Deutsch lernen und teilhaben am Leben

Deutsch lernen und teilhaben am Leben

Ein Gespräch über das DaZ-Zentrum (Deutsch als Zweitsprache) und über Rassismus gegenüber Kindern mit Migrationshintergrund

Gesa Köhne ist Lehrerin für Philosophie und Dänisch; Deutsch als Fremdsprache hat sie als Zusatzqualifikation erworben. Seit sieben Jahren leitet sie das DaZ-Zentrum an der Gemeinschaftsschule Bredstedt und hat dadurch engen Kontakt zu Kindern mit Migrationshintergrund. Im Interview berichtet Frau Köhne über den DaZ-Unterricht. Sie spricht außerdem über die Themen Demokratie und Rassismus aus der Sicht der DaZ-Lehrerin sowie über deren Bedeutung für die DaZ-Kinder.

Wie ist die Situation im Hinblick auf Kinder mit Migrationshintergrund hier an der Schule?

Wir hatten bis 2014 relativ wenige Schüler mit Migrationshintergrund. Dann kam die Flüchtlingswelle 2015 und wir sind zum DaZ-Zentrum geworden. Insgesamt haben wir derzeit über 100 Kinder im DaZ-Unterricht. Davon habe ich gut 40 Kinder in der Basisstufe (A1 oder weniger).
Darunter sind einige Kinder, etwa ein Viertel, die über keinerlei oder nur wenig Schulerfahrung verfügen. Ein Beispiel: Sie sind als Kleinkinder aus Syrien oder dem Irak geflohen, haben ihre gesamte Grundschulzeit in der Türkei verbracht, ohne die Schule besuchen zu können, kommen jetzt hier in die Schule und sind daher nicht alphabetisiert. Oder es gibt Kinder, die nicht hier sein wollen, da sie die Beweggründe der Eltern nicht nachvollziehen können.
Wir haben allerdings auch Kinder, die bereits in ihrer Heimat in die Schule gegangen sind, sich hier gut einfügen und eine gute Perspektive haben. Es gibt sogar Schülerinnen und Schüler, die parallel zur hiesigen Schule am Online-Unterricht ihrer Heimat teilnehmen und dann zwei Schulabschlüsse machen.

Werden die neuen Schüler nur in Deutsch unterrichtet oder nehmen sie auch an dem weiteren Unterricht teil?

Wenn die Kinder hierherkommen, sind sie zunächst von sprachlicher Seite her in einer Basisstufe bei mir im DaZ-Zentrum. Sie nehmen aber bereits am Unterricht in ihrer Stammklasse teil, um soziale Kontakte zu knüpfen.
Die Schüler bekommen bei Bedarf sprachreduziertes Material und nehmen anfangs an Kunst und Sport teil. Ziel ist es, dass sie Themengleich am gesamten Unterricht teilnehmen können.

Was ist mit Kindern, die später zu Ihnen kommen?

Problematisch wird es, wenn Kinder beispielsweise erst mit 14 Jahren zu uns kommen, denn dann haben wir nicht mehr sehr viel Zeit bis zum Schulabschluss. Zudem dürfen die Schüler erst in die zehnte Klasse gehen, wenn sie einen gewissen Sprachstand erreicht und eine entsprechende Prüfung abgelegt haben. Um in allen Fächern benotet zu werden, müssen sie die Fachsprache und -inhalte verstehen.
Schaffen sie den Schulabschluss nicht, haben wir eine weitere Möglichkeit: Wir können das Deutsche Sprachdiplom, die B1-Prüfung, abnehmen. Das Diplom wird von der IHK anerkannt, und die Schüler können damit eine Ausbildung beginnen. Oder die Schüler wechseln in die Ausbildungsvorbereitung AV-SH in Husum und erhalten dort die Chance auf den ESA oder weitere berufliche Maßnahmen.

Wie gestalten Sie Ihren Unterricht, um Schüler mit unterschiedlichen Sprachkenntnissen zu fördern?

Mich fasziniert am Unterricht, den Blickwinkel auf die deutsche Sprache und ihre Besonderheiten zu bekommen. Wir können im DaZ-Unterricht im Rahmen des Lehrplans kreativ sein. Ob wir Lieder singen oder Spiele spielen – Hauptsache, wir verwenden die deutsche Sprache; das ist auch für Alltagssituationen wichtig. Die Kinder kommen aus unterschiedlichen Ländern, und da wir keine gemeinsame Sprache haben, wird Deutsch unsere Kommunikationssprache im Unterricht, Deutsch ist für die Kinder auch außerhalb der Schule wichtig.
In den Elternhäusern gibt es teilweise starke Unterstützung für die Kinder, auch in sprachlicher Hinsicht, während andere Eltern weniger Möglichkeiten zur Zusammenarbeit mit uns haben. Eines der größten Probleme ist oft die traumatische Belastung der Kinder, an der sie schwer tragen. Sie dazu zu motivieren, sich auf den Schulabschluss zu konzentrieren und nach vorne zu blicken, ist zuweilen herausfordernd.

Schüler, Schüler und Lehrerin

Frau Köhne mit Hanen und Maksym

Welche Rolle spielt die Themen Rassismus und Demokratie an dieser Schule?

Von 800 Schülern haben wir 100, die neu aus anderen Ländern hinzukommen. Das ist ein relativ großer Prozentsatz. Wir haben zurzeit viele Nationalitäten, darunter Kinder aus der Ukraine, Syrien, dem Irak, dem Sudan und anderen Ländern. Besonders Kinder, die einen mehrjährigen Zwischenstopp zum Beispiel in der Türkei einlegen mussten, haben aufgrund ihrer Herkunft dort bereits Rassismus erfahren und bringen diese Erfahrungen hierher mit.
Ich habe die Problematik, dass Nationalitäten sich untereinander diskriminieren, beleidigen und rassistisch äußern. Zudem kommen Kinder auch während des laufenden Schuljahres zu uns an die Schule. Die Kinder müssen sich kennenlernen ohne vorhandene Sprachkenntnisse.

Gibt es besondere Herausforderungen?

Die eben genannten Vorerfahrungen der Schüler sind zum einen eine Baustelle, die wir hier versuchen aufzuarbeiten. Es ist normal, dass Kinder sich mal ärgern und stänkern, aber bei diesen Kindern führt das sehr leicht dazu, dass sie sich ausgegrenzt oder beleidigt fühlen. Manche Bemerkungen von Kindern und Jugendlichen sind nicht bewusst reflektiert oder böse gemeint, allerdings gibt es auch einige, die sich schon rassistisch äußern.
Hier kommt die Demokratie ins Spiel. Die Kinder müssen verstehen, dass man zwar alles sagen kann, aber dass es Grenzen gibt, wenn dadurch jemandem nahe getreten wird oder jemand verletzt wird.

Wie gehen Sie damit um?

Es ist eine große Herausforderung für uns Lehrer, hier zu differenzieren. Wir müssen die Situation einschätzen, einordnen und besprechen. Wir müssen uns für das Thema sensibilisieren und uns um Prävention bemühen. Und das gilt für die gesamte Schule, nicht nur für das DaZ-Zentrum.
Wir müssen auf beiden Seiten mit vielen Vorurteilen aufräumen. Gerade in der Gesellschaft, und Schule ist eine Abbildung der Gesellschaft, gibt es sehr viele Beispiele für Alltagsrassismus und hierfür müssen wir sensibler werden. Das ist eine große Aufgabe.

Haben Sie praktische Beispiele?

Wir führen beispielsweise teambildende Maßnahmen mit unserer Schulsozialarbeit durch, als eine der präventiven Maßnahmen. Ein weiteres Beispiel sind die Handy-Scouts. Das sind angeleitete Schüler, die jüngere Schüler im Umgang mit sozialen Medien informieren, ihnen erklären, wie man sich verhalten und miteinander kommunizieren sollte.
Einige Schüler aus meiner DaZ-Klasse gehen in andere Klassen und berichten von ihrer Flucht. Damit bekommen die anderen Kinder mehr Hintergrundwissen und erleben einen Perspektivwechsel. Denn in diesem Bereich kursieren in der Gesellschaft und in den sozialen Medien viele Fake News.

TEXT Hilke Ohrt
FOTO Hinrik Schmoock