„Berufliche Bildung ist extrem durchlässig.”

„Berufliche Bildung ist extrem durchlässig.”

Im Gespräch mit Monika Raguse vom Berufsbildungszentrum Dithmarschen

Monika Raguse, 57 Jahre alt, führt seit 2019 als Schulleiterin das Berufsbildungszentrum Dithmarschen mit Standorten in Heide und Meldorf. Doch ihr Weg dorthin war geprägt von einer tiefen Berufung, die sich wie ein roter Faden durch ihr Leben zieht. Nach ihrem Abitur am Gymnasium in Marne studierte sie an der Fachhochschule des Bundes für Arbeitsverwaltung, mit dem klaren Ziel, Menschen in den Arbeitsmarkt zu integrieren. „Es war mir immer ein großes Anliegen, Menschen in eine Arbeit zu bringen, mit der sie dann ihren eigenen Lebensunterhalt verdienen können“, erklärt sie ihre Motivation.

Diese Leidenschaft führte sie zunächst zur Hamburger Arbeitsverwaltung, wo sie sich für die Belange der Arbeitssuchenden einsetzte. Doch ihr Blick ging weiter. „Meine jetzige Aufgabe setzt früher an“, erklärt sie, „nun bin ich dabei, Menschen durch Ausbildung in die Lage zu versetzen, das zu können.“ Ihr Weg führte sie schließlich zum Berufsbildungszentrum, wo sie viele Jahre lang in der Fachrichtung Wirtschaft und Verwaltung das Fach Rechtslehre unterrichtete und schließlich in die Abteilungsleitung aufstieg. Diese Erfahrungen prägten sie für die Anforderungen, die der Sessel einer Schul- und gleichzeitig Behördenleiterin mit sich bringt. Doch egal, in welcher Position sie sich befand, ihr Ziel blieb stets dasselbe: die Schaffung von Unterstützungssystemen im Zusammenhang von Arbeit und Ausbildung, um sicherzustellen, dass Menschen gut und zufrieden am Erwerbsleben teilnehmen können.

Sie sitzen jetzt also an der Schnittstelle der Menschen zum Arbeitsleben.

Genau.

Die Agentur für Arbeit liegt direkt gegenüber auf der anderen Strassenseite. Ist das manchmal hilfreich?

Wir haben schon sehr systematische Kontakte mit der Berufsorientierung gegenüber. Natürlich kann man aber auch schnell mal miteinander sprechen, weil wir Nachbarn sind. Für den Arbeitsprozess ist es wichtiger, dass wir gemeinsam mit der Berufsberatung dort für unsere Schüler Regeltermine und intensiven Kontakt haben.

Bitte beschreiben Sie das BBZ kurz in Zahlen.

Wir haben in diesem Schuljahr knapp 3300 Schülerinnen und Schüler, davon ungefähr drei Viertel in der dualen Ausbildung, das letzte Viertel macht bei uns eine Vollzeitausbildung, um einen qualifizierenden Schulabschluss zu erreichen. Hier ist vom Ersten allgemeinbildenden Schulabschluss bis zum Abitur alles möglich.
Die Profile unserer beiden Standorte: Gewerblich-technisch in Meldorf und wirtschaftlich-sozial plus gesundheitlicher Sektor in Heide. Wir haben fast alle Vollzeitangebote in Heide, der größte Vollzeitbereich in Meldorf ist die Ausbildungsvorbereitung, also der Übergang der berufsschulpflichtigen Schüler in Ausbildung oder Arbeit. Ein ‚feines‘ Angebot bei uns ist, dass man ausbildungsbegleitend aufbauend auf dem mittleren Schulabschluss durch ein Zusatzangebot die Fachhochschulreife erlangen kann.

Ist das in Dithmarschen gut bekannt?

Ich denke schon und das zeigt sich auch durch die enge Vernetzung mit den Gemeinschaftsschulen, wo wir regelmäßige Kontakte und Arbeitsformate haben, und mit den Lehrkräften zusammenarbeiten. Wir sind regelmäßig bei Elternabenden dabei und präsentieren dort unsere Angebote. Die vorhin angesprochene Möglichkeit , die Fachhochschulreife zu erlangen, unsere ‚feine Blume‘, könnte aber tatsächlich noch bekannter sein. Das damit mögliche Studium könnte ja eine Möglichkeit sein, auch über diesen Weg nachzudenken.

Man kann sich also hier am BBZ auch weiterentwickeln, wenn man merkt, dass man mehr oder anderes möchte?

Ja, unbedingt. Man kann die Fachhochschulreife erlangen. Die Azubis können dafür auch die Ausbildung abschließen und dann ein Jahr in Vollzeit in die Fachoberschule gehen. Oder sie wechseln bei uns ans berufliche Gymnasium, durchlaufen dann die Klassenstufen 11 und 12 und haben dann auch den schulischen Teil der Fachhochschulreife. Und wenn sie dann noch ein Jahr dranhängen, erreichen sie nach der 13. Klasse das Abitur. Das ist dann auch bei uns die allgemeine Hochschulzugangsberechtigung.

Früher wurde gesagt, es gäbe nichts besseres als ein Studium, wodurch in der Schule das Abitur zum Ziel Nummer eins wurde. Heute wird überall sehr laut geklagt, dass es keinen Fachkräftenachwuchs mehr gibt. Bewirkt dieses Klagen eine Trendumkehr?

Auf alle Fälle merken wir, dass der Arbeits- und Ausbildungsmarkt ein Auszubildenden-Markt geworden ist, dass also Auszubildende oder Schülerinnen in der Phase der Orientierung eine sehr gute Auswahlmöglichkeit haben und einen Ausbildungsberuf wählen können, der wirklich zu ihren eigenen Fähigkeiten passt. Das ist erstmal sehr schön. Ja, doch, ich nehme schon wahr, dass die duale Ausbildung wieder einen Stellenwert gewinnt. Und wir benötigen ja auch alle Fachkräfte. Wenn sie selbst in der Wohnung etwas zu erledigen haben, dann brauchen sie einen Fachmann oder eine Fachfrau dafür. Und auf die muss ich heute unter Umständen lange warten. Was ich damit sagen will: Die Wertschätzung, die diesen Ausbildungsberufen gegenüber gezeigt wird, nimmt zu. Gleichzeitig merken junge Leute aber auch, dass ihr Berufsweg auf sehr vielen Wegen weitergehen kann, weil die Berufliche Bildung extrem durchlässig ist.
Die Betriebe haben sich schon früh auf den Weg gemacht, die Potenziale ihrer Mitarbeiter zu fördern. Ich kann mich sowohl im betrieblichen oder schulischen Kontext weiterentwickeln. Es gibt bei uns am BBZ Dithmarschen z.B. die Fachschule Technik mit dem Schwerpunkt Nachhaltige Digitalisierung. An der Fachschule für Sozialpädagogik werden Erzieherinnen und Erzieher ausgebildet, das sind zwei Beispiele für eine berufliche Weiterqualifizierung. Es gibt andere Formate, wie zum Beispiel den Meister. Die Möglichkeiten sind da, die Möglichkeiten sind offen. Wenn wir über die Beschäftigungschancen sprechen, dann sind diese für diejenigen, die durch eine duale Ausbildung gegangen sind, hervorragend.

Sie verfügen hier in Heide über einen sehr zeitgemäßen Neubau, der viele Möglichkeiten bietet. Gibt es Nutzungskonzepte über den Schulbetrieb hinaus?

Unser Haus mit seinem großen Atrium bietet sich natürlich für Veranstaltungen an. Vor kurzem war Dr. Michael Schack, der bei der IHK Flensburg für Weiterbildung zuständig ist, bei uns. Thema war die landesweite Schulentwicklungsplanung. In dem Rahmen hat er mir auch das Konzept für eine Veranstaltung am 15. März vorgestellt: Minister Madsen wird zu Gast sein und es geht um die Entwicklungen, die von der neuen Batteriefabrik angestoßen werden. So etwas können wir mit unserem Raumkonzept und im Atrium wunderbar darstellen.
Ich finde solche Veranstaltungen sehr unterstützenswert, weil es wieder eine Veranstaltung ist, die der Vernetzung dient. Und das ist im Augenblick hier in der Region extrem wichtig. Als Zielgruppe sind kleine und mittlere Unternehmen in der Region angesprochen, die erste Veranstaltung aus dieser Reihe war schon sehr positiv und gehaltvoll. Dass man miteinander spricht, dass man Vorbehalte und Befürchtungen, die ja durchaus vorhanden sind, auch artikulieren kann und damit vertrauensvoll umgeht, brauchen wir.

Vorbehalte und Befürchtungen, kritische Gedanken zur Entwicklung in der Zukunft im Zusammenhang mit der Gigafactory von Northvolt?

Erfreulicherweise wird gut kommuniziert, die Unternehmen sehen sich hier auf Augenhöhe mit den großen Partnern. Die Belange der hier ansässigen kleinen und mittleren Unternehmen können wir ja nicht zur Seite schieben, nur weil wir jetzt gerade auf eine Gigafactory zusteuern. Das muss man gut und gemeinsam in Einklang bringen und einen guten Ausgleich zwischen den unterschiedlichen Interessenlagen schaffen. Stichworte sind Fachkräftesicherung, Fachkräftebewegung, Fluktuation. Da wird sie ganz sicher eine neue Dynamik entwickeln. Alle Beteiligten tun gut daran, sich entsprechend vorzubereiten. Für die kleinen und mittleren Unternehmen war Ausbildung schon immer eine Möglichkeit, Personal auszubilden und an sich zu binden. Meine Aufgabe ist dabei, die Breite unseres Ausbildungsangebotes zur Verfügung zu stellen, eine gute Ausbildung und eine gute schulische Begleitung der Auszubildenden sicherzustellen.

Inklusive Northvolt?

Wenn Northvolt mit Ausbildungsinteressen auf uns zukommt, ganz sicher. Wir sind die ganze Zeit schon im Gespräch. Aber Northvolt muss in dieser jetzigen Phase des Hochfahrens unterschiedliche Rekrutierungsstrategien fahren. Wir sind über das Schleswig-Holsteinische Institut für berufliche Bildung (SHIBB) und die Kreise Dithmarschen und Steinburg intensiv im Austausch mit den Personalverantwortlichen bei Northvolt.

Inwieweit kann diese Kooperation auch bis Nordfriesland hineinreichen?

Das ist für mich das zweite sehr spannende Themenfeld. Die Westküste galt in der Beschreibung während meines Aufwachsens immer als strukturschwach. Sie ist es noch. Und deshalb ist es eine große Leistung aus dieser Region heraus, die großen Fragen, die jetzt anstehen, auch zu stemmen. Ich glaube, das geht nur gemeinsam, und deshalb ist es gut, die Kreisgrenzen da ein wenig zu vergessen.
Wir Regionale Berufsbildungszentren und Berufsschulen sprechen natürlich kreisübergreifend darüber, welche Auswirkungen die Northvolt-Ansiedlung auf die Region haben wird. Für mich werden die Fragen der weiteren infrastrukturellen Anforderungen sehr spannend sein. Bis hin zu den weiteren Ansiedlungen, die in technischer Hinsicht von Northvolt mitgezogen werden, also alles rund um das Thema Energiewende. Da ist es an der Westküste ja ohnehin im Moment sehr spannend. Da wir als Berufsbildungszentrum für den gesamten Kreis Dithmarschen zuständig sind und aus zwei Kreisberufsschulen entstanden, habe ich ein sehr breites Angebot in der dualen Ausbildung.

Können Sie flexibel reagieren, wenn rund um die Northvolt-Ansiedlung neue Ausbildungsberufe dazukommen?

Gespräche dazu haben bereits stattgefunden. Zum Beispiel haben wir unsere Fachschule Technik im letzten Jahr mit einem neuen Lehrplan sehr schnell neu gestalten können. Vor dem Hintergrund, dass in der Region Fachkräfte benötigt werden, die eher in der mittleren Führungsebene angesiedelt sein werden. Da geht es um alle Fragen rund um die Digitalisierung von Arbeits- und Steuerungsprozessen, insbesondere auch um das Thema Nachhaltigkeit. Das wird ein entscheidendes Kriterium für Unternehmenssteuerung sein. Und diese beiden Aspekte haben wir in einem neuen Lehrplan zusammen gegossen. Das ist für uns eine Weiterbildung, die wir gleich anschließen können an unseren staatlichen Auftrag. Und dafür kann ich nur Werbung machen: Sich in technischen Ausbildungsberufen weiter zu qualifizieren. Da wäre unsere Fachschule Technik mit dem Schwerpunkt Nachhaltige Digitalisierung eine gute Idee. Trotzdem sind wir auch heute schon äußerst flexibel, weil sich Berufe ständig verändern. Als Berufsschule sind wir bei den Veränderungen natürlich immer mitgelaufen, idealerweise sind wir aber auch immer ein Stück Innovationsmotor.
Ich glaube, dass wir im Moment noch nicht einmal neue Ausbildungsberufe brauchen, sondern dass wir mit dem bestehenden, breiten Berufsbildungsangebot die Bedarfe der Wirtschaft weiter abdecken können. Sollte es aber so sein, dass sich vielleicht ein neuer Beruf entwickelt, sind wir natürlich höchst motiviert, an der Entwicklung dieses neuen Berufes, was ja einige Jahre dauern kann, auch sehr aktiv mitzuwirken.BBZ Dithmarschen

Inwieweit gibt es schon heute eine aktive Zusammenarbeit mit den anderen regionalen Bildungszentren der Westküste?

Da sind wir ganz klar in einem Austausch miteinander. Es gab vor wenigen Wochen einen Termin mit dem SHIBB und zwei Personalverantwortlichen von Northvolt, denen wir in Itzehoe gezeigt haben, wie eine berufliche Schule aussieht, wie Werkstätten aussehen und was es bedeutet, in der dualen Ausbildung ausgebildet zu werden.

War das für die Northvolt-Vertreter etwas Neues?

Sie wissen das natürlich, aber wenn man in der beruflichen Bildung keine persönlichen Erfahrungen gesammelt hat, dann hat man keinen Einblick in eine Berufsschule gewonnen. Es ist dann hilfreich, wenn man so etwas selbst erlebt, es sieht und nicht nur berichtet bekommt. Und es ist ja auch einfach spannend bei uns, durch Labore und Werkstätten zu gehen: Es dampft, es brodelt, es riecht, das kann man ja auch schon mal zeigen, so etwas (lächelt). Und tatsächlich war das ein gutes Gespräch hinsichtlich der Anforderungen, die für Batteriezelltechnik benötigt werden.
Und wir haben vereinbart, dass weitere Gespräche stattfinden werden. Aber das machen wir hier nicht alleine, dazu gibt es auf Landesebene eine Arbeitsgruppe. Ich schätze es aber sehr, dass wir auch hier vor Ort, und das ist auch die Arbeitsweise von Northvolt, in der direkten Kommunikation sind. Das ist wirklich gut.

Es scheint unheimlich viel im Gange zu sein, wenn man ihnen zuhört …

Es ist einfach toll, hier zu sehen, dass man auf dem bestehenden Netzwerk sehr gut aufbaut und dass man jetzt sehr schnell auf Gesprächspartner zurückgreifen kann. Die Schulleitungen führen untereinander schnelle Gespräche, und das kommt jetzt sehr gut zum Tragen, weil es mit Northvolt nun ein Unternehmen gibt, das auch sehr gesprächsbereit ist. Zum Beispiel hat Nicolas Steinbacher, Programmleiter Northvolt Deutschland, hier in einem elften Jahrgang einen Vortrag gehalten – nicht mit dem Schwerpunkt Northvolt, sondern zu dem Thema: ‚Was sind die Herausforderungen eines Startups und welche Standortfaktoren sind wichtig für eine Unternehmensansiedlung?‘
Ein ganz aktuelles Beispiel für Vernetzung ist dieses hier: Für ein Projekt, das sich mit Software für Wasserstoff-Technologie beschäftigt, wird ein Reallabor gesucht, ein Ort, an dem eine Umgebung aufgebaut werden kann, die für ihre Forschungszwecke oder das Ergebnis dieses Forschungsvorhabens ideal wäre. Wir sind mit dem Kreis Dithmarschen, unserem Träger, in Kontakt getreten, und wir denken jetzt gemeinsam mit der Entwicklungsagentur darüber nach, wie wir einen Elektrolyseur hier bei uns einbinden können, wie wir dieses Projekt für unser eigenes Energiemanagement und gleichzeitig als Anschauungsprojekt für unsere Schülerinnen und Schüler nutzen könnten. Das ist etwas, was sich quasi so nebenbei ergeben hat, wir werden nämlich Photovoltaik auf das Dach bekommen.
Durch diese Gespräche ergeben sich auf einmal Möglichkeiten, die man sehr nutzbringend auch im Unterricht einsetzen kann. Wir können hier, wenn ich jetzt sehr weit in die Zukunft blicke, so etwas wie ein ‚Reallabor Schule‘ sein und zeigen, was es bedeutet, wenn wir von der Transformation der Energiewirtschaft sprechen. Das können wir hier an unserem Schulgebäude dann direkt zeigen und es für unsere Schülerinnen und Schüler im wahrsten Sinne begreifbar machen. Das sind gerade ganz tolle Potenziale, die wir heben können.

Wie wird sich das BBZ darüber hinaus weiterentwickeln?

Da muss ich unser ‚Technikum‘ in Meldorf ansprechen, das neu entstehen wird. Es soll, wie wir es hier in Heide bereits haben, die Ausbildung in den handwerklichen Berufen in einem neuen Gebäude ermöglichen. Wir entwickeln den Unterricht weiter, wir haben uns hier im Kollegium darüber unterhalten, was uns die Wissenschaft für die Ausbildung aktuell an die Hand gibt. Erkenntnisse, die uns in eine Lage versetzen, Schülerinnen und Schüler gut und immer besser ins Lernen zu bringen und sie bei ihrem Lernen gut zu begleiten. Das werden wir mit der neuen Freiheit im ‚Technikum‘ in Meldorf gut darstellen können. Ich möchte Handwerk sichtbar machen, also mit viel Transparenz, mit viel Licht, mit viel Einsichtnahme in handwerkliche Prozesse. In dem neuen Haus können wir gute Voraussetzungen dafür schaffen, praktischen und theoretischen Unterricht zusammenzuführen.

Vielen Dank für das Gespräch.

TEXT und FOTO Michael Ruff