Industriedesigner Jochen Müller

Industriedesigner Jochen Müller

„Wir bräuchten das Schulfach Ästhetik!“

Innovation, Weiterentwicklung und Verbesserung – das sind die Leitmotive, mit denen die Industriedesigner Jochen Müller und Jens Romca ihre Designs entwickeln. Nach dem Industriedesign-Studium an der Muthesius Kunsthochschule gründeten die beiden Freunde 1993 ihre Firma müller/ romca industrial design und sind bis heute der Landeshauptstadt treu geblieben. Lohn ihrer fast 25-jährigen Erfolgsgeschichte: Viele Kunden schwören auf die Designs von müller/romca, u.a. Airbus, Deutsche Lufthansa AG oder Siemens Mobility. Wir haben Jochen Müller in seiner Werkstatt am Nord-Ostsee-Kanal getroffen und ihn zum Beruf des Industriedesigners befragt.

Erste Frage: Was war das erste Design, an das Sie sich erinnern?

Ich hatte tatsächlich ein Schlüsselerlebnis, als ich 1972 mit meinen Eltern nach Kiel zog. Überall hingen die Plakate und Flaggen für die Olympischen Sommerspiele und die Segelwettbewerbe im Olympiazentrum. Diese Grafiken, Schriften und Symbole haben mir als kleiner Junge sehr gut gefallen.

Mueller Romca Design

Die wenigsten wissen, warum sie ein bestimmtes Design ästhetisch finden.

Gemeinsam mit Ihrem Geschäftspartner Jens Romca arbeiten Sie seit 1993 in Kiel als erfolgreiche Industriedesigner. Wie hat das damals alles angefangen?

Nach dem Studium haben wir uns als Desig­ner bei Industriefirmen beworben, waren uns aber gar nicht so sicher, ob wir über­ haupt aus Kiel wegziehen wollen. Gleich­zeitig erhielten wir, auf Empfehlung einer Bekannten bei einer Werbeagentur, einen ersten lukrativen Auftrag für Kosmetikver­packungen. So hat sich das eher beiläufig ergeben, dass wir gesagt haben: So, jetzt sind wir selbständig und bleiben hier!

Sie haben Industriedesign an der Muthesius Kunsthochschule Kiel studiert. Wie haben Sie das Studium empfunden?

Das Studium hat total Spaß gemacht. Wir hatten einen Schlüssel für unsere Werkstat­träume, haben dort Abendbrot gegessen und quasi gelebt. Studiert haben wir wie in einer kleinen Blase und konnten experimentieren, abgesondert von der wirtschaftlichen Reali­tät. Da konnte man auch mal Blödsinn ver­zapfen, aber diese Entwicklung und Atmo­sphäre war frei. Auch wenn man mit den Semesterprojekten im Stress war – so eine Freiheit im Machen und Denken habe ich nie wieder erlebt. Das weiß man erst später rich­tig wertzuschätzen!

Mueller und Romca

Designer aus Leidenschaft: Jochen Müller (links) und Jens Romca (rechts).

Mit welchen Aufträgen gelang Ihnen der Durchbruch und woran arbeiten Sie zurzeit?

Nach einigen durchwachsenden Jahren erhielten wir einen der ersten großen Aufträge, über unser Netzwerk, von Air­ bus Deutschland. Er betraf das Design der Bordtoiletten für den Airbus A340. Diese Geschäftsbeziehung hält schon seit fast 20 Jahren. Ganz aktuell arbeiten wir wieder am Design von Aircraft Lavatories, doch wir ent­ wickeln auch Designs und bauen Mock­ups für andere Konsum­ und Investitionsgüter oder betreiben Modellbau.

Was benötigen Industriedesigner für Kennntisse und Fähigkeiten?

Es gibt unseren Beruf ja nicht als Ausbil­ dungsberuf, sondern nur als Studium. Ich selbst habe vor dem Studium eine Lehre als Tischler abgeschlossen. Eine Kollegin ist gelernte Bootsbauerin. In der handwerk­lichen Ausbildung habe ich viel gelernt und darüber erst die Gestaltung entdeckt. Grundsätzlich benötigen Industriedesigner ein gutes handwerkliches und technisches Verständnis, ein Talent zum Zeichnen, Com­puterkenntnisse sowie Gestaltungswillen.

Mueller Romca Design

Social Media, YouTube und Selfiekultur – junge Generationen sind bild-, video- und designaffin. Empfinden Sie diese Entwicklung als positiv?

Ein Selfie zur Selbstdarstellung finde ich persönlich furchtbar und das hat meist kei­nen gestalterischen Wert. Sorge bereitet mir aber vor allem die Tatsache, dass immer weniger Jugendliche Lust haben, zu basteln, zu tüfteln und handwerklich zu arbeiten. Wir Designer müs­sen dazu in der Lage sein, technisch zu denken und mit Ingenieuren zu diskutieren, wie ein Design technisch umgesetzt werden kann.

Vor Kurzem plädierten Sie dafür, dass wir ein Schulfach ‚Ästhetik‘ bräuchten. Warum könnte das hilfreich sein?

Es würde uns Menschen urteilsfähiger machen. Wenn wir heute ein Apple-­Produkt sehen finden wir das Design cool und möch­ten es kaufen. Doch die wenigsten wissen, warum sie ein bestimmtes Design ästhe­tisch finden! Welche Aspekte beein ussen unsere Kaufentscheidungen am stärksten? Statusdenken, Material, Nachhaltigkeit oder Funktionalität? Ein anderes Beispiel: Die meisten Menschen kennen das Design eines VW Golfs. Aber versuchen Sie mal, das Desig­ntypische der Golf­-Familie in Worte zu fas­sen. Wenn wir uns intensiver mit Ästhetik beschäftigen, lernen wir, bewusstere Kauf­entscheidungen zu fällen, die zum Beipiel nachhaltiger sind. Das hätte meines Erach­tens breite gesellschaftliche Auswirkungen. Das könnte sich auch positiv auf unsere Psyche auswirken. Eine hässliche Umgebung ist wie schlechtes Wetter. Das hält man auch nicht dauerhaft aus.

TEXT Christian Dorbandt
FOTOS Eric Genzken