Mut zur Veränderung: Tausche Grafikdesign gegen Physiotherapie

Mut zur Veränderung: Tausche Grafikdesign gegen Physiotherapie

Wie ist es, in die alte Heimat zurückzukehren und in das Familienunternehmen der Eltern einzusteigen? Das wollten wir von Johannes Piening wissen. Der gelernte Grafikdesigner malt heute nur noch in seiner Freizeit und ist sehr froh, als Physiotherapeut Menschen mit seiner Arbeit helfen zu können. Kein Wunder, denn Piening hat nicht nur sein berufliches, sondern auch sein privates Glück in Eckernförde gefunden.

Johannes, du hast in Hamburg Grafikdesign studiert und verdienst heute dein Geld als Physiotherapeut. Ein ungewöhnlicher Weg.

Ich wollte Illustrator werden und im Gamedesign arbeiten. Als ich jedoch bereits nach kurzer Zeit merkte, dass es sehr hart werden würde, in diesem Bereich einen vernünftigen Job zu finden, traf ich eine Entscheidung: Ich gehe nicht Kellnern und auch nicht Malen, ich mache eine Ausbildung zum Physiotherapeuten.

Gab es einen konkreten Auslöser für diese Entscheidung?

Meine Mutter führt die Physiotherapiepraxis Piening nun bereits seit 32 Jahren. Ich bin also quasi in der Praxis aufgewachsen, war oft dort und weiß, worum es geht. Nach einem ausführlichen Gespräch mit ihr, entschied ich, meine Zelte in Hamburg abzubrechen und zurück nach Eckernförde zu ziehen, um in die familiengeführte Physiotherapie-Praxis für Schmerz- und Bewegungstherapie einzusteigen.

Konntest du Erfahrungen aus dem Studium in deine Arbeit als Physiotherapeut einbringen?

In meinem Studium habe ich mich viel mit Zielgruppen-Denken beschäftigt. Eine Fähigkeit, die auch bei meiner Arbeit als Physiotherapeut sehr wichtig ist. Unsere Patienten haben ganz unterschiedliche Ansprüche, daher ist es erforderlich, individuell auf ihre Bedürfnisse einzugehen und ein Angebot zu erstellen, das zu dem jeweiligen Krankheitsbild und Menschen passt. Da ich während meines Studiums viel gekellnert habe, bin ich im Umgang mit Menschen sehr geübt, auch das kam mir in der Ausbildung und im Berufsleben sehr zugute. Als Physiotherapeut muss man lernen, jeden Menschen so zu nehmen, wie er ist, und herausfinden, was er braucht.

Macht genau das den Reiz dieses Berufs aus?

Auf jeden Fall. Im Grafikdesign oder anderen kreativen Berufen hängt der Erfolg stark von meinem Ergebnissen ab. Als Physiotherapeut arbeite ich sehr eng mit Menschen zusammen und schöpfe aus der Beziehung zu meinen Patienten viel Zufriedenheit. Da jeder Patient mit seiner ganz persönlichen Lebens- und Krankheitsgeschichte zu uns in die Praxis kommt, ist meine Arbeit unglaublich vielseitig und abwechslungsreich. Die Leidenschaft für diesen  Beruf wurde in der Ausbildung immer stärker, und heute bin ich wirklich froh, mich für diesen Weg entschieden zu haben. Besonders reizt mich der Umgang mit dem menschlichen Körper. In der Medizin gibt es ganz unterschiedliche Herangehensweisen und Ansätze, die  man verfolgen kann. Grundlage in meiner Ausbildung war das salutogenetische Modell, welches im Gegensatz zur klassischen Medizin (Pathogenese), die Idee verfolgt, dass es Faktoren im Leben gibt, die Krankheiten verhindern oder aber fördern: Ein Mensch, der mitten im Leben steht, frisch verliebt ist und erfolgreich im Beruf, ist beispielsweise eher in der Lage, eine Knieproblematik wegzustecken, als eine Person, die zusätzlich mit vielen anderen Nöten zu kämpfen hat.
Als Physiotherapeut arbeite ich sehr eng mit Menschen zusammen und schöpfe aus der Beziehung zu meinen Patienten viel Zufriedenheit.

Physiotherapeuten arbeiten sehr eng und intensiv mit Menschen zusammen, warum ist die Ausbildung rein schulisch?

Ich denke, das hat zum einen historische Ursachen, zum anderen eignen wir uns in der Ausbildung einen umfangreichen theoretischen Background an. Die Ausbildung in Damp beginnt mit einem sechsmonatigen Theorieblock, auf den Massagetechniken und Hydrotherapie folgen, bevor das erlernte Wissen in einem Praktikum zum ersten Mal Anwendung findet. Die Praktika werden von Jahr zu Jahr vielseitiger und komplexer.

Damit die Auszubildenden möglichst viele Einblicke in verschiedene Bereiche des Klinikalltags erhalten, sind sie in Kleingruppen organisiert.

War dir bereits zu Beginn deiner Ausbildung klar, dass du in die Familienpraxis Piening einsteigen würdest?

Ja, das war mir von Anfang an klar, weil ich – wie gesagt – quasi in der Praxis aufgewachsen bin.

Wie ist die Zusammenarbeit mit der eigenen Mutter als Chefin?

Das ist gar kein Problem, da ich mit meiner Mutter eine gesunde Streitkultur pflege (lacht). Ich habe mich bewusst dazu entschieden, direkt in die Familienpraxis einzusteigen, da ich mich für reif genug halte, professionell und auf Augenhöhe mit meinen Eltern zusammenzuarbeiten – und das klappt auch sehr gut. Da jeder Therapeut sich seinen eigenen Patientenstamm aufbaut und diesen eigenverantwortlich behandelt, gibt es ohnehin wenig Reibungspunkte. Ich empfinde es eher als hilfreich, dass meine Mutter mittlerweile sehr viel Erfahrung hat und ich sie jederzeit um Rat fragen kann.

Welche neuen Impulse möchtest du in der Praxis Piening setzen?

Da ich als Grafikdesigner die Erfahrung gemacht habe, dass motivierte junge Berufseinsteiger, die bereit sind, alles zu geben, oft nicht besonders wertschätzend behandelt werden, ist es mir ganz wichtig, mit der Praxis einen Arbeitsort zu schaffen, an dem sich unsere Mitarbeiter respektiert und willkommen fühlen. Der kollegiale Umgang und der persönliche Kontakt unter den Mitarbeitern und mit unseren Patienten ist ein großer Wert, den eine etablierte Praxis in einer Kleinstadt wie Eckernförde möglich macht – das weiß ich sehr zu schätzen und dafür setze ich mich aktiv ein. Unsere Mitarbeiter sollen jeden Tag mit Freude zur Arbeit kommen und die Chance haben, ihren Beruf mit Begeisterung auszuüben.

Gibt es neue Trends in der Physiotherapie, die ihr in der Praxis Piening verfolgt?

Wir machen seit ein paar Jahren Yoga im therapeutischen Sinne. Ein großer Umbruch in diesem Beruf wird aber auch die Akademisierung der Physiotherapie sein. Es gibt Behandlungsmethoden wie Manuelle-Therapie-Konzepte, mit denen Therapeuten über viele Jahre sehr erfolgreich behandeln, die nun wissenschaftlich hinterfragt werden. Da die Herangehensweise durch die universitäre Ausbildung langjährige Erfahrungswerte und BIAS (eine Verzerrung in der Wahrnehmung der Realität) durch Studien widerlegt, könnte ich mir sogar vorstellen, dass ein Generationenstreit entfacht wird: wissenschaftliche Erkenntnisse gegen langjährige Erfahrungswerte. Auch wenn ich die Akademisierung dieses Berufs durchaus kritisch sehe, habe ich mich für ein Studium entschieden und bin sehr gespannt, wie sich die neuen Erkenntnisse konkret auf unsere Arbeit auswirken werden. Grundsätzlich bin ich jedoch davon überzeugt, dass die Erfahrung in diesem Beruf der größte Wert ist.

Die Akademisierung der Physiotherapie wird einen großen Umbruch in dem Beruf herbeiführen.

Warum hast du dich dann dafür entschieden, nebenberuflich ein Studium aufzunehmen?

Je besser ich ausgebildet bin, umso mehr Möglichkeiten eröffnet mir der Beruf – sei es in der Lehre oder in der Behandlung von Patienten. Mit dem Bachelor kann ich als Lehrer für Examensabsolventen arbeiten und mit dem Master als Dozent unterrichten.

In der Diskussion sind zudem Blankoverordnungen und Direktzugänge, ähnlich wie bei Heilpraktikern, bei denen Patienten ohne Überweisung in die Praxis kommen können und die Behandlung nicht zeitlich durch einen Arzt reguliert wird.

Physiotherapeuten arbeiten ja sehr eng mit ganz unterschiedlichen Menschen zusammen.

Es gibt durchaus Schicksalsschläge, die einen auch zu Hause nicht loslassen, gerade wenn es sich um Patienten handelt, die wir über einen sehr langen Zeitraum betreuen. Als Physiotherapeuten kommen wir auch immer wieder mit dem Tod in Berührung und besuchen die Menschen in ihren eigenen vier Wänden oder im Heim. Ein Patient, den ich über ein Jahr jede Woche behandelt habe, ist gerade letzte Woche verstorben, das tut weh, da gibt es nichts schönzureden. In diesem Beruf müssen wir sehr sensibel auf unserer Gegenüber eingehen, immer den richtigen Ton treffen und auch manchmal Überzeugungsarbeit leisten. Der Grundstock dafür wird in der Ausbildung gelegt, aber ich habe in den eineinhalb Jahren, in denen ich Berufserfahrungen in der Praxis gesammelt habe, schon viel dazu gelernt.

Hat sich eure Arbeit in der Coronazeit verändert?

Im härtesten Lockdown sind besonders viele Patienten zu uns gekommen und haben vor allem den sozialen Kontakt sehr genossen.

Wie war es nach dem Studium in Hamburg und ersten Berufserfahrungen nach Eckernförde zurück zu kehren?

Erstmal bescheiden (lacht). Die Rückkehr nach Eckernförde war eine echte Zäsur für mich: In Hamburg habe ich in Bars gearbeitet, gezeichnet und lange geschlafen. Ein sehr entspannter Lifestyle, der in der Ausbildung nicht mehr möglich war. Ich habe in Rieseby über meinen Eltern in einer Einliegerwohnung gewohnt. Inzwischen bin ich mit meiner Frau, die ich während der Ausbildung kennengelernt habe, nach Eckernförde gezogen und sehr glücklich, wieder zurück gekommen zu sein.

Schwimmen ist für mich wie Fliegen.

Wenn man als Jugendlicher geht und als Erwachsener zurückkehrt, sieht man eine Stadt wie Eckernförde sicherlich mit anderen Augen. Was ist dir aufgefallen?

Dass es noch weniger Bars als früher hier gibt (lacht). Aber das Meer ist grandios! Ich bin zwar kein Strandgänger, aber ich liebe es abzutauchen. Schwimmen ist für mich wie Fliegen. Nach Feierabend gehe ich gerne mit meiner Frau und hoffentlich bald auch mit unserem Dackel Gandhi auf der Schlei SUP’n. Außerdem setze ich mich voller Begeisterung als ehrenamtlicher Schwimmlehrer bei den Wasserfreunden dafür ein, dass Kinder in Eckernförde schwimmen lernen. Meine größte Leidenschaft gilt jedoch der Malerei. Ich habe 2009 an der Wall im Skaterpark in Eckernförde mitgewirkt, eine legale Graffiti-Wand, die wir mit einer Streetworkerin und dem Kieler Spraydosen Künstler Michel Wende aufgestellt haben. Malen ist immer noch ein großes Hobby, wenn ich male, kann ich richtig abschalten und in meine eigene Welt eintauchen.

Vielen Dank für das inspirierende Gespräch und die Erkenntnis, dass es sich manchmal lohnt, seine Ziele zu überdenken und einen neuen Weg einzuschlagen.

TEXT Sophie Blady
FOTO Henrik Matzen