Dass die Wirtschaftspsychologie eine wichtige Disziplin darstellt, zeigt die diesjährige Verleihung des Wirtschaftsnobelpreises an den US-Amerikaner Richard Thaler. Der Verhaltensökonom hatte sich viele Jahre mit der Frage beschäftigt, wie Psychologie das wirtschaftliche Verhalten jedes einzelnen beeinflusst. Im Gespräch mit Studiengangleiter Prof. Dr. Thomas Jendrosch wollten wir erfahren, was das Studium an der FH Westküste interessant macht und welche Perspektiven sich den Absolventinnen und Absolventen bieten.
Herr Professor Jendrosch, was ist für Sie das Spannende an Wirtschaft und Wirtschaftspsychologie?
Ich versuche Wirtschaft ganzheitlich zu begreifen. Mir ist wichtig, Menschen ein positives Wirtschaftsbild zu vermitteln. Es geht nicht nur um Manipulation und die Beschäftigung von Arbeitskräften. Es geht auch um Ideen und Unternehmensgründungen, Projekte und Innovationen. Besonders spannend finde ich wirtschaftliche Randthemen, wie Kaufsucht, Messies, Kleptomanie oder Ladendiebstahl. Warum klauen Hotelgäste die Badeseife in einem 200 Euro teuren Hotelzimmer? Mich interessieren Motive, Sehnsüchte und Abwegigkeiten menschlichen Handelns, also das, was oft im Verborgenen liegt.
Der Tag beginnt mit Radiowerbung und endet mit ‚La-La-Musik‘ im Supermarkt. Ist die Wirtschaftspsychologie für Manipulation zuständig?
Verhaltenssteuerung trifft es besser. Mir wird das manipulative Moment oft zu einseitig und negativ dargestellt. Dekoration, Warenanordnungen und Musik im Supermarkt sind ein uralter Hut. Das lernt jedes Kind in der neunten Klasse. Eine Filialleitung achtet darauf, dass seine Kunden sich beim Einkauf wohlfühlen, damit sie länger bleiben und mehr kaufen. Aber wenn ich mir Gäste nach Haus einlade, dekoriere ich auch den Tisch, lege schöne Musik auf und sorge für angenehmes Licht. Als Konsumenten und Produzenten unterliegen wir ähnlichen psychologischen Prozessen.
Sie waren 2011 an der Einführung dieses Studiengangs an der FHW beteiligt. Worum geht es in dem Studium?
Im Gegensatz zur klassischen Betriebswirtschaftslehre, die sich an harten Fakten orientiert, beschäftigen wir uns mit der Frage: Welche weichen Faktoren sind, neben Planung, Effizienz oder Controlling, für einen Unternehmenserfolg ausschlaggebend? Wie können Konsumenten angesprochen werden? Um diese Fragen zu beantworten müssen wir mehr über unbewusste Wahrnehmungen und Prozesse erfahren. Dahinter steckt ein ganzheitlicher und menschengerechter Ansatz. Der Studiengang wird sehr gut angenommen.
Was macht den Studiengang so besonders?
Ich denke, die intensive Studienatmosphäre und der hohe Praxisbezug sind zwei hervorzuhebende Faktoren. Zwischen den Lehrenden und den rund 40 Studierenden gibt es ein sehr gutes Klima. Unsere Seminare sind auf 15 Leute begrenzt. Das bedeutet: ideales Arbeiten! Auch die räumliche und apparative Ausstattung ist hervorragend. Mit dem Eye-Tracking-System haben unsere Studierenden neuerdings Zugriff auf modernste Technologie zur Analyse von verhaltensökonomischen Aspekten. Und ein Wesenskern unserer Ausrichtung als Fachhochschule ist natürlich der hohe Praxisanteil im Studium. Das kommt bei unseren Studierenden gut an.
Haben Sie dafür Beispiele?
Jede Menge. Wir sprechen zum Beispiel nicht nur über Supermärkte, sondern besuchen sie. In der Praxis kann ich Bedürfnisse am besten erkennen und verstehen. Deshalb tauschen wir uns z. B. regelmäßig mit dem Edeka Center ‚Frauen‘ in Heide aus, Deutschlands bestem Supermarkt 2012. Im Bereich Musikmarketing untersuchen wir, welche Faktoren für einen Werbehit wichtig sind. Studierende betreiben dazu praktische Grundlagenforschung und recherchieren auf YouTube und bei GfK Media Control alle relevanten Parameter. Zusätzlich laden wir regelmäßig interessante Gäste ein. YouTube-Star Freshtorge war schon zu Gast. Vor Kurzem war die Sängerin und Songwriterin Kerstin Ott bei uns und berichtete darüber, wie der Erfolg ihre Persönlichkeit verändert hat. Auch die Satire-Redaktion von NDR Extra Drei kam schon vorbei und hat uns nun ebenfalls zu sich ins Studio eingeladen. Das muss ich noch organisieren.
Was erwarten Sie von Studierenden?
Ich erwarte, dass sich Studierende informieren und engagieren. Akademische Bildung erfordert, dass ich mich auch selbst um eine breite Bildung kümmere und mich nicht nur von sozialen Medien berieseln lassen.
Welche Perspektiven haben studierte Wirtschaftspsychologen/-innen?
Die beruflichen Perspektiven sind sehr gut. Wirtschaftspsychologen arbeiten in der Personalplanung und -entwicklung, aber auch in vielen Medienbereichen, im Bereich Marketing, Coaching oder im Produktmanagement. In Kürze erwarten wir einen Referenten aus dem Personalmanagement der Firma Otto. Er war einer unserer ersten WiPsy-Absolventen an der FHW und wird uns aus seiner Praxis berichten.
TEXT Christian Dorbandt
FOTO Sebastian Weimar, Eric Genzken