Open-Air-Konzerte zum Mitsingen, eindrucksvolle Oper-Inszenierungen und Kunst und Kultur hautnah erleben. Es fühlt sich fast so an, als ob solche Erlebnisse Teil eines anderen Lebens wären. Durch die Corona-Pandemie ist das Kulturleben größtenteils zum Erliegen gekommen. Künstler, Kulturschaffende überhaupt leiden noch immer unter den schwierigen Bedingungen der letzten eineinhalb Jahre.
Ein Grund, den Kopf in den Sand zu stecken? Mitnichten! Viele kreative Ideen wurden durch Corona beflügelt: Online-Konzerte und -Workshops oder mal ein Comedy-Auftritt, bei dem die Zuschauer und Zuschauerinnen auf ihren Balkonen sitzen. Aber obwohl die Not ziemlich erfinderisch gemacht hat, ist es nicht von der Hand zu weisen, dass es die Menschen langsam, aber sicher wieder zurück auf die Große Bühne treibt – zurück zur Normalität eben. Solange die Infektionszahlen stabil sind und die Zahl der Geimpften steigt, steht einem Neuanfang eigentlich nichts mehr im Wege.
Und da kommen die Eutiner Festspiele wie gerufen. In den Sommermonaten werden in der Rosenstadt auf der Freilichtbühne am Eutiner See seit 1951 jedes Jahr Opern und Operetten sowie moderne Musicals und Konzerte aufgeführt. Ins Leben gerufen wurden die Spiele anlässlich des 125sten Todestages des Komponisten Carl Maria von Weber, der in Eutin geboren wurde. Große Klassiker wie Mozarts „Zauberflöte“ und Verdis „Aida“ wurden schon aufgeführt. Bis zu 2000 Zuschauern bieten die Tribünen Platz. Zahlreiche Künstler und Künstlerinnen, darunter viele aus dem Ausland, traten hier schon auf und zeigten ihr Können. Seit 2011 werden die Spiele von der Eutiner Festspiele gemeinnützige GmbH (gGmbH) geleitet. Gleichzeitig arbeitet man bei der Umsetzung eng mit dem Stadtmarketing und der Eutiner Tourist-Info zusammen.
2021 präsentierten die Veranstalter ein buntes Programm mit über 30 Events zwischen dem 2. Juli und dem 22. August. Auf dem Programm standen diesmal Giacomo Puccinis Oper „La Bohème“ und das Musical „Cabaret“ mit der Kammerphilharmonie Lübeck. Dazu gesellen sich Konzerte für Klassik- und Jazzenthusiasten wie „In The Mood: Swinging“ unter der musikalischen Leitung von Hilary Griffiths sowie Max Raabe und das Palast Orchester. Wer es hingegen etwas moderner mag, ist beim Singalong „Eutin Singt“ mit Niels Schröder und Band gut aufgehoben.
Es gab nicht immer gute Zeiten
Dass es diese traditionsreiche Großveranstaltung in Ostholstein überhaupt noch gibt, ist dabei keine Selbstverständlichkeit. Seit ihrem 70-jährigen Bestehen gab es nämlich nicht nur rosige Zeiten: In den Nullerjahren gerieten die Festspiele zunehmend in wirtschaftliche Schwierigkeiten. „Die alten Festspiele hatten irgendwann nicht mehr genügend Zuschauer und sind in der Folge insolvent gegangen“, erzählt Ulrike Horstmann von der Pressestelle der Eutiner Festspiele gGmbH.
Die Insolvenz war aber nicht nur für die alte Eutiner Festspiele GmbH ein herber Schlag, sondern auch für die örtlichen Einzelhändler sowie die Gastronomen. „Sie verstanden schnell, dass die Festspiele bisher immer ein Werbe- aber auch ein Einkommensfaktor waren“, so Horstmann. Insbesondere der Wegfall der Tagestouristen, die heute knapp 50 Prozent der Gäste ausmachen, war bitter, wie Anne Suikat von der Eutiner Tourist-Info weiß: „Diese Menschen kommen aus ganz Schleswig-Holstein und Hamburg. Viele besuchen nicht nur die Festspiele, sondern gehen in die Restaurants, kaufen ein oder besichtigen die Sehenswürdigkeiten“.
Und das ist nicht zu unterschätzen. Laut Kerstin Stein-Schmidt vom Eutiner Stadtmarketing spülen die Touristen und Touristinnen bis zu 600.000 Euro pro Saison in die Kassen der regionalen Betriebe.
Grund genug die Festspiele nicht aufzugeben, dachte sich da wohl Ende 2010 die Wirtschaftsvereinigung Eutin e.V. – eine Initiative von rund 80 Mitgliedern aus der regionalen Wirtschaft, die sich für die Kultur einsetzen. „Sie riefen die Festspiele neu ins Leben und gründeten in diesem Zuge auch die ‚Neue Eutiner Festspiele gemeinnützige GmbH‘“, erklärt Horstmann. 2015 stieg die Vereinigung als alleinige Gesellschafterin jedoch aus, und letztendlich wurden die Anteile dann von Privatleuten übernommen. Natürlich gab es in dieser Zeit auch einige Personalwechsel. Heute arbeiten bei der GmbH sieben Personen hauptamtlich sowie weitere Personen im Ehrenamt. Offizielles Gesicht der Geschäftsführung sind Falk Christoph Herzog, dessen Augenmerk auf Verwaltung, Finanzen und Vertrieb liegt sowie Anna-Luise Hoffmann, die für die Organisation der künstlerischen Arbeit zuständig ist.
Natürlich hat man als gGmbH auch an den Nachwuchs gedacht: „Ausbildung bieten wir zwar nicht an, aber ein Freiwilliges Soziales Jahr (FSJ) kann man bei uns machen. Dabei lernen die Freiwilligen alles kennen: vom Bühnenbau bis hin zur Arbeit in der Verwaltung. Natürlich erleben sie auch den Stress und die Hektik des Alltages und erlernen den Umgang mit Künstlern und Journalisten. Also eine Arbeit, die junge Menschen mit Interesse an Kultur anspricht? „Ja, auf jeden Fall“, meint Ulrike Horstmann. Wer also Interesse daran hat, das kulturelle Leben in Eutin mitzugestalten, ist hier gut aufgehoben.
Wie wichtig dieser Aspekt tatsächlich ist, hat sich auch schon in einer Studie des Stadtmarketings gezeigt: „Wir haben gerade einen umfassenden Markenbildungsprozess hinter uns. Auch bei diesem Prozess wurden die Festspiele als kulturell herausragend und imageprägend für die Stadt und die Marke Eutin identifiziert“, sagt Stein-Schmidt. Und Horstmann ergänzt: „Eutin hat zwar nur etwa 17.000 Einwohner, aber ist kulturell eine sehr lebendige Stadt“.
Corona führt hier nicht Regie
Diese Lebendigkeit und der Hunger der Menschen nach Kultur, äußert sich besonders deutlich nach dem Corona-Jahr: Schon 80 Prozent der rund 30.000 verfügbaren Tickets seien laut Horstmann verkauft. Für einige der „Cabaret“-Vorstellungen bekommt man gar keine Plätze mehr. Auch die Premiere von „La Bohème“ am 30. Juli war ausverkauft. Dabei darf man, so Horstmann, aber nicht vergessen, dass aufgrund der Hygienemaßnahmen bei jeder Veranstaltung nur eine Auslastung von 50 Prozent angeboten werden kann, um den Mindestabstand zu wahren. Nur mit diesen Vorgaben der Landesregierung sei eine Umsetzung der Spiele in diesem Jahr überhaupt möglich.
Da die Maßnahmen erst im Juni vorlagen, herrscht im Moment ganz schön viel Stress für das Team der Festspiele: „Für uns stand lange ja gar nicht fest, ob die Saison überhaupt stattfinden kann. Daher haben wir auch lange mit dem Ticketverkauf gewartet“, sagt Horstmann. Diese Vorsicht resultiert aus den Erfahrungen von 2020: „Wir beginnen mit dem Kartenverkauf eigentlich sehr früh, da viele sie zum Beispiel gerne als Weihnachtsgeschenk kaufen. Aber dann kam Corona, und wir ahnten schnell, dass die Saison wohl nicht stattfinden kann“, erinnert sich Horstmann. Bis zum Lockdown im März waren allerdings schon weit mehr als 10.000 Tickets im Umlauf. „Die Kunden konnten dann wählen zwischen der Rückgabe, einem Gutschein oder der Möglichkeit, den Betrag zu spenden“, so Horstmann. Rund 10 Prozent entschieden sich für die Spende und halfen somit bei der Tilgung der Kosten, die bis dato angefallen waren. Für die Festspiele eine große Hilfe, denn sie finanzieren sich zu 85 Prozent aus den Verkaufserlösen. Öffentliche Mittel machen etwa 10 bis 15 Prozent aus.
Zusätzlich gibt es Sponsoren wie die Sparkasse Holstein und die Stadtwerke.
Natürlich existieren neben dem stressigen Ticketverkauf noch viele weitere Herausforderungen in diesem Jahr. Dazu gehört ein angepasstes Konzept für den Probenbetrieb sowie die regelmäßigen Testungen aller Künstler und Künstlerinnen. Aber trotz all der Hektik und dem abgespeckten Publikumsverkehr bleibt das Team rund um Horstmann positiv. Auch wirtschaftliche Verluste seien im Moment nicht zu erwarten. „Wir sind Optimisten“, versichert sie.
Unterstützt wird dieser Optimismus vielleicht auch durch die guten Kritiken des Publikums und Presse für die bisher aufgeführten Events. „Wir haben begeisterte Rückmeldungen für das Musical ‚Cabaret‘ erhalten“, freut sich Horstmann. „Man sieht es ja auch daran, dass die Vorstellungen vielfach ausverkauft sind“. Das gilt natürlich nicht nur für das Musical, sondern auch für die Oper.
Eine Frage muss man stellen: „Wer besucht solche Veranstaltungen überhaupt?“ Allzu jung ist das Publikum nämlich nicht mehr. Woran das liegt, weiß Ulrike Horstmann: „Die Oper stellt für Jugendliche generell eine große Hemmschwelle dar“. Es sei schwierig sie mit stundenlangen Gesangseinlagen zu begeistern. „Es wird ja auch in der Originalsprache gesungen, und viele wissen dann nicht, worum es eigentlich geht. Da muss man sich schon von der Musik anstecken lassen, und das funktioniert in der Regel eher beim Musical, denn Melodien und Handlung sind eingängiger wie die Einlage einer Opern-Diva, die gefühlte fünfzehn Minuten den Tod besingt.“
Auch die übrigen Programmpunkte sprächen ihrer Meinung nach eher eine ältere Generation an. Was natürlich nicht heißt, dass keine Jungspunde zu den Hits der 70er, 80er und 90er Jahre beim Mitmach-Event „Eutin singt“ im August mitträllern dürfen.
Dass die Jugend weniger im Fokus steht, sei laut Horstmann auch eine Folge der Corona-Krise. „Wir können noch nicht alles machen.“ Fallengelassen wurde daher auch vorerst ein Projekt, welches Opern in gekürzter Fassung etwas jugendgerechter aufbereitet. In den letzten Jahren waren die Vorstellungen gut besucht, aber 2021 musste man verzichten.
Klassik meets Musical
Worauf man allerdings nicht verzichten wollte, ist die Einbindung Carl Maria von Webers und seiner Oper „Der Freischütz“. 200 Jahre nach der Uraufführung kombiniert der Künstlerische Leiter für Klassik, Hilary Griffiths, die Musik von Webers Werk mit dem Musical „West Side Story“ für ein Konzert im September auf der Seebühne.
Weber einen Platz im Programm zu sichern, geschehe laut Horstmann aus Ehrfurcht, da die Spiele seinetwegen gegründet worden seien und seine Musik für die Eutiner nun einmal dazugehöre. Das bestätigt auch Kerstin Stein-Schmitt: „Der Freischütz ist hier in der Region mit der Wolfsschlucht fest verankert“.
Allerdings gibt Horstmann zu bedenken: „Weber ist international mehr präsent als in Deutschland.“ Auch seine Bekanntheit sei nicht so ausgeprägt, wie man vielleicht glauben mag. Das hätten, Horstmann zufolge, die letzten Umfragen gezeigt.
Aber auch wenn die Besucher nicht für ihn Schlangestehen, das Programm kommt bei dem Publikum gut an. Größtes Highlight ist, Horstmann Meinung zufolge, die Oper „La Bohème“, die mit der gesanglichen Leistung der Sopranistin Alyona Rostovskaya als Mimi überzeugen konnte.
Vielleicht wird man sie ja auch in Zukunft noch öfter auf der Festbühne sehen. Möglicherweise sogar schon bald von der nagelneuen Tribüne aus: „Unsere Tribüne, die ja noch aus den 70er Jahren stammt, soll möglichst 2023 erneuert werden. Dazu braucht es aber noch ein paar Fördermittel“, erzählt Horstmann. Außerdem sind Investitionen in neue Technik vorgesehen. Neue Mikros wurden bereits angeschafft, so dass man die Künstler noch besser hören kann.
Und wenn die Festspiele weiterhin so ein Publikumsmagnet bleiben, wird man sie sicherlich auch bald von der modernisierten Tribüne aus noch viel besser sehen können.
Darf es noch etwas „Mehr“ sein?
Alle, die von Festivals gar nicht genug bekommen können, sollten einen Blick in das Programm des Schleswig-Holstein Musik Festivals werfen. Dort findet man neben Konzerten mit Quasthoff & Friends in Lübeck und Lesungen in Hamburg mit Christian Brückner auch einen Termin mit Axel Prahl und dem Inselorchester auf der Freilichtbühne in Eutin. Der gebürtige Eutiner ist den meisten vielleicht als Hauptkommissar Frank Thiel aus dem »Tatort« Münster bekannt. Aber Prahl kann noch viel mehr, als nur schauspielern. Sein Musikstudium absolvierte er in Kiel und zog dann als Straßenmusikant durch Spanien, bevor er einen Abstecher in die Schauspielerei machte. Aber die Musik ließ ihn nicht los, und so veröffentlichte er mit über 50 Jahren zusammen mit dem Inselorchester seine Platte „Blick Aufs Mehr“. Und der Name ist Programm: zu eingängigem Gitarrensound singt er mit rauchiger Stimme vom Leben und von der Vergänglichkeit, entführt die Zuhörer nach Hamburg und dann wieder nach Paris. Seine Lieder regen mal zum Mitklatschen und mal zu Nachdenken an. Am 25. August konnte man Axel Prahl hautnah auf der Freilichtbühne erleben. An dem Tag besuchte er wieder mal seine Heimatstadt, hatte all seine Songs mit im Gepäck und begeisterte das Publikum.
Bluesfestival für den kleinen Geldbeutel
Noch nicht genug von Musik und Tanz? Dann auf zum BluesBaltica! Eine Fülle an Konzerten und Veranstaltungen rund um den Blues. Den Anfang macht das Bluesfestival vom 9. bis zum 12. September auf dem Eutiner Marktplatz. Bis zu 12.000 Besucher können dann Musiker und Musikerinnen aus der ganzen Welt live erleben. In diesem Jahr sind unter anderem die Natural Boogie aus Dänemark, Smooth Gentlemen aus Polen und Neal Black aus den USA zu Gast und rocken die Bühne. Ausstellungen bekannter Fotografen und Fotografinnen sowie weitere Events runden das Programm ab. Und das beste: es wird kein Eintritt erhoben. Wer etwas zurückgeben möchte, kann spenden. Dazu einfach Ausschau nach der Spendendose halten, die während der Konzerte rumgeht. Ab 10 Euro gibt es sogar eine CD geschenkt. Weitere Veranstaltungen im Rahmen des BluesBaltica sind das German Blues Challenge Blues Awards & Festival am 1. und 2. Oktober sowie die Hamburg Blues Nights am 29. und 30. Oktober. Interessierte sollten regelmäßig einen Blick auf die Seite des Veranstalters werfen. Aufgrund der Corona-Verordnungen kann es zu kurzfristigen Änderungen kommen. Das BluesFestival musste beispielsweise bereits von Mai in den September geschoben werden.
FOTOS © Eutiner Festspiele
TEXT Juliane Urban