Große Chancen, viele Fallstricke: Ein Fernstudium kann der Startschuss für den großen Karriereschub sein. Vom Bachelor zum Master, vom Fachangestellten zum Abteilungsleiter mit akademischem Grad – mit einer höheren Qualifikation öffnen sich Türen, die zuvor verschlossen waren. Doch das Studium in Eigenregie hat seine besonderen Tücken. Wer sich nicht selbst motivieren kann, hat es schwer.
Studieren mit kleinem Kind, nach der Arbeit im Betrieb oder vom platten Land aus – es gibt viele gute Gründe, sich für das Studium an einer Fernuni zu entscheiden. Neben der freien Zeiteinteilung ist häufig die Entfernung zur nächsten Präsenzuni ausschlaggebend. Wer nicht die Möglichkeit oder keine Lust hat, in die nächste Uni-Stadt zu ziehen, ist vielleicht an einer Fernuni genau richtig. Erst recht, wenn man täglich pendeln müsste und die nächstgelegene Bushaltestelle nur dreimal täglich angefahren wird.
„Keine Anwesenheit, dafür ein voller Briefkasten“
Das Grundprinzip ist so einfach, dass es sich seit seiner Einführung kaum geändert hat: Die Pioniere des Fernunterrichts priesen bereits vor über 100 Jahren ihr Angebot als „Korrespondenzkurs“ an; das Prinzip ist seither unverändert. Die Anbieter schicken ihren Teilnehmern per Post das Lehrmaterial zu. Die Studenten müssen dann den Stoff bis zur nächsten Prüfung durcharbeiten. Wie und wann sie sich mit den Inhalten beschäftigen, bleibt ihnen dabei selbst überlassen. Jeden Abend ein oder zwei Stunden Lektüre auf dem Sofa oder eine ganze Lernwoche im Block – im Fernstudium kann sich jeder Teilnehmer seinen ganz persönlichen Plan zurechtlegen. Das Einzige, was sich seit Anfang des vorigen Jahrhunderts geändert hat: Mittlerweile stellen die Anbieter ihren Teilnehmern das Kursmaterial zunehmend digital zur Verfügung.
Die Voraussetzungen für ein Fernstudium unterscheiden sich zumindest im akademischen Bereich nicht groß von denen an einer Präsenzuniversität. Ohne allgemeine Hochschulreife oder Fachhochschulreife (für Fachhochschulen) können sich auch Personen mit einem Meistertitel oder entsprechenden Berufsqualifikationen einschreiben. Ebenso ist manchmal ein Studium mit einer Berufsausbildung und Berufserfahrung in einem fachlich ähnlichen Studiengang möglich. Hierbei gelten jedoch immer die jeweiligen Zulassungsbestimmungen der einzelnen Bundesländer.
Die völlige Freiheit – ohne Anwesenheitspflicht, keine Seminare und Kurse auf dem Campus – ist dabei Fluch und Segen zugleich. Wer sich selbst gut organisieren kann, strukturiert lernt und die eigenen Ziele im Auge behält, wird die offene Struktur im Fernstudium schätzen. Allerdings lauern auch genau hier die Gefahren. Es gibt keinen Dozenten, der im wöchentlichen Seminar den Stand der Lektüre überprüft – und daher auch keinen Druck, das Buch, das Tutorial oder die Aufgabe regelmäßig in die Hand zu nehmen. Auch der Austausch und Vergleich mit Kommilitonen vor, während und nach den Kursen auf dem Campus fallen weg. Es kann zwar angenehm sein, mit niemandem im unmittelbaren Wettbewerb zu stehen; allerdings brauchen manche Studierende durchaus eine Form sozialer Kontrolle, um sich selbst zu motivieren und systematisch zu arbeiten.
Prüfungen müssen sich natürlich auch Studierende von Fernunis und Akademien stellen. Wenn die Teilnehmer ihren Stoff gelernt oder das Semester abgeschlossen haben, werden die Leistungen ganz klassisch vor Ort überText Lutz Timm Foto Shutterstock prüft. Je nach Fachrichtung und Anbieter müssen sie dazu Klausuren schreiben oder praktische Prüfungen – etwa bei Handwerksmeistern an den Handwerkskammern – absolvieren. Manche Anbieter organisieren auch Lernseminare vor den Prüfungen, in denen sich die Studierenden intensiv und im Austausch mit ihren Kommilitonen vorbereiten können. Ein wichtiger Unterschied zu den Präsenzunis ist, dass in den Klausuren an Fernunis häufig umfangreichere Stoffmengen auf einmal abgefragt werden. Während Studierende auf dem Campus von Referat zu mündlicher Prüfung ‚springen‘ und mehrere Teilleistungen erbringen müssen, werden in Klausuren an Fernunis häufig die gesamten Lerninhalte eines Semesters abgefragt. Die Prüflinge empfinden den Druck daher häufig als größer. Mitentscheidend ist aber auch, ob die Teilnehmer in Voll- oder Teilzeit studieren.
Welcher Anbieter infrage kommt, hängt maßgeblich vom Ziel des Studiums ab. Weil der Begriff Fernstudium kein geschützter Begriff ist, gibt es die unterschiedlichsten Anbieter, die mit dem Begriff werben. Umgangssprachlich wird dabei selten genau differenziert. Allerdings besteht ein entscheidender Unterschied: entweder ist der angestrebte Abschluss akademisch oder nicht-akademisch. Zu den akademischen Graden gehören die Abschlüsse von staatlich anerkannten Fernuniversitäten und –hochschulen wie Bachelor, Master oder Diplom. Die Anbieter für nichtakademische Abschlüsse – häufig als Akademien oder Institute bezeichnet – bereiten ihre Teilnehmer zumeist auf Prüfungen für staatlich anerkannte Abschlüsse vor. Hierzu zählen zum Beispiel Meisterkurse für Handwerker und Fachwirte. Die notwendigen externen Prüfungen legen die Teilnehmer an den Industrie- und Handelskammern und den Handwerkskammern ab. Mit über 70000 Studierenden ist die Fernuni Hagen der größte Anbieter der Branche – und zugleich die Universität mit den meisten Studierenden in Deutschland. Daneben tummeln sich auf diesem ‚Marktplatz der Bildung‘ mittlerweile eine ganze Reihe unterschiedlicher Anbieter. Auch traditionelle Universitäten und Fachhochschulen mit Präsenzbetrieb bieten vermehrt die Möglichkeit zum Fernstudium in Teil- oder Vollzeit an.
Soziale Kontrolle oder gesunder Wettbewerb – ganz gleich, welche Bezeichnung man wählt, ein Unterschied zwischen dem Fernstudium und dem Besuch einer Präsenzuni sticht besonders hervor: das Einzelkämpferdasein. Keine Kommilitonen um sich zu haben, bedeutet keine Unterstützung beim Lösen der Aufgaben, kein Austausch, kein gemeinsames Feierabendbier. Aber eben auch kein Wettrennen um Noten oder die Gunst des Dozenten. Viel hängt von der Persönlichkeit und den Lebensumständen ab, ob man sich für oder gegen ein Fernstudium entscheiden sollte. Während für den kommunikationsfreudigen Vollzeitstudi eine Studienzeit ohne Lerngruppen und Partys unvorstellbar ist, ist genau diese Vorstellung für den Familienmenschen mit Fachangestelltenausbildung und Teilzeitstudium ein Graus. Einen akademischen Abschluss können am Ende trotzdem beide haben.
TEXT Lutz Timm
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