Einfach mal ausprobieren! Interview mit Carmen Albertsen, Berufsberaterin

Einfach mal ausprobieren! Interview mit Carmen Albertsen, Berufsberaterin

Carmen Albertsen ist den meisten Schülern der FTS bekannt. Sie ist die zuständige Berufsberaterin und füllt diesen Job mit viel Engagement aus. Praktika sind für sie das wichtigste Mittel zur Berufswahl.

Frau Albertsen, auch eine Berufsberaterin hat einen beruflichen Werdegang. Wie war das bei Ihnen?

Ich bin zur Gemeinschaftsschule, also damals noch Realschule, gegangen und danach auf das berufliche Gymnasium. Nach dem Abi folgte ein duales Studium bei der Bundesagentur für Arbeit. Nach einigen anderen Stationen in Schleswig-Holstein bin ich jetzt Berufsberaterin in Husum, meiner Heimatstadt.

Also wollten Sie schon immer in diese Richtung?

Nein, ich habe zunächst das gemacht, was ich allen anderen auch rate, verschiedene Praktika. So konnte ich schon mal ausloten, welcher Bereich mit wirklich interessiert. Das war der öffentliche Dienst, und die Vielfältigkeit der Angebote bei der Agentur für Arbeit haben mich gereizt.

Haben Sie aus Ihrer Berufserfahrung eine gewisse Schockstarre nach Corona bei den Schülern erlebt?

Ich habe das Gefühl, Homeschooling war für viele ganz gut, aber für viele auch negativ. Das hatte natürlich auch Einfluss auf die Noten und die Motivation. Es braucht jetzt ein bisschen Zeit, bis sich alles wieder einpendelt, und gerade in den Jahrgangsstufen 9 und 10 steht momentan auch schulisch viel an, aber das wird schon.

Sollte Berufsorientierung aus diesem Grund nicht schon in früheren Jahren beginnen?

Absolut. Letztes Jahr haben wir zum Beispiel in Klasse 7 einen Stärken-Parcours durchgeführt. Dabei konnten die Schülerinnen und Schüler spielerisch die eigenen Kompetenzen entdecken. Das Format ist schon digital sehr gut angenommen worden, und wir hoffen, es nun auch im Präsenzunterricht einsetzen zu können.

Wie lief das genau ab?

Unter Beteiligung von Moderatoren in den Klassen ging es darum herauszufinden, was überhaupt Stärken sind. Es gab ein Stärken-Ping-Pong, bei dem die Schüler virtuelle Bälle zugeworfen bekamen, und gemeinsam mit den Mitschülern wurde beraten, was genau diese Person ausmacht. Danach haben die Schüler überlegt, was man mit diesen Stärken auch in beruflicher Hinsicht machen könnte. Das ist sehr gut angenommen worden, und es gab viele positive Rückmeldungen.

 Was würden Sie sich für den BO-Unterricht wünschen?

Man sollte verstärkt Coachings mit den Schülern machen. Ein simples Beispiel: Viele haben totale Angst vor Telefoninterviews mit den Ausbildungsstellen, in diesem Bereich ist das Einüben solcher Situationen ein Gewinn, um Ängste und Hürden zu überwinden.

Welchen Eindruck haben Sie auf der Messe von den Schülern. Sind diese da auch eher zurückhaltend?

Gar nicht. Die Schüler sind durch den BO-Unterricht sehr gut vorbereitet und bringen konkrete Fragen mit. In meiner Doppelfunktion als Berufsberaterin und Ansprechpartnerin für eine Ausbildungsstelle bei der Agentur für Arbeit kann ich nur Positives berichten.

Bekommen Sie nach der Schulzeit auch schon mal Rückmeldungen von Ihren Schützlingen? 

Manchmal schon und dann freue ich mich sehr. Ich habe den Eindruck, dass durch den Schritt in eine Ausbildung ein großer Entwicklungsschub bei allen stattfindet. Auch wenn es während der Ausbildung mal schwierig wird, kommen einige auf mich zu. Dann setzen wir uns wieder zusammen und überlegen, wie es weitergehen kann. Wir bleiben auch über die Schulzeit hinaus Ansprechpartner und bieten eine Betreuung während der Ausbildung an.

Wie viele brechen eine Ausbildung vorzeitig ab oder spielen mit dem Gedanken?

Nach den Ergebnissen der Berufsbildungsstatistik der Statistischen Ämter des Bundes und der Länder wurden 2019 bundesweit 154.149 Ausbildungsverträge vorzeitig gelöst. Die Vertragslösungsquote der dualen Berufsausbildung betrug 26,9 Prozent. Man muss dazu aber mitdenken, dass dies nicht immer einem Abbruch der Ausbildung gleichkommt. So kann nach einer Vertragslösung zum Beispiel die Ausbildung in einem anderen Betrieb fortgesetzt werden. Unsere Unterstützungsangebote helfen aber oftmals, den Abbruch überhaupt zu verhindern.

Inwiefern?

Letztens hatte ich den Fall, dass ein junger Mann einen Motorradunfall hatte und längere Zeit ausfiel. Er hatte den Anschluss verloren und wollte die Ausbildung abbrechen. Beim Gespräch kam dann heraus, dass er mit dem Betrieb sehr zufrieden ist, ihm aber aufgrund der Fehlstunden die Berufsschule Sorgen machte. Hier konnten wir  sehr gut ansetzen und durch ein Nachhilfeangebot das Problem lösen. Wir helfen sowohl in fachlicher als auch in sozialpädagogischer Hinsicht, zum Beispiel auch beim Thema Prüfungsangst.

Darf jeder auf die Unterstützungsangebote zurückgreifen?

Ja grundsätzlich schon. Voraussetzung ist, dass man eine Ausbildung in einem staatlich anerkannten Ausbildungsberuf macht. Das bedeutet, dass in diesem Ausbildungsberuf nur nach der jeweiligen Ausbildungsordnung ausgebildet werden darf. Diese werden deutschlandweit einheitlich geregelt, so dass zum Beispiel ein KFZ-Mechatroniker in Bayern nach den gleichen Vorgaben lernt wie einer aus Schleswig-Holstein. Wer sich an uns wendet, bekommt die Hilfe, die er braucht.

Helfen Sie auch hinsichtlich der Praktika-Stellen?

Ich unterstütze bei diesem Thema auch, und jeder darf gerne zu mir in die Sprechstunde kommen. Ganz klassisch vermittle ich zwar keine Praktikumsstellen, aber ich gebe immer den Tipp, dort ein Praktikum zu machen, wo es eine Chance auf Übernahme in eine Ausbildung gibt.  Ich habe eine Übersicht über die Ausbildungsangebote in der Region und gebe diese dann weiter.

Überhaupt ist die Vernetzung zwischen digitalen Tools wie Planet Beruf, Praktikum Westküste, DIGI.BO und die Zusammenarbeit aller Institutionen sehr wichtig und ein großer Vorteil. Seit letztem Jahr haben wir in Nordfriesland die Jugendberufsagentur, wo zum Beispiel auch Kollegen aus dem Sozialzentrum, Jobcenter, Berufsberater mit im Austausch sind.

Hat sich nach Corona die Nachfrage nach zukunftssicheren Jobs verstärkt?

Den Eindruck habe ich schon. Ich habe mehr Anfragen in Richtung Handwerk bekommen. Im Vergleich zu anderen Branchen wurde eine Ausbildung als krisensicherer wahrgenommen.

Begleiten Sie auch Schüler, die sich entscheiden, eine weitere Schulausbildung zu machen?

Wir sind als Berufsberater nach Schulen aufgeteilt. Ich bin Ansprechpartnerin für alle Schüler der FTS. Auf dem beruflichen Gymnasium zum Beispiel gibt es dann eine andere Kollegin. Ich bin aber auch Ansprechpartnerin für alle, die nach der 9. Klasse abgehen und nach zwei Jahren den MSA machen. Dort sehe ich dann auch einige aus der FTS wieder.

Gibt es einen Plan B, den sie empfehlen können, wenn es nicht direkt mit der betrieblichen Ausbildung klappt? 

Unbedingt die ‚Betriebliche Einstiegsqualifizierung‘. Das ist quasi eine Brücke in die Berufsausbildung. Dahinter steckt ein Langzeitpraktikum, welches man sich auf die Ausbildungszeit anrechnen lassen kann. Der Jugendliche ist dann für 6 bis 12 Monate im Betrieb und in der Berufsschule. Ziel ist die Übernahme und die erfolgt häufig. Auf diese Weise können sich Betriebe und Jugendliche kennenlernen. Die Arbeitsagentur fördert dieses Projekt, so dass Praktikanten eine Vergütung bekommen, die manchmal auch durch die Ausbildungsbetriebe noch aufgestockt wird. Auch die Fahrtkosten werden übernommen.

Raten Sie auch schon mal zu einem Freiwilligen Sozialen Jahr?

Ja, aber nur, wenn Jugendliche sich sicher sind, in diese Richtung auch gehen zu wollen. Es bringt nichts, aus Unschlüssigkeit dort ein Jahr fest eingeteilt zu sein und nicht viele Erfahrungen zu sammeln. Da rate ich eher zu verschiedenen Praktika, um die Möglichkeiten besser auszuloten.

TEXT Anja Nacken
FOTO  Reinhard Witt