Seit der Gründung der Fachhochschule Kiel vor 50 Jahren kennt die Hochschule nur eine Richtung: es geht nach vorne. Im CAMPUS-Interview spricht der scheidende Präsident Professor Dr. Udo Beer über die FH Kiel als praxisorientierte Fachkräfteschmiede, den Campus in Kiel-Dietrichsdorf als verbindendes Element und die Herausforderungen der Zukunft.
ME2BE: Herr Professor Dr. Beer, in diesem Sommer haben die schleswig-holsteinischen Fachhochschulen ihr 50-jähriges Bestehen gefeiert. Wo steht dieser Typ Hochschule heute?
Udo Beer: Die Fachhochschulen haben sich damals aus den Obergewerbeschulen und den Ingenieurschulen entwickelt. Sie hatten dann eine Zeit von 15 bis 20 Jahren, um aus dieser Tradition herauszukommen. Für unsere Hochschule kam 1989 mit dem Beschluss, die Hochschule nach Dietrichsdorf zu verlagern, langsam ein neues Wir-Gefühl. Vorher waren die Fachbereiche über Eckernförde, Rendsburg, Neumünster und Kiel verteilt. Außerdem haben wir Fachkollegen eingestellt, die den modernen Kriterien entsprachen – also promoviert und mit fünfjähriger Berufserfahrung. Das hat die Hochschule als Typ geprägt und unterscheidbarer gemacht. Seit 2000 sind wir hier auf dem Campus endgültig angekommen. Seitdem wächst zusammen, was zusammengehört.
Wie ist Ihre Prognose für die weitere Entwicklung dieses Hochschultyps?
Es gibt zwei Entwicklungslinien. Einmal werden die Fachhochschulen sich noch stärker in der Arbeitsmarktorientierung betätigen. Die FHs können den Fachkräftemangel am effektivsten bekämpfen. Die duale Ausbildung schwächelt, immer mehr junge Menschen wollen studieren und anschließend einen guten Job haben. Da kann ich ihnen nur empfehlen, an die FH zu gehen. Die Arbeitsmarktorientierung liegt uns in den Genen. Die andere Linie ist die anwendungsorientierte Forschung und der Wissenstransfer für die kleinen und mittleren Unternehmen. Das machen die Universitäten beispielsweise nur wenig, weil sie primär an Grundlagenforschung interessiert sind.
Spielen die FHs die Vorteile, die sie haben, schon konsequent genug aus?
In der anwendungsorientierten Forschung sind wir aktiv, aber durch unsere hohe Lehrverpflichtung ein bisschen gehandicapt. Viele Kolleginnen und Kollegen machen das nebenher. Dabei wäre es auch für den Staat interessant, wenn er die FHs ein wenig entfesselte. Mit mehr Zeit für den Wissenstransfer würden wir gute Ergebnisse erzielen.
Also müssten innerhalb der Hochschulen Strukturen geschaffen werden, die den Dozenten den nötigen Freiraum für Kooperationen bieten.
Daran arbeiten wir, unter anderem in Dauergesprächen mit der Landesregierung.
Können Sie ein paar praktische Beispiele für die Bemühungen der FH Kiel nennen?
Wir versuchen zusätzliche Professuren zu bekommen, damit wir Kollegen von der Lehre freistellen können, um mehr Transfer leisten zu können. Was dann möglich ist, zeigen zum Beispiel die beiden Träger des Innovationspreises der Stadt Kiel Professor Ronald Eisele und Professor Mohammed Es-Souni. Beide sind leuchtende Beispiele dafür, wie eine Verbindung von Hochschule und Unternehmen sein kann.
Inwiefern?
Professor Eisele ist in der Leistungselektronik verankert und hat mit Danfoss Patente zusammen entwickelt. Dadurch konnte das Werk in Flensburg seine Weltmarktposition halten. Wir schicken unsere Absolventinnen und Absolventen aus dem Studiengang Mechatronik gerne zu Danfoss. Das ist im Grunde ein Doppelschlag: einmal in der anwendungsorientierten Forschung in der Zusammenarbeit, aber auch als eine Bereicherung in der Lehre, um die entsprechenden Fachkräfte dem Unternehmen zur Verfügung zu stellen. Prof. Es-Souni hat vielfältige Kooperationen im Bereich Nanotechnologie initiiert. Das geht von der Beschichtung von Heizbrennern bis zu Flüssigkeiten für Kontaktlinsen. Er hat in knapp 30 Jahren eine Menge bewegt.
Liegen nicht genau in dieser Form der Forschung und Lehre die größten Chancen für die Fachhochschulen gegenüber den Universitäten?
Das ist der wesentliche Unterschied, weil wir in der Anwendung sind, und die Universitäten versuchen, die Grundlagen zu erforschen – was ja auch wichtig ist. Diese Koexistenz von Universität und Fachhochschule ist volkswirtschaftlich betrachtet der beste Weg.
Haben die FHs im Land denn dieses Selbstbewusstsein, das sie mit diesem Profil nach außen tragen könnten, schon umfassend entwickelt?
Wir haben dieses Selbstbewusstsein. Ob das auch von anderen immer so wahrgenommen wird, weiß ich nicht. Wir versuchen, mit innovativen Organisationen und Unternehmen in Kontakt zu treten. Ein limitierender Faktor ist allerdings, dass wir zu stark in der Lehre eingebunden sind und der erforderliche Freiraum für diese Kooperationen fehlt.
Wie schätzen Sie die Wahrnehmung der FH Kiel in der Landeshauptstadt und dem Großraum ein?
Wir gelten als solide zuverlässige Partnerin bei den Unternehmen, die mit uns kooperieren. Auch mit den regionalen Bildungszentren pflegen wir gute Kontakte.
Stehen Sie im Schatten der Universität?
Wenn man genau hinsieht, gibt es gar nicht so viele Überschneidungen. Die Universität hat keinen Maschinenbau, keinen Schiffbau, keine Offshore-Anlagenbauer, keine soziale Arbeit oder Agrarwirtschaft für Betriebsleiter. Das entdecken potentielle Studierende natürlich nicht immer. Die sagen sich oft voreilig: ‚Agrar ist Agrar, ich geh zur Uni.‘ Wer aber einen Hof führen will, ist besser beraten, wenn er zu uns kommt.
Lässt sich eine derartige Einstellung auch auf die Bereiche Politik und Gesellschaft übertragen, sodass die FH vielleicht nicht immer ausreichend wahrgenommen wird?
Ein bisschen ist das so. Eltern sagen ihren Kindern: ‚Du hast jetzt Abitur, geh doch zur Uni‘. Die Universität gilt als die Krone der wissenschaftlichen Schöpfung, und wir stehen für manche nur im zweiten Glied. Es gibt viele Studierende, die erst nach mehreren Semestern an der Uni zu uns kommen, weil unser Konzept ihnen mehr zusagt. Diesen Weg könnte man abkürzen.
Für wen eignet sich ein Studium an der FH Kiel?
Vor allem für Menschen, die auf der Basis von Theorie anwendungsorientiert arbeiten wollen, die Anwendung immer mitdenken und nicht in der Theorie hängenbleiben. Lesen, Schreiben und Rechnen sollten sie natürlich auf entsprechendem Niveau können. Aber im Fokus steht immer die Anwendung von Wissen.
Können Sie skizzieren, welche Entwicklung die FH Kiel seit Ihrem Amtsantritt 2008 gemacht hat?
Das war eine spannende Phase, weil die Hochschule Ende der Nullerjahre kräftig gewachsen ist. Damals gab es 5000 Studierende, heute sind es 8000. Der Campus war alles andere als fertig. Daher mussten noch etliche Gebäude errichtet werden. Das war auch nötig. Wir haben hier auf dem Campus in Dietrichsdorf enorm viel geschafft, aber auch auf dem Campus in Osterrönnfeld, der nach 20 Jahren Diskussion endlich ein neues Laborgebäude bekommen hat. Außerdem wurden zahlreiche neue Studiengänge geschaffen, zum Beispiel die Online-Lehre in der BWL oder der Wirtschaftsinformatik.
Platzmangel ist an der FH trotzdem noch ein Thema.
Ja, die Bibliothek ist beispielsweise noch im Bau. Besser gesagt: das bibliothekarische Selbstlernzentrum. Wir wollen, dass Studierende länger auf dem Campus bleiben und auch in Arbeitsgruppen lernen können. Das Gebäude vermisse ich nach wie vor schmerzlich, aber da ist manchmal Warten auch nicht verkehrt. Hätten wir im Jahr 2000 eine Bibliothek bekommen, dann wäre das ein ganz einfacher Buchspeicher gewesen. Und jetzt entsteht ein modernes Gebäude mit eigener Cafeteria und viel Platz für studentisches Lernen.
Stichwort Architektur: Bekommt die FH Kiel einen weiteren Studiengang?
Im Hochschulvertrag ist ein Kompetenzzentrum Bauen vorgesehen, für das die FH Kiel mit einem achtsemestrigen Bachelor an den Start gehen soll. Allerdings mit Geld aus dem Zukunftsvertrag, den das Land mit dem Bund schließt. Ich gehe davon aus, dass wir im Rahmen dieses Vertrages auch die Architektur bedienen dürfen.
Die Grundlagen sind also geplant, aber es fehlt noch an dem nötigen Kleingeld?
Ja, und auch ein bisschen an Platz. Wir brauchen ein neues Gebäude für die Bauingenieure und für die Architektur. Es ist schon recht eng geworden. Aber das gehen wir noch an, da bin ich mir sicher.
Welche Herausforderungen kommen auf die FH Kiel in den kommenden Jahren zu?
Ich denke, die Finanznot der Hochschulen wird bleiben. Zudem ist die Internationalisierung ein großes Thema. Wir bieten bislang Doppelabschlüsse mit mehreren ausländischen Hochschulen, sind Mitglied der deutsch-französischen Hochschule und haben Partnerschaften mit Shanghai und Mexiko. Allerdings müssten wir noch mehr Masterprogramme auf Englisch umstellen, sodass mehr ausländische Studierende aus innerem Antrieb zum Studium nach Kiel kommen. Ich glaube, das täte dem Arbeitsmarkt in Deutschland gut, wenn wir auch auf der studentischen Seite importieren würden. Interdisziplinär ist auch noch mehr möglich, ebenso in der Kooperation mit anderen Hochschulen.
Ihre Amtszeit endet zum 1. Juli 2020; im Januar wird bereits ein Nachfolger oder eine Nachfolgerin gewählt. Wie geht es mit Ihnen persönlich weiter?
Ich werde mich um meine Enkel kümmern und bin erstmal froh, dass ich kürzertreten kann. Die Hecke muss geschnitten, der Rasen gemäht und der Garten aufgeräumt werden. Ich werde versuchen, ein bisschen zur Ruhe zu kommen. Die letzten Jahre waren ziemlich hochtourig. Und danach wird sich bestimmt etwas ergeben.
Herr Professor Dr. Beer, vielen Dank für das Gespräch.
INTERVIEWLEITUNG Lutz Timm
FOTO Sebastian Weimar