das ist für mich einmalig. So fiel auch die Entscheidung für das Studium in Rostock. Leben am Wasser, an der Ostsee – das ist das Größte für mich.
TEXT Sophie Blady, Kristina Krijom
FOTO Philipp Hoy