Die gebürtige Elmshornerin Imke Nilsson (42) hat einen vielseitigen Karriereweg hinter sich – von der chemischen Forschung über das Dokumentenmanagement bis hin zur Ausbildungsleitung bei Covestro. Mit einem breiten Erfahrungsschatz und viel Engagement setzt sie sich für die Entwicklung junger Talente ein. Im Interview spricht sie über ihren Werdegang, Herausforderungen in der Ausbildung und die Zukunft der Chemiebranche.
Ein Karriereweg mit vielen Stationen
Frau Nilsson, Sie sind seit Mai 2024 Ausbildungsleiterin bei Covestro. Wie verlief Ihr eigener beruflicher Weg?
Mein Werdegang ist, ehrlich gesagt, ein ziemlicher „bunter Blumenstrauß“. Nach einem Wechsel vom Gymnasium auf die Realschule absolvierte ich eine schulische Ausbildung zur Chemisch-Technischen Assistentin und erwarb parallel meine Fachhochschulreife. Anschließend arbeitete ich in einem Start-up für Nanopartikel-Forschung, bevor ich nach dessen Insolvenz ein Studium des Chemie- und Ingenieurwesens an der TH Lübeck begann. Nach meinem Abschluss 2008 ging ich an das SGS Institut Fresenius in Wiesbaden, bevor ich als stellvertretende Laborleiterin zur Raffinerie Heide wechselte. Dort sammelte ich Erfahrung in Ausbildung, Qualitätsmanagement und Datenschutz.
Wie ging es weiter?
Während der Pandemie entschied ich mich, als Online-Nachhilfe-Lehrerin für Naturwissenschaften zu arbeiten und erkannte dabei ganz klar die fachlichen und mentalen Herausforderungen der Generation Z. Das führte mich zur Ausbildung als Mentalcoach und psychologische Beraterin. Ich arbeitete danach eine Zeit lang als selbständiger Coach für Erwachsene, stellte aber fest, dass der Aufbau eines eigenen Unternehmens unter diesen Bedingungen nicht einfach war. Schließlich wechselte ich zur Chemiebranche zurück und begann als Dokumentenmanagerin bei Covestro. Nach der Leitung eines Digitalisierungsprojekts ergab sich die Möglichkeit, die Ausbildungsleitung zu übernehmen – eine Aufgabe, die meine Erfahrungen und Interessen perfekt vereint.
Die neue Rolle als Ausbildungsleiterin: Mentale Gesundheit und Zukunftsthemen
Inwiefern bringen Sie Ihre Erfahrungen als Coach in Ihre Arbeit als Ausbildungsleiterin ein?
Im Ausbildungsteam sind wir uns einig: Psychische Belastungen nehmen bei den Azubis immer mehr zu. Deshalb ist es uns wichtig, genau hinzuschauen, gezielt zu unterstützen und ein Umfeld zu schaffen, in dem sich die jungen Leute wohlfühlen und bestmöglich entwickeln können. Ein zentraler Baustein ist dabei unser niedrigschwelliges Hilfsangebot durch externe Experten. Gleichzeitig möchte ich den direkten Austausch mit den Azubis weiter ausbauen, um sie bei mentalen Herausforderungen noch gezielter zu begleiten.
Hat sich nach Ihrer Wahrnehmung das Wertesystem der Generation Z grundlegend verändert?
Ich denke, dass sich die Grundbedürfnisse – Sicherheit, Zugehörigkeit und eine sinnvolle Tätigkeit – nicht groß verändert haben. Daneben gibt es natürlich viel diskutierte Themen wie Work-Life-Balance zum Beispiel. Wir bieten selbstverständlich auch unseren Azubis eine gewisse Flexibilität und klare Anreize: eine Übernahmegarantie, eine gute Bezahlung und ein stabiles Arbeitsumfeld. Wir müssen das Rad also nicht neu erfinden, sondern vorhandene Strukturen gezielt weiterentwickeln.
Wie unterstützen Sie die Azubis neben der rein fachlichen Ausbildung?
Durch unsere Seminarwoche zum Beispiel. Dort vermitteln wir Hard- und Soft Skills und greifen auch wichtige Themen wie „Lernen lernen“ oder das Zeitmanagement auf – Dinge, die im Berufsalltag einen echten Unterschied machen. Zudem arbeiten wir aktuell an der Einführung einer digitalen Lernplattform, um flexiblere Lernmodule zu bieten und sicherzustellen, dass unsere Azubis immer auf dem neuesten Stand bleiben. Aber auch das Gemeinschaftsgefühl darf nicht zu kurz kommen. Unsere Azubi-Fahrt nach Grömitz ist ein fester Bestandteil der Ausbildung und trägt wesentlich dazu bei, den Teamgeist zu stärken.
Welche anderen Themen müssten zukünftig Ihrer Meinung nach während der Ausbildung ebenfalls verstärkt behandelt werden?
Mir ist es wichtig, auch über den fachlichen Tellerrand hinauszublicken. Bei Ihrer Frage fällt mir spontan die finanzielle Bildung, insbesondere die Rentenabsicherung ein. Das ist so ein Thema, das oft zu kurz kommt, aber für die Zukunft entscheidend ist. Besonders am Herzen liegt mir aber auch der kritische Umgang mit Medien – gerade im Hinblick auf neue KI-Technologien wird Medienkompetenz immer wichtiger.
Imke Nilsson setzt sich mit viel Engagement für die Ausbildung junger Talente ein – mit einem Mix aus fachlicher Qualifikation, digitalem Lernen und Teamgeist.
Attraktive Ausbildungsmöglichkeiten bei Covestro
Was macht eine Ausbildung bei Covestro in Brunsbüttel besonders?
Ein besonderes Merkmal unseres Standorts ist, dass Brunsbüttel das Ausbildungszentrum von Covestro ist und über moderne Lernwerkstätten verfügt, in denen die Azubis ihre Fertigkeiten trainieren können. Übrigens bilden wir neben unseren eigenen Azubis auch Nachwuchskräfte anderer Unternehmen des ChemCoast Parks, wie Sasol oder TotalEnergies, aus. Das kann von einzelnen Ausbildungsmodulen über Prüfungsvorbereitungen bis hin zur vollständigen Ausbildung reichen. Aktuell betreuen wir rund 100 Azubis aus verschiedenen Lehrgängen und Jahrgängen. Ich sehe auch einen weiteren großen Vorteil darin, dass wir unsere Azubis von ihrem ersten Messebesuch über Praktika bis hin zur Freisprechung kontinuierlich begleiten können – dadurch kennen wir sie bestens und können sie auch nach der Ausbildung individuell fördern.
Und wie sieht es mit Studienmöglichkeiten aus?
Die Modelle duales oder triales Studium bieten wir derzeit nicht an. Wer sich nach der Ausbildung weiterbilden möchte, hat natürlich die Möglichkeiten, das in verschiedenen Programmen am Standort zu machen. Uns ist es wichtig, unsere Azubis langfristig zu halten und auf spätere Funktionen vorzubereiten – wer fachlich und persönlich überzeugt, hat also gute Chancen auf eine Karriere bei Covestro.
Fachkräftemangel: Covestros Strategie für die Zukunft
Der Fachkräftemangel betrifft fast alle Branchen. Wie geht Covestro mit dieser Herausforderung um?
Unsere ländliche Lage macht die Azubi-Suche nicht gerade einfacher. Deshalb gehen wir neue Wege: Ab 2025 werden wir sechs kolumbianische Azubis einstellen. Laut der Agentur für Arbeit gibt es in unserem Bereich doppelt so viele Ausbildungsplätze wie Bewerber – das Ungleichgewicht ist enorm. Neben internationalen Fachkräften setzen wir aber auch auf Quereinsteiger. Viele unserer Azubis sind über 18 Jahre alt und haben vorher eine andere Ausbildung begonnen oder ein Studium abgebrochen. Für sie bieten wir eine sichere Alternative mit guten Zukunftsperspektiven.
Nachhaltigkeit und Vorurteile gegenüber der Chemiebranche
Inwieweit könnten auch Umweltgründe für Jugendliche gegen eine Ausbildung in der Chemiebranche sprechen?
Viele junge Menschen haben Bedenken – oft aufgrund von Vorurteilen oder falschen Vorstellungen. Dabei spielt Nachhaltigkeit in der Chemiebranche, insbesondere bei Covestro, eine immer größere Rolle. Wir arbeiten kontinuierlich daran, Produkte und Prozesse umweltfreundlicher zu gestalten und setzen hohe Standards in Sachen Arbeitssicherheit. Und was aus unseren Schornsteinen steigt, ist kein gefährlicher Rauch, sondern Wasserdampf.
Um diese Sorgen auszuräumen, suchen wir aktiv den Austausch. Auf Ausbildungsmessen und bei Besuchen von Schulklassen ermöglichen wir Jugendlichen, sich selbst ein Bild zu machen, hinter die Kulissen zu schauen und ihre Fragen direkt mit uns zu besprechen. Denn nur wer die Branche wirklich kennt, kann eine fundierte Entscheidung für die eigene Zukunft treffen.
Frauen in MINT-Berufen: Zwischen Herausforderung und Wandel
Sie sind gerade dabei, eine Plattform ins Leben zu rufen, die Frauen in MINT-Berufen unterstützt. Inwiefern wirkt sich dieses Engagement auf Ihre Arbeit als Ausbildungsleiterin aus?
Als Ingenieurin in einer männerdominierten Branche setze ich mich seit Jahren mit den Herausforderungen für Frauen in MINT-Berufen auseinander. Der Austausch und die gegenseitige Unterstützung unter Frauen sind mir daher ein wichtiges Anliegen – genau das möchte ich mit dem MINT Club fördern. Allerdings ist das ein privates Projekt, das unabhängig von meiner Rolle als Ausbildungsleiterin existiert. Trotzdem sehe ich auch bei Covestro, dass der Frauenanteil in unseren Ausbildungsberufen mit rund 10 Prozent noch immer sehr niedrig ist, obwohl er langsam steigt.
Woran liegt das Ihrer Meinung nach?
Viele unserer Ausbildungsberufe – etwa Industriemechaniker, Chemikant oder Elektroniker für Automatisierungstechnik – haben einen starken handwerklichen Anteil, der nach wie vor mehr Männer als Frauen anspricht. Hinzu kommt, dass auch Schulen oft unbewusst klassische Rollenbilder weitergeben, die die Berufswahl beeinflussen. Doch es gibt positive Entwicklungen: Bei den Chemielaboranten beispielsweise ist das Geschlechterverhältnis bereits viel ausgeglichener.
Was kann Covestro tun, um Rollenklischees aufzubrechen?
Wir sind bereits in vielen Bereichen gut aufgestellt: Es gibt Diversity-Gruppen, die sich mit dem Themenkomplex befassen. Unsere tarifliche Vergütung ist geschlechtsunabhängig und Teilzeitmöglichkeiten stehen allen offen. Aber es bleibt eine Herausforderung, traditionelle Denkmuster aufzubrechen. Wir beobachten die Entwicklung genau und setzen uns weiterhin dafür ein, dass MINT-Berufe für alle attraktiv sind – unabhängig vom Geschlecht.
Persönliche Motivation und Rat an junge Menschen
Was motiviert Sie in Ihrer Arbeit?
Mich motiviert es, der nächsten Generation nicht nur fachliches Wissen, sondern auch wertvolle Fähigkeiten fürs Leben mitzugeben. Eine Ausbildung besteht aus weit mehr als nur dem Beruf selbst – es gibt so viel drumherum zu lernen, was wir als Ausbilder nicht aus den Augen verlieren dürfen. Dabei bin ich froh, ein engagiertes sechsköpfiges Ausbilderteam an meiner Seite zu haben, das offen für neue Ideen ist und sich immer weiterentwickeln möchte.
Welchen Rat würden Sie jungen Menschen geben, die vor der Berufswahl stehen?
Überlegt euch, was euch schon immer Spaß gemacht hat, und sucht nach einem Beruf, der dazu passt. Es geht nicht darum, was andere erwarten – wichtig ist, dass es euch erfüllt. Probiert euch aus, macht Praktika auch außerhalb der Schule und bleibt offen für Neues.
Nichts ist in Stein gemeißelt – man kann sich immer weiterentwickeln. Das sieht man ja an mir! (lacht).
TEXT Anja Nacken
FOTO Covestro