Im Kreißsaal und Hörsaal – Start des neuen Studiengangs Hebammenwissenschaft an der Universität zu Lübeck
Mit dem dualen Studiengang Bachelor of Science in Hebammenwissenschaft hat die Universität zu Lübeck ein innovatives und in Deutschland einzigartiges Studienprogramm entwickelt. Im Oktober haben nun die ersten 20 Studentinnen den bundesweit ersten universitären Studiengang Hebammenwissenschaft begonnen. In Zusammenarbeit mit der UKSH Akademie des Universitätsklinikums Schleswig-Holstein erlernen sie das Beste aus berufspraktischer Ausbildung und wissenschaftlichem Studium.
Katharina Schmitt-Raiser und Lina Mittelstedt haben es geschafft. Beide haben sich erfolgreich um einen Studienplatz beworben und gehören nun zu den ersten, die in Deutschland den Beruf der Hebamme an einer Universität erlernen werden. Das Interesse an dem akademisierten Gesundheitsberuf in Lübeck ist groß. Für die 20 Studienlätze gab es mehr als 100 Bewerber. „Auf der nordjob habe ich am Messestand der UKSH-Akademie von dem neuen Studiengang Hebammenwissenschaft erfahren und war gleich begeistert. Den Gedanken, Hebamme zu werden, hatte ich schon früher. Es ist ein faszinierender Beruf. Eigentlich wollte ich nach dem Abitur studieren und mehr als eine Ausbildung machen. Das neue Studienangebot der Universität zu Lübeck ermöglicht mir nun beides: die Ausbildung zur Hebamme und einen akademischen Abschluss“, erzählt die 23-jährige Katharina.
Ein Studium – zwei Abschlüsse
Das Studium Hebammenwissenschaft ist dual organisiert. Nach sechs Semestern legen die Studierenden ihr Staatsexamen ab und erlangen wie bei einer klassischen Ausbildung die Berufszulassung zur Hebamme oder zum Entbindungspfleger. Während dieser Zeit erhalten sie auch eine Ausbildungsvergütung. Nach weiteren zwei Semestern erlangen die Studentinnen und Studenten den Bachelor of Science in Hebammenwissenschaft.
Der Doppelabschluss nach acht Semestern Regelstudienzeit machte das Studium auch für Lina interessant. „Vor meiner Bewerbung habe ich Deutsch und allgemeine Sprachwissenschaften in Kiel studiert. Leider war ich damit wenig glücklich. Das Studium war mir viel zu theoretisch. Nun wechseln sich die theoretischen Phasen an der Universität mit den Praxiseinsätzen in der Klinik ab. Für mich ist das die perfekte Verbindung von Theorie und Praxis, und das auf einem hohen Niveau“, berichtet die 23-Jährige.
Organisation und Koordination von Theorie- und Praxiseinheiten, Kommunikation mit den Praxispartnern und die Betreuung der angehenden Hebammen – das gehört zu den Aufgaben von Nele Stejskal. Seit April ist sie die Studiengangskoordinatorin für den Studiengang Hebammenwissenschaft an der Universität und befürwortet die Akademisierung des Gesundheitsfachberufes. „Deutschland ist eines von wenigen Ländern in Europa, das seine Hebammen und Entbindungspfleger noch an Fachschulen ausbildet. Die meisten europäischen Länder haben die Ausbildung bereits akademisiert. Um im Vergleich zum europäischen Ausland mithalten zu können, müssen wir unsere Ausbildung auf ein akademisches Niveau bringen“, so Stejskal. Die Ausbildung an Hebammenschulen, wie wir sie kennen, wird es in Deutschland nur noch bis zum Jahr 2020 geben. Dann, so lautet eine für alle EU-Länder gültige Richtlinie, soll die Hebammen-Ausbildung voll akademisiert sein.
Wissenschaftliches Arbeiten und praktische Anleitung
Den Studierenden in Lübeck werden ab dem ersten Semester wissenschaftliche Grundlagen vermittelt, sie beschäftigen sich mit evidenzbasierter Hebammenarbeit und verfassen Hausarbeiten. „Für die praktischen Anteile haben wir ein sogenanntes ‚Skills-Lab’. Dort können die Studierenden die praktischen Handgriffe und Abläufe an speziellen Puppen simulieren, bevor sie diese in der Klinik anwenden“, berichtet die Studiengangskoordinatorin. Ein weiterer Vorteil des Studiums ist die Beschränkung auf 20 Plätze pro Hochschuljahr. Das ermöglicht eine individuelle Betreuung und einen intensiven Austausch mit den Lehrenden.
„Das Tätigkeitsspektrum sowie die Anforderungen an den Beruf der Hebamme haben sich erheblich verändert und sind komplexer geworden“, erzählt Prof. Dr. Achim Rody, kommissarischer Leiter des neuen Studiengangs und Direktor der Klinik für Frauenheilkunde und Geburtshilfe des Universitätsklinikums Schleswig-Holstein.
„Wir benötigen das Studium, um die bestmögliche Qualität in der Hebammenkunde zu sichern. Hebammen und Entbindungspfleger brauchen heute ein umfangreicheres Fachwissen und fachspezifische Kompetenzen. Die Hebammenverordnung, die die Ausbildung gesetzlich regelt, stammt noch aus den 80er Jahren. Viele Aspekte, die den Hebammen bei der Arbeit begegnen, sind da natürlich nicht erfasst. So werden zum Beispiel die Schwangeren immer älter oder leiden immer häufiger an Bluthochdruck oder Diabetes. Diese Faktoren können während der Geburt zum Risiko für die Mutter und das Kind werden. Wir bereiten unsere Studierenden darauf vor, diese Risiken schnellstmöglich zu erkennen und entsprechend zu handeln. Durch das Studium erschließen sich ihnen weiterreichende Zusammenhänge und sie können ihr Handeln besser reflektieren. Ein weiteres zentrales Merkmal ist das interprofessionelle Lernen, das wir an der Universität zu Lübeck sehr wichtig nehmen. Die angehenden Hebammen besuchen gemeinsame Veranstaltungen mit Studierenden der Humanmedizin, Pflege, Physiotherapie, Logopädie und Ergotherapie. Sie lernen bereits im Studium die Arbeitsweisen und Anforderungen der anderen Gesundheitsfachberufe kennen, mit denen sie später zusammenarbeiten werden. Nicht zuletzt findet durch die Akademisierung eine Aufwertung des Berufs statt“, berichtet Rody.
Den studierten Hebammen öffnen sich auch neue berufliche Möglichkeiten. Sie können in die Lehre oder Forschung gehen, Führungspositionen einnehmen und sind besser vertraut mit Themen der Betriebsführung, Familienfürsorge und Beratung. Der Bachelor ermöglicht ihnen zudem einen gesundheitswissenschaftlichen Masterstudiengang anzuschließen.
Die Bewerbungsphase für das nächste Studienjahr hat bereits begonnen. Bewerben können sich alle, die eine Allgemeine Hochschulreife besitzen und ein vierwöchiges Praktikum in der Entbindungspflege absolviert haben. Studiengangskoordinatorin Nele Stejskal erwartet wieder zahlreiche Bewerbungen. „Ich freue mich, dass unser Studienangebot so gut angenommen wird.“
TEXT Katharina Grzeca
FOTOS Frieder Dillmann, Thomas Berg