Zeitungen sterben, der Journalismus nicht. Davon ist Jörn Radtke, Professor für Journalismus an der Fachhochschule Kiel, überzeugt. Er erklärt, warum sich der Job trotz aller Widrigkeiten nach wie vor lohnt.
Herr Radtke, die Medienlandschaft hat sich in den vergangenen Jahren massiv verändert: Zeitungen sterben, Fernsehen und Radio haben an Einfluss eingebüßt. Würden Sie trotzdem noch jungen Menschen zu einer Karriere im Journalismus raten?
Klar! Ich bin nach wie vor absolut davon überzeugt, dass es sinnvoll ist, Journalist oder Journalistin zu werden. Ich war selbst Journalist – und ich liebe diesen Beruf. Und ich bin absolut überzeugt von der gesellschaftlichen Funktion dieses Berufes. Allerdings muss man sich aber auch klarmachen, worauf man sich da einlässt. Denn die Lage für Journalisten ist deutlich schwieriger geworden.
Wie macht sich das für junge Menschen bemerkbar?
Die Arbeitsverhältnisse haben sich verändert. Und die Verlage haben eine Zeit lang weiterhin gedacht, mit vergleichsweise mäßiger Bezahlung und schwierigen Arbeitsverhältnissen bei den jungen Leuten punkten zu können. Aber der Arbeitsmarkt hat sich eben auch komplett verändert.
Das dürfte inzwischen auch bei den Verlagen angekommen sein, denn fast alle Medien haben Nachwuchsprobleme. Ist jungen Menschen die Lust auf Journalismus vergangen?
Nein. Ich sehe noch immer diese Lust, ‚irgendwas mit Medien‘ zu machen. Aber es ist eben sehr viel einfacher, Instagramer zu sein, als Journalist zu werden. Es war früher normal, dass Verlage auf zwei freie Stellen 200 Bewerber hatten – und heute haben sie Probleme, die Stellen überhaupt qualifiziert zu besetzen. Wir haben an der Fachhochschule sowohl die journalistische Ausrichtung als auch die Richtung PR. Und es gibt eine eindeutige Verschiebung hin zur PR. Es ist nicht so, dass die jungen Leute nicht mehr eine Öffentlichkeit suchen würden. Aber sie haben auch keine Lust auf prekäre Arbeitsverhältnisse im Journalismus.
Könnte das vielleicht auch eine Chance sein, überhaupt im Journalismus zu starten? Immerhin können sich angehende Journalistinnen und Journalisten viel eher die Jobs aussuchen, die sie haben wollen…
Aus meiner Sicht war es nie leichter, in den Journalismus zu kommen, als jetzt. Das ist eine Situation, wie wir sie in den letzten 30 oder 40 Jahren nicht hatten. Es gibt Medienhäuser – vor allem in den neuen Bundesländen –, die können ihre Volontärstellen nicht besetzen. Es ist für viele aber nicht interessant, nach Schwerin zu gehen, wenn man woanders ein Volontariat machen kann.
Geht es nach den Dystopien einiger Experten, müssten künftig etliche Stellen nicht mehr nachbesetzt werden. Immerhin kann Künstliche Intelligenz (KI) schon heute besser schreiben als mancher Mensch. Werden ChatGPT und Co Journalisten-Jobs kosten?
Ich sehe KI durchaus als Gewinn. Texte, bei denen einfach Fakten runtergeschrieben werden müssen, kann eine KI genauso gut wie ein Mensch erledigen – und sie sollte es auch tun. Denn so etwas bindet Arbeitskraft in Redaktionen. Aber da, wo es tatsächlich um die eigentlich wichtigen Funktionen des Journalismus geht, also bei Interpretation, Meinungsbildung, Kontrollfunktion, sind wieder die Menschen gefragt. Wir können eine KI über ein Fußballergebnis schreiben lassen. Wir sollten ihr aber nicht übertragen, unsere Gesellschaft zu bewerten oder die Arbeit von Politikern zu hinterfragen und einzuordnen. Dafür hätten dann die Journalisten mehr Zeit: für Recherche, Einordnung, Interpretation, Kontrolle.
Nicht nur der Arbeitsmarkt ändert sich, auch die Medienwelt. Was bedeutet das für künftige Medienschaffende?
Die Zeitung als Printmedium stirbt – das ist nur noch eine Frage der Zeit. Und ich glaube, dass sich online zwei Produkte etablieren werden: Das eine ist echter und originärer Online-Journalismus, bei dem sich die Formen im Netz bilden. Und das zweite ist letztlich das alte Printprodukt in Online-Form, also das E-Paper, angereichert um Online-Funktionalitäten. Damit ändert sich zumindest bei letzterem inhaltlich nicht viel für die Journalisten. Wie lange, ist allerdings offen. Aber solange es Leute aus meiner Generation noch gibt, wird auch ein klassisches Produkt existieren – nur eben für das Tablet und nicht mehr auf Papier.
Aber haben Ihre Studierenden überhaupt noch Lust auf das klassische Produkt, vor allem auf Lokaljournalismus?
Ich bin mir ziemlich sicher, dass junge Menschen mit dem klassischen Lokaljournalismus gar nichts anfangen können. Das heißt aber nicht, dass es sie nicht interessieren könnte. Die Art Lokaljournalismus, die wir gemeinhin kennen, ist aus einer Leserschaft entstanden, die heute alt ist. Es ist eine bestimmte Form entstanden: bestimmte Darstellungsformen und eine bestimmte Themensetzung. Dieses Verständnis von Lokaljournalismus lässt sich auf die junge Generation überhaupt nicht übertragen. Aber alle Nachrichtenfaktoren des Lokalen treffen natürlich genauso auf die jungen Leute zu. Man müsste aber andere Themen, eine andere Aufbereitung, einen anderen Zugang finden.
Wenn junge Menschen trotz alledem im Medienbereich arbeiten wollen: Gibt es den einen richtigen Weg, um Journalist zu werden?
Nein. Aber das macht den Job ja auch aus. Im Prinzip muss man journalistisch arbeiten, um Journalist zu werden. Ein rein theoretischer Journalismus-Studiengang ist aus meiner Sicht nicht zielführend. Es macht aber durchaus Sinn, sich mit der Theorie auseinanderzusetzen. Es hat aber gute Gründe, dass es nicht den einen Weg in den Journalismus gibt, allein schon aufgrund seiner Funktion und seiner Vielfältigkeit.
TEXT Robert Otto-Moog
FOTO Fachhochschule Kiel