Im Gespräch mit Thomas Naß, Geschäftsführer der EDUR-Pumpenfabrik
Sehr geehrter Herr Naß, Sie feiern 2027 100-jähriges Firmenjubiläum. Wie gehen Sie mit der Verantwortung für ein seit einem Jahrhundert im Familienbesitz befindliches Unternehmen um? Wie passen alte Werte in die neue Zeit?
Ja, das stimmt: Wir haben eine fast 100-jährige Unternehmensgeschichte und das Unternehmen wird nach wie vor von den Nachkommen des Gründers geführt. Außerdem machen wir immer noch das gleiche – wir konstruieren und fertigen Hochleistungspumpen für industrielle Anwendungen aller Art. Abgesehen von der fortschreitenden technischen Weiterentwicklung und dem wirtschaftlichen Wachstum sind wir aber auch in Bezug auf unsere Unternehmenskultur und das Wissensmanagement ein sehr erfolgreiches Unternehmen. Wir tauschen uns 360 Grad aus, also nicht-hierarchisch. Innovation findet nicht top-down statt.
Das Thema ‚Wissen ist Macht’ haben wir abgeschafft!
Wie müssen wir uns das vorstellen? Wenn der Auszubildende eine bessere Idee hat als der Chef, dann freut der sich also?
Na klar. Das muss man sich als Vorgesetzter natürlich erstmal trauen. Wir werfen Leute ja auch gerne mal ins kalte Wasser. Daher sind Ausprobieren, Hinterfragen und Fehler machen bei uns ja auch ausdrücklich erwünscht. Das gilt für alle: vom Auszubildenden bis zur Leitungsebene. Das Thema ‘Wissen ist Macht’ haben wir abgeschafft. Vom Lager und der Montagehalle bis in die Managementetage. Wissenstransfer findet bei uns vom ersten Tag an und für alle gleichermaßen bereichsübergreifend statt.
Uns ist aufgefallen, dass sich hier alle duzen, über alle Abteilungen hinweg und in alle Richtungen sowie über sämtliche Alters- und Funktionsgrenzen hinweg. Was hat es damit auf sich?
Als ich als junger Mensch bei EDUR meine Ausbildung zum Industriekaufmann begonnen habe, das war vor fast 25 Jahren, habe ich alle hier im Unternehmen als sehr offen und zugewandt erlebt. „Die sind ja total nett hier!“, habe ich gedacht. Und der Eindruck hat sich nach so vielen Jahren eher noch verfestigt. Ich habe in meiner beruflichen Entwicklung insgesamt sehr viel Selbstwirksamkeit erfahren dürfen und ich fühlte mich hier einfach willkommen und von der EDUR-Werksfamilie angenommen. Heute führe ich als erster angestellter Geschäftsführer, der nicht verwandt oder verschwägert mit der Gründerfamilie ist, ein global agierendes Industrieunternehmen, und zwar gemeinsam mit der Unternehmerin Frederike Holdhof, einer Nachfahrin des Gründers in der vierten Generation.
Aber auch mit Duz-Kultur und netten Kollegen – deshalb kann hier ja wohl trotzdem keiner einfach machen, was er will?
Natürlich nicht. Dazu sind die Aufgaben, die wir zu erledigen haben, einfach viel zu wichtig, als dass wir ohne zertifiziertes Prozessmanagement und ohne definierte Rollen, sprich Hierarchien, auskämen. Was ich aber damit sagen möchte, ist folgendes. Wir sind 120 Leute hier und jeder muss im Prinzip alles können, beziehungsweise sollte genau Bescheid wissen und verstehen, was die anderen tun und warum der eigene Beitrag wichtig ist. Jeder kennt hier jeden persönlich. Wir sind eine professionelle Gemeinschaft, in der das Ganze mehr ist als die Summe aller Teilleistungen.
Ich fasse das mal zusammen: Duz-Kultur statt Top-Down-Steuerung, Wissenstransfer statt „Wissen ist Macht“, Selbstwirksamkeit statt „Lehrjahre sind keine Herrenjahre“ – das klingt ein bisschen nach New Work und coolem CoWorking-Space. Mal abgesehen davon, dass Industriearbeitsplätze natürlich nicht für mobiles Arbeiten remote geeignet sind.
Das ist richtig. Aber wie ich bereits gesagt habe, arbeiten die Kolleginnen und Kollegen tatsächlich sehr gerne in Präsenz miteinander, da wir uns menschlich und fachlich respektieren. Und so wie ich selbst damals in der Firma angekommen bin: auf dem Land in Gelting groß geworden, Mittlere Reife, danach erstmal keine Lust mehr auf Schule, Praktikum im Hotel, danach Hotelfachausbildung, dann Zivildienst in Kiel – dort habe ich meine Frau kennengelernt – und erst in der zweiten Ausbildung zum Industriekaufmann bin ich dann auch beruflich im Leben angekommen. Neben der Ausbildung bei EDUR die betriebswirtschaftliche Fort- und Weiterbildung an der Berufsoberschule, kein Studium, und heute bin ich nicht irgendwo Geschäftsführer, sondern genau dort Chef geworden, wo man mir diesen Karriereweg ermöglicht und auch zugetraut hat.
Wir trauen Euch ALLES zu!
Ihre Berufsbiografie klingt ermutigend für junge Leute, die sich direkt nach der 9. oder 10. Klasse auf den Weg ins Arbeitsleben machen. Die intrinsische Motivation, also, die Lust darauf zu arbeiten und etwas zu lernen, scheint bei Ihnen eine große Rolle gespielt zu haben. Was erwarten Sie von Bewerbern um einen Ausbildungsplatz?
Im Grunde genau das: Motivation. Auf jeden Fall sind uns Interesse und die Persönlichkeit der Bewerber stets wichtiger als die Noten auf dem Papier. Aber eins ist mir noch ganz wichtig zu sagen: Wir trauen Euch alles zu! Das, was ich nämlich selbst erfahren habe, eben diesen Vertrauensvorschuss, den möchte ich an junge Menschen, die zu uns kommen, weitergeben. Und das ist auch der Grund, warum ich als Geschäftsführer zu unseren Auszubildenden in den Büros, an den Rechnern, an den Maschinen und Werkbänken immer sage: Hier im Haus bin ich für dich der Thomas. Und ich sage Justin, Matthis, Sergej oder Leonie. Nach außen hin aber, also vor Kunden und Geschäftspartnern, bin ich für euch Herr Naß. Ihr für mich aber auch Herr Pingel, Herr Strauch, Herr Freidenberger und Frau Lau.
Wow! Das war jetzt aber mal eine schöne Motivationsansprache.
Wir danken Ihnen ganz herzlich für das nette Gespräch.
Mehr dazu: Sergej auf seinem Weg in den Beruf
Mehr Infos zu EDUR und den Berufsbildern Industriekaufmann (m/w/d), Industriemechaniker (m/w/d), Technischer Produktdesigner (m/w/d) und Zerspanungsmechaniker (m/w/d) findest du auf digibo.school.
TEXT Natascha Pösel
FOTO Apo Genç