Heinz Schelwat entwickelte und baute zunächst Messsonden für Gewässer und zur Messung der Wasserqualität. Später konzentrierte er sich auf Solaranlagen. Jetzt verbindet er beide Welten: Er nutzt Algen und daraus gewonnene Nahrungsergänzungsmittel und will damit sogar Krankheiten heilen.
Als Heinz Schelwat als Kind mit seinen Eltern nach Trappenkamp kam, war die Gemeinde noch jung und unbekannt. Trappenkamp liegt am Nordrand des Kreises Segeberg. Entstanden ist sie im Krieg, erzählt der 64-Jährige: „Hier wurden damals Seeminen gebaut. Alles streng geheim.“
Aus heutiger Sicht könnte man den Umzug der Eltern als Glücksfall bezeichnen. Inzwischen hat die jüngste Gemeinde in Schleswig-Holstein 5300 Einwohner und mindestens einen prominenten Bürger: Heinz Schelwat.
Doch der Reihe nach. Nach der Schule machte Heinz Schelwat eine Ausbildung zum Radio- und Fernsehtechniker in Neumünster, arbeitet aber zunächst als Heizungstechniker. Bald wechselte er den Arbeitgeber und ging zu ME Meerestechnik in Trappenkamp. Das Unternehmen stellte Messsonden her, um die Wasserqualität beurteilen zu können. Hier konnte Schelwat sein Elektrotechnikwissen aus der Ausbildung einbringen. Zudem sein Können als Geräteentwickler für die Heizungsbauindustrie – die Sensoren stecken in soliden Metallgehäusen.
Abends ging der junge Heinz Schelwat auf die Technikerschule und setzte eine Ausbildung zum Datenverarbeiter obendrauf. Später noch den technischen Betriebswirt. Mit seiner Erfahrung und den Zusatzausbildungen war er gut gewappnet für einen Glücksfall in seinem Leben. 1998 meldete ME Meerestechnik, das Unternehmen, für das er in Trappenkamp arbeitete, Konkurs an. Schelwat fasste Mut und machte sich selbstständig. Er übernahm die Firma und nannte sie Sea & Sun Technology GmbH. Es musste zwar alles neu entwickelt werden, aber das war es ihm wert.
Die Messsonden der einstigen ME Meerestechnik waren weltweit gefragt. Nur wenige Firmen hatten das Knowhow, solche Geräte zu reparieren und weiterzuentwickeln. Der Staat, mit all seinen Instituten und Universitäten, war einer der Hauptkunden. Eigentlich wurde Schelwat eine Förderung in Höhe von einer Million Mark versprochen, die floss aber nie. „Das war die erste Million, die ich nicht hatte“, sagt er.
Enormer Druck
Heute kann er darüber lachen. Rund vier Millionen Euro Umsatz macht Schelwat mit seiner Firma mittlerweile. 35 Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen beschäftigt er: „Wir verkaufen weltweit.“ Die kleinsten Messsonden haben in etwa die Größe einer Cola-Dose, die größten sind etwa zwei Meter groß – und kosten um die 100.000 Euro. Sie erfassen Parameter, wie Temperatur, Leitfähigkeit, Sauerstoffgehalt, PH-Wert oder Druck. Und der kann mörderisch sein, wie Schelwat anhand eines Modells zeigt, das er auf den Tisch seines Büros legt. Der etwa 30 Zentimeter lange Zylinder aus Titan ist platt wie eine Flunder. Wer weiß, dass der Wasserdruck mit jedem Meter Tiefe zunimmt, weiß auch, dass der Umgebungsdruck in 11.000 Metern Tiefe 1100 mal so groß wie an der Oberfläche ist. Doch die Sonden halten dem Stand, sie sind dafür gemacht. Dann hebt er eine weitere Sonde auf den Tisch. Die ist nur an einer Seite eingedrückt. „Die war in der Nähe einer Explosion“, erklärt Schelwat.
Die Messsonden werden in der Regel von Meeresforschungsinstituten und Universitäten eingesetzt, genauso von den Behörden, die die Wasserqualität beobachten. Ebenso Gas und Ölförderunternehmen, die am Meeresgrund nach Rohstoffen suchen. Aber nicht nur auf hoher See kommen sie zum Einsatz. Sie werden auch in Bergwerke abgesenkt, die über die Jahre voll Wasser gelaufen sind. Sie messen in Stau- oder Gebirgsseen oder in und unter dem ewigen Eis.
“Irgendwer muss ja messen”
Schelwat schwimmt zwar nicht so gerne und ist auch sonst keine Wasserratte, das Meer mag er aber trotzdem. Und mehr noch: er fühlt sich ihm regelrecht verpflichtet. Angesichts der Industrialisierung der Meere und all der wirtschaftlichen Interessen – von Öl, Gas und Manganknollen über Zuchtfisch bis hin zur Seefahrt – fühlt er sich berufen, dem Meer zu helfen: „Irgendwer muss das ja messen.“ Die Werte bedeuteten ihm viel, sind sie doch die Grundlage für Entscheidungen: Klimaforscher erstellen mit den Daten Modelle, Behörden bewerten unser Trinkwasser und Meeresbiologen tauchen damit in die Tiefsee.
Wo auf der Welt Schelwat mit seiner Firma aktiv ist, markieren Stecknadelköpfe in einer bathymetrischen Karte in seinem Büro. Sie füllt fast die ganze Wand hinter seinem Schreibtisch. Solche Karten zeigen die Gewässer-, insbesondere den Meeresboden mit Tiefenzahlen, Tiefenlinien und farbig markierten Tiefenschichten. Die Stecknadeln finden sich auf ziemlich allen Kontinenten.
Um nur eines der vielen Projekte zu nennen, an denen Sea & Sun beteiligt ist: BOSS. Das Kürzel steht für „Bionic Observation‐ and Survey System“, übersetzt: bionisches Beobachtungs- und Vermessungssystem. Die Kerninnovation besteht aus Unterwasserfahrzeugen, die nach dem Vorbild von Manta-Rochen gestaltet wurden. Diese bionischen U-Boote sind komplett elastisch und erreichen gute Schwimm- und Manövrierfähigkeiten. Sie sind mit speziellen Sensoren, Kommunikations- und Navigationsmitteln ausgestattet und können sogar im Schwarm agieren. Eine portable Leitzentrale zur Planung und Überwachung der Missionen wurde entwickelt, ebenso wie eine intelligente Aussetz- und Bergevorrichtung.
Sea & Sun?
Spätestens jetzt mögen sich die ersten Leser fragen, was es mit dem „Sun“ im Firmennamen auf sich hat. Ganz einfach: In den Anfangsjahren setzte Schelwat auf Fotovoltaikanlagen. Seine Firma installierte Hunderte Systeme in Norddeutschland. Mit dem Auslaufen der Förderung gingen die Aufträge zurück. Doch die Sonne und das Licht werden in der Firmengeschichte weiter eine zentrale Rolle spielen.
Als Schelwat im Jahr 2012 mit seiner Frau in der Nachbargemeinde Gönnebeck Tomaten einkaufen ging, sah er, dass ein 6000 Quadratmeter großes Gewächshaus zum Verkauf stand. Und während seine Frau Tomaten kaufte, kaufte er das Gewächshaus. Zunächst hatte er vor, eine große Fotovoltaikanlage zu installieren: „Glas raus, Solar drauf“, sagt Schelwat. Doch daraus wurde nichts. Und das war wohl Schelwats Glück. Denn ein befreundeter Professor von der Uni Flensburg brachte ihn auf die Idee, das Innere zu nutzen. Und zwar um Mikroalgen zu züchten. Schelwat horchte auf. Der Preis für ein Kilogramm extrahiertes Astaxanthin, ein Wirkstoff der Blutregenalge, betrug damals 100.000 Euro.
Schelwat hatte damals gerade einen Sensor für Chlorophyll entwickelt. Chlorophylle sind Farbstoffe, die von Pflanzen gebildet werden, die Photosynthese betreiben. Und genau das machen Algen. „Mit dem Sensor kann man genau bestimmen, wann es Zeit ist zu ernten“, sagt Schelwat.
Aus der Tonne
Was Schelwat erntet, ist die Blutregenalge. Ihr lateinischer Name lautet „Haematococcus pluvialis“. Blutregen deswegen, weil die Alge rot ist. Viele Schalentiere erhalten so ihre Färbung. „Das Besondere an der Alge ist, dass sie unter bestimmten Bedingungen das Karotinoid Astaxanthin anreichern kann. Dieser Stoff ist eines der stärksten natürlichen Antioxidantien, die es auf der Welt gibt. Damit kann die Alge Jahrzehnte unter extremen Bedingungen überdauern und bei besser werdenden Umweltverhältnissen wieder wachsen“, sagt Clemens Elle, Leiter der Algen-Vorkultivierung bei Sea & Sun Organic, einer Schwesterfirma der Sea & Sun Technology GmbH.
Sea & Sun vertreibt ein Nahrungsergänzungsmittel namens „algenial“. Die blutroten Kapseln sollen eine Wunderwaffe im Kampf gegen sogenannten oxidativen Stress sein, ist Schelwat überzeugt. Sportlern soll es helfen, zu regenerieren. Es soll die allgemeine Gesundheit fördern.
Der Wirkstoff könnte sogar die feuchte Makuladegeneration lindern, hofft Schelwat. Studien dazu und konkrete Ergebnisse fehlen zwar noch, doch Forschungen und Kooperationen mit Universitäten laufen bereits. Alexa Karina Klettner von der Klinik für Augenheilkunde an der Universität Kiel erforscht den Wirkstoff: „Astaxanthin hat ein enormes Potential, die Retina gegen oxidativen Stress zu schützen.“
Oxidativen Stress, so nennt man einen Zustand im Stoffwechsel, bei dem durch Oxidation Schäden an Zellen oder deren Funktionen entstehen. Auch der 37-jährige Clemens Elle ist sicher, dass das Präparat wirkt: „Die antioxidative Kapazität von natürlichem Astaxanthin ist 100 mal stärker als die von Vitamin E und 6000 mal stärker als die von Vitamin C.“ Zudem sei Astaxanthin fettlöslich. Unsere Körperzellen werden ja von einer Fettschicht umgeben und da kommt Astaxanthin gut rein, beziehungsweise durch.
Vater der Alge
„Im Gegensatz zu Mitbewerbern, die ebenfalls auf Astaxanthin setzen, gewinnen wir den Wirkstoff auf natürliche Weise, also ohne Petrochemie, als derzeit einziges Unternehmen in Deutschland“, sagt Elle, der in Bremen technische- und angewandte Biologie studiert hat.
2015 hat er sich initiativ bei Sea & Sun beworben. „Ich sorge dafür, dass die Mikroalge sauber bleibt – von der Startkultur bis hin zum industriellen Volumen, das sind immerhin mehrere 1000 Liter. Ich mache aber auch Projektleitung, schreibe Anträge, halte Vorträge und kümmere mich um die Vermarktung unserer algenial-Produkte. Laborarbeit macht mir aber auch viel Spaß. Ich habe vor meinem Studium nämlich eine Ausbildung zum Biologisch-Technischen Assistent gemacht.“
Clemens Elle ist praktisch der Vater der Sea&Sun-Ur-Alge: „Die Alge habe ich in einer Regentonne in Hamburg gefunden. Dort, wo Wasser verdunstet und der Stand in der Tonne sinkt, bildet sich manchmal so ein rötlicher Rand. Das sind die Algen, die sich unter diesen extremen Bedingungen durch die Bildung von Astaxanthin schützen, bis der Wasserstand wieder steigt. Dort habe ich dann einen Abstrich genommen, im Labor mikroskopiert und dann auf Agarplatten vereinzelt, bis wir eine Reinkultur hatten.“
Leute wie Clemens Elle zu finden ist ein Glücksfall für Heinz Schelwat. In all den Laboren, Werkstätten und Büros braucht er motivierte und qualifizierte Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen. Die fallen nicht vom Himmel, das ist Schelwat klar. Wer welche Ausbildung oder welches Studium hat, ist ihm relativ egal. Wer Interesse hat, bei Sea & Sun zu arbeiten, soll sich bewerben: „Sollten bestimmte Qualifikationen fehlen, dann kriegen wir das schon hin.“
Auch die Jüngeren hat Heinz Schelwat im Blick. Er engagiert sich an Schulen und stellt Fördermittel bereit. „Ich will für MINT-Fächer begeistern. Das sind schließlich die Leute, die wir hier brauchen.“ Zwar bildet Sea & Sun nicht aus, für Masterarbeiten ist das Unternehmen aber immer offen.
Top Innovator
Mit all seinen Erfindungen und Entwicklungen hat es Heinz Schelwat mit seinem Unternehmen bereits zum zweiten Mal auf die Liste der 100 innovativsten Unternehmen Deutschlands geschafft.
Woher Heinz Schelwat all die Ideen und Visionen nimmt? Eine Inspirationsquelle dürfte „Franco“ sein. Der Italiener in Trappenkamp ist quasi sein zweites Büro. In einer etwas abgeschirmten Ecke sitzt er gerne mit seinen Gästen und schaut ihnen beim Essen zu – während er erzählt und erzählt und erzählt. Langweilig wird das nie.
TEXT Daniel Hautmann
FOTO Sea & Sun