Berufsberatung 4.0

Berufsberatung 4.0

Im Gespräch mit Berufsberater Björn Junge von der Agentur für Arbeit in Heide über die Veränderungen der Arbeitswelt und die Bedürfnisse der neuen Generation

Björn Junge kommt aus Dithmarschen und hat nach seinem Realschulabschluss eine Ausbildung zum Bürokaufmann und ein BWL-Studium absolviert. Seit 2013 ist er Mitarbeiter der Agentur für Arbeit und seit 2021 dort als Berufsberater tätig. Er ist der zuständige Berufsberater für die Gemeinschaftsschulen in Marne und Brunsbüttel sowie das dortige Gymnasium. Zusätzlich zählt zu seinen Aufgaben die Betreuung von Jugendlichen, die ohne Schulabschluss die Schule verlassen haben, ihre Erstausbildung nicht geschafft haben oder noch auf der Suche nach der für sie passenden Ausbildung sind.

Herr Junge, Sie sind hier im Kreis zur Schule gegangen. Was hat sich, auch aus Ihrer persönlichen Sicht, im Hinblick auf die Berufsberatung für Schülerinnen und Schüler im Laufe der letzten Jahre verändert?

Eine ganze Menge! Zu meiner Schulzeit beschränkte sich die Berufsberatung auf einen Besuch im Berufsinformationszentrum (BiZ) und den Besuch einer Ausbildungs- messe. Was dazu führte, dass ich bei meinem Schulabschluss so gar keine Vorstellung über meinen zukünftigen Werdegang hatte. Das sieht heutzutage zum Glück etwas anders aus und die Berufsberatung kann, vor allem durch die direkte und regelmäßige Betreuung an den Schulen, eine deutlich bessere Hilfestellung bieten. In meiner heutigen Funktion als Berufsberater bin ich einmal wöchentlich in den Gemeinschaftsschulen und halte dort meine Sprechstunden ab und unterstütze den Berufsorientierungsunterricht. Die Orientierungsphase startet an den Gemeinschafts- schulen bereits ab Jahrgangsstufe 7 und ist Bestandteil der gesamten Schullaufbahn der Schülerinnen und Schüler. Durch diese enge Begleitung können wir am Ende der Schulzeit – auch durch unsere intensive Netzwerkarbeit mit Arbeitgebern – in vielen Fällen passgenaue Tipps für Bewerbungsmöglichkeiten geben. Zusätzlich verfügt die Agentur für Arbeit heute auch über ein großes digitales Angebot, das die Jugendlichen bei der Berufswahl unterstützt und dabei hilft die Suche einzugrenzen, denn manchmal fühlen sich die Schulabsolventen durch die große Anzahl von Möglichkeiten etwas überfordert.

Inwieweit nehmen denn die Jugendlichen das Angebot Ihrer Sprechstunde an?

Gut, aber das kommt auch immer ein wenig auf den Jugendlichen selbst an und natürlich nicht zuletzt auch auf meine eigene Leistung als Berufsberater, wie präsent ich bei den Schülerinnen und Schülern bin. Grundsätzlich halte ich es für einen großen Gewinn, dass wir nun viel mehr Möglichkeiten zu direkten Gesprächen haben, weil das eine schnelle Hilfestellung bedeuten kann.

Was würden Sie denn von einem für alle verpflichtenden Besuch bei der Berufsberatung halten?

Davon halte ich nicht so viel. Verpflichtung provoziert oftmals Ablehnung. Letztendlich halte ich es für zielführender, eine Bindung zu den Schülerinnen und Schülern aufzubauen und so dafür zu sorgen, dass sie gerne freiwillig, auch zu zweit oder dritt zu mir kommen.

Sie sprachen eben von Netzwerkpartnern. Nennen Sie uns doch bitte ein paar Beispiele!

An erster Stelle stehen natürlich die Schulen! Ohne Schulen bzw. Lehrerinnen und Lehrer könnten wir unsere Arbeit nicht so verrichten, wie wir es glücklicherweise können. An zweiter Stelle sind die Bildungsträger zu nennen – unsere Partner bei der Durchführung unserer ‘Berufsvorbereitenden Bildungsmaßnahmen’. Diese Maßnahmen richten sich an Jugendliche, die entweder noch nicht wissen, welcher Beruf zu ihnen passt oder bereits eine Ausbildung abgebrochen haben und sich neu orientieren müssen. Die Jugendlichen haben hier die Möglichkeit, in verschiedenen Berufsfeldern ihre persönlichen Kompetenzen genauer kennenzulernen und durch entsprechenden Unterricht auf die Anforderungen einer Ausbildung vorbereitet zu werden. Darüber hinaus gibt es die sogenannte ‘Einstiegsqualifikation’, sozusagen ein Langzeitpraktikum bei einem Arbeitgeber. Hier ist der ‘enge Draht’ zu Arbeitgebern wichtig, damit die Chancen möglichst groß sind, den zum Betrieb passenden Bewerber oder die passende Bewerberin zu finden– und umgekehrt natürlich auch. auf was die Unter- nehmen aktuell besonderen Wert legen.

Auf was scheinen die Unternehmen aktuell besonderen Wert zu legen?

Zeugnisnoten scheinen heutzutage nicht mehr ganz so relevant. Arbeitgeber suchen verstärkt nach Bewerbern, die generell zum Unternehmen und seiner Philosophie passen. Viele Unternehmen, wie Covestro zum Beispiel, verzichten aus diesem Grund auch auf den klassischen Bewerbungsablauf, sondern setzen auf Einstellungstests, die im Zweifel ein genaueres Bild von den Fähigkeiten der Bewerber zeichnen. Man merkt, dass der Konkurrenzkampf um die besten Mitarbeiter enorm gewachsen ist und dafür neue Wege im Einstellungsverfahren beschritten werden müssen.

Welche grundsätzlichen Tipps können Sie als Berufsberater den Jugendlichen schon vor der Bewerbungsphase geben?

Sie sollten vieles einfach mal ausprobieren. Damit meine ich nicht nur Pflichtpraktika zu absolvieren, sondern auch freiwillige Praktika in den Ferienzeiten zu machen, um herauszufinden, was sie wirklich interessieren könnte. Dann finde ich es sehr wichtig, gute Bewerbungsunterlagen anzufertigen und die dafür existierenden Unterstützungsangebote seitens der Schule oder der Agentur für Arbeit auch tatsächlich anzunehmen.

Als weiteren Tipp kann ich nur jedem empfehlen, sich online über seinen Wunsch- beruf zu informieren. Es gibt mittlerweile ein breites Angebot an informativen Plattformen, die man nutzen sollte. Last but not least, rate ich dringend dazu, rechtzeitig mit der Orientierung und Information zu beginnen. Eine gute Entscheidung braucht Zeit. Auch wenn die Ausbildung nur 2-3 Jahre dauert, sollte man sich schon sicher sein und diese Jahre nicht verschwenden. Mit einer guten Vorbereitung erspart man sich Enttäuschungen und kann danach neue Ziele, wie die Fachhochschulreife, das Abitur oder Ähnliches anstreben. Kaum jemand macht seinen heutigen Job noch bis zur Rente und das Bildungssystem ist durchlässiger denn je.

Diese Idee von der ewig gleichen Arbeitsstelle ist tatsächlich immer noch sehr verbreitet und lähmt so manchen bei der Entscheidungsfindung. Welche Rolle spielt hierbei das Elternhaus?

Eine sehr große Rolle. Eltern sind im Prozess der Berufswahl die wichtigsten Ratgeber, auch wenn die intrinsische Motivation von den Jugendlichen ausgehen sollte. Missverständnisse bezüglich der beruflichen Möglichkeiten entstehen aber schon viel früher und deshalb nehme ich jedes Jahr an meiner alten Schule in Marne am Elternabend für die 4-Klässler teil und erkläre den Eltern das Schulsystem Schleswig-Holsteins. Es ist mir wichtig, dass sie verstehen, wie vielfältig die Bildungswege sind und dass auch mehrere Wege zum Ziel führen können. Zusätzlich möchte ich zeigen, wie wir als Berufsberatung mit unterschiedlichen Ideen und Maßnahmen unterstützen können. Ich würde mir allerdings wünschen, dass die Elternbeteiligung auf solchen Veranstaltungen ein bisschen höher wäre.

TEXT Anja Nacken
FOTO Agentur für Arbeit Heide