Wir wollen für jeden das individuell Beste herausholen

Wir wollen für jeden das individuell Beste herausholen

Im Gespräch mit Chris Jacobsen, BO-Koordinator an der Friedrich-Junge-Schule (FJS)

Die Wirtschaft und die Hochschulen erwarten Schulabgänger, die eine sogenannte Ausbildungsreife mitbringen. Schülerinnen und Schüler und die Elternschaft erwarten Unterstützung bei der Orientierung, wohin es denn mal im Leben gehen könnte. Dafür gebe es an Schulen noch zu wenig Raum, findet Chris Jacobsen, der neue Koordinator für diese Aufgabe an der Friedrich-Junge-Gemeinschaftsschule. Bisher findet das Thema Berufsorientierung lediglich als Querschnittsaufgabe beispielsweise im Fach Deutsch oder im Fach Wirtschaft und Politik statt. Doch abgesehen davon werde es eng.

„Das ist ja gerade unser Problem: Wir haben noch kein Curriculum, also keine definierten fachlichen Inhalte, für einen qualifizierten Berufsorientierungsunterricht an Schulen”, beklagt Chris Jacobsen, „Berufsorientierung stellt kein eigenes Unterrichtsfach dar. Diese findet bislang als sogenannte Querschnittsaufgabe für alle Fachschaften im normalen Unterricht statt. Zurzeit seien dafür meist Deutsch- oder WiPo-Lehrkräfte zuständig. „Dieser Korridor ist sehr eng”, bemängelt Jacobsen.

Berufsorientierung an der FJS ist beispiellos. Die BOM ist ein Riesending!

Gleichwohl sei gerade die Friedrich-Junge-Gesamtschule schon seit vielen Jahren Vorreiter in Sachen Engagement für die Berufsorientierung. Die Breite des Engagements und der Angebote, die zur Verfügung gestellt werden, haben für ihn persönlich auch den Ausschlag gegeben, sich auf die Position des neuen BO-Koordinators zu bewerben. Seit mittlerweile 18 Jahren lebt die FJS vor, wie Schulen sich engagieren können, um breite und gute Angebote zur Berufsorientierung zu machen. „Berufsorientierung an der FJS ist beispiellos. Die Berufsorientierungsmesse BOM wurde von der BO-Legende Margrit Gebel vor 18 Jahren ins Leben gerufen und ist mittlerweile ein Riesending!”, lobt der Koordinator seine verdiente Kollegin und Vorreiterin.

Mit welchen Partnern arbeitet die FSJ zusammen?

Berufsorientierung ohne externe Partnerinnen und Partner ist kaum möglich. Denn um das Ziel zu erreichen, dass jedes Kind seinen individuellen Weg gehen kann, sind viele helfende Hände nötig, weiß Chris Jacobsen. Da wäre zunächst einmal die Arbeitsagentur zu nennen, die Schülerinnen und Schüler in der 7. Klasse mit der professionellen Arbeit an Stärken- und Schwächenprofilen unterstützt. Hier kommt die Expertise erfahrener Personaler zum Tragen. Auf diese Weise lernen die Jugendlichen sich selbst besser kennen und können jenseits der aktuellen Lieblingsfächer und Schulnoten für sich herausfinden, was sie später eigentlich mal tun möchten. Auf dieser Basis könne man dann ab Klasse 8 von Seiten der Schule die Kinder wirklich gut beraten. „Wir nutzen zum Beispiel sehr gern die NOSH-Events, um bestimmte Berufsgruppen ausgewählten Schülern zugänglich zu machen”, verrät Chris Jacobsen. „Das ist bei unseren Kindern sehr beliebt.” Die NOSH-Netzwerkveranstaltungen werden mit Hilfe von ME2BE als Medienpartner der FSJ und weiterer Schulen organisiert.

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Chris Jacobsen sagt: Berufsorientierung an der FJS ist beispiellos.

Vom BOM-Dating zum NOSH NETWORK

Begonnen hat das alles mit den sogenannten BOM-Datings, bei denen es darum geht, dass Unternehmen und Schülerinnen und Schüler sich kennen lernen. Der Vorteil für die Kinder: sie lernen früh, sich mit Erwachsenen auf professioneller Ebene auszutauschen. Auf diese Weise verlieren sie die Scheu vor Bewerbungssituationen. „Für manche von ihnen ist es nämlich eine große Hürde, auch nur zum Telefonhörer zu greifen, um nach einem Praktikumsplatz zu fragen”, weiß der Pädagoge zu berichten. Das Konzept von NOSH NETWORK, einem auf ein Thema oder eine Branche fokussierten Format, ist die Weiterentwicklung der BOM-Datings und schnell erklärt: Es gibt eine beliebige Anzahl an Gruppentischen, an jedem von ihnen befindet sich ein Unternehmensvertreter und Platz für einige Schüler. Nachdem sich die Schüler auf die Tische verteilt haben, startet die erste von vier Gesprächsrunden. Innerhalb eines Zeitraums von 15 Minuten haben Unternehmen die Gelegenheit, sich in einer vertraulichen und entspannten Atmosphäre mit den Schülern auszutauschen und offene Fragen zu beantworten. Nach Ablauf der Zeit rotieren die Unternehmensvertreter jeweils einen Tisch weiter und beginnen einen neuen Austausch. Das besondere Highlight der Veranstaltung ist, dass jede Runde von verschiedenen Snacks und Getränken begleitet wird. Wer den Titel schon richtig eingeordnet hat, weiß: Das „to nosh“ (auf deutsch: knabbern) ist ein essenzieller Bestandteil der lockeren Atmosphäre der NOSH NETWORK-Events.

Was macht die FJS anders als andere Schulen?

Das ist eine gute Frage. Chris Jacobsen erzählt, dass die Schulentwicklungsplanung mit dem Küsten-Campus-Konzept insbesondere für die Möglichkeiten, auch außerschulische Termine bei Berufsorientierungsmessen oder Betriebsbesuchen wahrnehmen zu können, eine gute Sache sei. „Schülerinnen und Schüler gehen im Unterricht nach dem Küsten-Campus-Konzept nicht mehr im Gleichschritt voran. Wenn also ein Schüler an einem Tag ein Event für seinen Wunschberuf besuchen möchte, verpasst er eigentlich nichts Wichtiges, weil wir klausurrelevantes Wissen nicht mehr allein im Frontalunterricht vermitteln. Den Stoff kann der Schüler dann in den sogenannten Fokus-Stunden eigenverantwortlich nacharbeiten”, erklärt der Lehrer die Vorteile der reformierten Schulentwicklung der Friedrich-Junge-Schule.

Mentor statt Lehrer sein dürfen – die Vorteile des Küsten-Campus

Und dann erzählt Chris Jacobsen noch von einem weiteren positiven Effekt der Umorganisation des Lernens mithilfe des Küsten-Campus-Konzeptes. Regelmäßig, mindestens einmal im Monat, sei es nämlich vorgesehen, dass Mentorengespräche zwischen dem begleitenden Lehrer und dem Schüler stattfinden. Ein echtes und verbindliches Vier-Augen-Gespräch, bei dem es um den Lern- und Entwicklungsfortschritt der Kinder geht. In diesen Feedback-Gesprächen, berichtet der Pädagoge, könne er jeden einzelnen Schüler intensiv kennenlernen und wesentlich besser beraten. Dies verschaffe ihm als Lehrperson einen entscheidenden Vorteil: „Die Gesprächsanlässe sind einfach häufiger gegeben als im Frontalunterricht. Auf diese Weise kann ich eine Beziehung zu jedem Einzelnen aufbauen und in der Folge besser einschätzen, was für ein Mensch eigentlich hinter diesem Schüler steckt. Das ist ein Riesenvorteil für uns”, erläutert Jacobsen. Letztlich sei es ja Aufgabe und Ziel der Schule, jedem Kind den bestmöglichen Lebensweg in die Arbeitswelt zu ebnen. Wichtig sei es, so Jacobsen, „dass wir jedem Einzelnen den bestmöglichen Berufs- und Bildungsabschluss ermöglichen”. Dass dieses Konzept aufgeht, hofft nicht nur der BO-Koordinator der FJS. Auch wir von ME2BE wünschen allen Schülerinnen und Schülern viel Erfolg auf ihrem Weg ins zukünftige Berufs- und Erwachsenenleben.

TEXT Natascha Pösel
FOTO Sebastian Weimar