Zukunft im Reaktor

Zukunft im Reaktor

Wie Stroh Biomais in der Stromgewinnung ersetzen kann.

Was das Forscher-Team um Prof. Dr. Paul Scherer am Campus Bergedorf derzeit vorantreibt, ist die Tatsache, dass durch die Biogasverwertung von Stroh der gesamte Biogasmais in Deutschland ersetzt werden könnte – was einer Revolution gleichkommt. Das Ziel: einen lukrativen, industriellen Prozess wissenschaftlich zu beschreiben, was die Akzeptanz von Biogasanlagen schlagartig erhöhen würde. 

Sebastian Antonczyk steht vor seiner Versuchsanlage in dem Biogaslabor an der Fakultät Life Sciences in Bergedorf. Der Diplomingenieur promoviert derzeit in einer kooperierenden Promotionsschule der Universität Hamburg mit der HAW in einem deutschlandweit einzigartigem Projekt: der Vergärung von Stroh zwecks Methangewinnung – ohne Gülle. Auf seinem Block notiert Antonczyk Meldungen, die er fortwährend vom Computer abliest, der die drei Reaktoren automatisch überwacht. „Es gibt bereits erste Anlagen in Deutschland, in denen Stroh mit Gülle vergoren wird. Allerdings fehlt es bislang an profunden Erkenntnissen, wie das Stroh ohne die sonst dazu verwendete Schweine- oder Rindergülle vergärt werden kann, um einen möglichst hohen Methanertrag zu erzielen“, erklärt der Doktorand.

Stroh enthält keine Stärke wie Rüben oder Biomais

Denn anders als die landläufig verwendeten Rüben oder der Mais enthält Stroh keine Stärke, sondern besteht hauptsächlich aus schwer abbaubaren Fasern, insbesondere Lignin, und damit Ballaststoffen. „Daher“, so der HAW-Absolvent Antonczyk, „muss die Maschinerie so eingestellt werden, dass das Stroh quasi vorverdaut wird. Ich kümmere mich darum, die optimalen Einstellungen für diesen Vergärungsprozess herauszufinden, also um die Justierung der Knöpfe und Schrauben, um den Methanertrag zu erhöhen, so dass der biotechnologische Prozess effizienter wird.“ Denn darum geht es: Erst wenn sich die aufwendigen Biogasreaktoren für Strohvergärung rechnen, kann aus Stroh Energie gewonnen und das Verfahren in-
dustriell genutzt werden.

Bislang ist das Verfahren zu langsam und der Methanertrag zu niedrig, um es ohne Gülle zur Energiegewinnung einzusetzen. „Dabei“, so der Leiter des Biogaslabors und weithin bekannte Biogas-Experte Prof. Dr. Paul Scherer, „ist die Idee genial. Denn Stroh ist im Gegensatz zur Rübe und zum Mais kein Lebensmittel, sondern ein Abfallprodukt, das keine zusätzlichen Flächen benötigt und oftmals auf den Feldern verbrannt wird, was dann den berüchtigten Feinstaub erzeugt – gerade in China ein großes Umweltproblem.“

Besuch aus China: Delegation will Großanlage ohne Gülle aufbauen

Aus diesem Grund hatte Prof. Scherer Anfang Januar 2016 Besuch einer hochrangigen Delegation aus China, die sein Bio-Forschungslabor in der Fakultät Life Sciences besichtigte. „Sie waren sehr an unseren Forschungsergebnissen interessiert und wollen in China Biogasanlagen für Stroh im großen Stil errichten, weil es dort in der Provinz Jiangsu kaum Gülle gibt“. Das Ziel der Delegation aus Jiangsu – das in der Nähe von Shanghai liegt und circa 330 Millionen Einwohner hat – ist es, mit deutscher Zerkleinerungstechnik und Know-how die erste Großbiogasanlage für Stroh in China aufzubauen. Diese soll dann täglich zirka 50 Tonnen Stroh zu Biogas und Mineraldünger veredeln, um damit pro Tag etwa 50.000 kWh zu erzeugen.

Die Aufbereitung des Strohs durch eine spezielle Zerkleinerungstechnik ist essentiell, um eine gleichbleibende Qualität des Prozesses zu garantieren und eine hohe Ausbeute an Methangas zu erzielen. Scherer erklärt: „Es muss noch daran gearbeitet werden, die Reproduzierbarkeit des Prozesses sicher zu stellen und dabei die Aufbereitung kostengünstig zu gestalten. Derzeit ist die Zerkleinerung des Strohs energetisch noch zu aufwendig, um den anvisierten Wirkungsgrad von 85 Prozent zu erreichen.“

Synthetische Gülle für die Vergärung – eine Erfindung von Professor Scherer

Seit drei Jahren wird am Forschungsschwerpunkt „Biomassenutzung Hamburg“ dieses neue biotechnologische Verfahren zur Strohvergärung erforscht. Mit dabei ist auch der HACMYK_Sebstian-Antonczyk-vor-dem-Reaktor-zur-Strohvergaerung-KopieW-Promotionsstipendiat Richard Arthur der KSB-Stiftung (ein weltweiter Pumpenhersteller), der parallel bis in den Piko-Bereich die essentiellen Mineralien der Strohvergärung charakterisiert und analysiert. Um das Labor auf diese neue Energiequelle Stroh umzustellen, wurden die ehemals für Rüben ausgelegten Reaktoren von Antonczyk über ein Jahr umgebaut. Treiber d
er Vergärung des Strohs ist „synthetische Gülle“, eine an der HAW ausgetüftelte Minerallösung aus handelsüblichen Chemikalien. Die definierte Gülle ist wichtig, um die Reproduzierbarkeit des Prozesses sicherzustellen. „Wir müssen verlässliche Bedingungen beschreiben. Denn der Prozess läuft so gut, dass praktisch nur das nicht abbaubare Lignin zurück bleibt. Erst wenn der Proz
ess 1:1 wiederholt werden kann, ist der Prozess serienreif“, so der Entwickler Prof. Scherer.

Ein weiterer Vorteil ist die Netto-CO2-Bilanz, so der Professor: „Bei der Ernte von Stroh verbleibt ein erheblicher Anteil der gebundenen Mineralien im acker- und pflanzenbaulichen Kreislauf und steht damit der nächsten Pflanzengeneration wieder zur Verfügung; während das CO2 gebunden und zu Biogas umgewandelt wird. Die Schlacke, also der Gär-Rest, der anschließend aus dem Reaktor geholt wird, kann wieder klimaneutral auf den Acker aufgebracht und als Dünger verwendet werden.“

Stroh im Reaktor kann Lebensmittel ersetzten

Was die Forscher in Bergedorf am stärksten vorantreibt, ist die Tatsache, dass durch die Biogasverwertung von Stroh der gesamte Biogasmais in Deutschland ersetzt werden könnte – was einer Revolution gleichkommt. „Auch wenn wir noch von einem lukrativen, industriellen Prozess entfernt sind, ist dieses Ziel äußerst attraktiv und würde die Akzeptanz von Biogasanlagen schlagartig erhöhen“, so Scherer. Obwohl zwar schon Seniorprofessor, ist ihm daran gelegen, seine Forschungsarbeiten auf diesem Gebiet zu Ende zu bringen. „Ich möchte erst das Schiff verlassen, wenn die Doktorarbeiten abgeschlossen sind und belastbare Ergebnisse vorliegen!“

TEXT Katharina Jeorgakopulos
FOTOS Bernd Kasper für pixelio.de


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Gefahrenabwehr/Hazard Control
Gesundheitswissenschaften
Medizintechnik
Ökotrophologie
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Umwelttechnik
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Telefon: 040 428 75-6400
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