„Schule muss niemandem die Steuererklärung beibringen“ –  Ziel ökonomischer Bildung: ein mündiger und kritischer Umgang mit Finanzthemen

„Schule muss niemandem die Steuererklärung beibringen“ – Ziel ökonomischer Bildung: ein mündiger und kritischer Umgang mit Finanzthemen

Professor Dirk Loerwald leitet das Institut für Ökonomische Bildung an der Carl von Ossietzky Universität in Oldenburg und ist außerdem Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Ökonomische Bildung e. V. (degöb). Er bildet Lehrkräfte aus, die noch gar kein eigenes Fach haben – dafür aber Konkurrenz bei Tiktok.

Herr Loerwald, Wirtschaftsunterricht wurde lange stiefmütterlich behandelt. Wie ist es heute um die ökonomische Bildung an Deutschlands Schulen bestellt?

Das kann man gar nicht so eindeutig beantworten, weil wir 16 verschiedene Bildungssysteme in Deutschland haben. Und da gibt es eben nicht das Fach Wirtschaft, so wie es die Fächer Mathe, Englisch, Deutsch, Erdkunde oder Geschichte gibt. Die heißen überall gleich und werden flächendeckend unterrichtet. Für das Fach Wirtschaft haben wir in einer Studie 46 verschiedene Fachbezeichnungen gezählt: von Gesellschaftskunde, Sozialkunde, Sozialwissenschaften bis hin zu Politik und Wirtschaft, Geografie und Wirtschaft oder Recht und Wirtschaft. Die Wirtschaft wurde bislang immer irgendwo dazu gesteckt.

Woran liegt das?

Das lässt sich damit erklären, dass sich seit dem Zweiten Weltkrieg andere Bildungsanliegen in den Schulen verfestigt haben. Allen voran die politische Bildung. Und als dann in den späten 60er Jahren die ersten Fächer für Wirtschaft in die allgemeinbildenden Schulen kamen – beispielsweise als Arbeitslehre – , haben die ziemlich schnell ein ‚Blaujackenprofil‘ bekommen, mit dem das Gymnasium nichts zu tun haben wollte. Das hat sich aber grundlegend geändert.

Inwiefern?

Heute gehört Ökonomie zur Allgemeinbildung. Wer mündig durchs Leben gehen will, muss eben auch durch den ökonomischen Teil, der überall spürbar ist. Das bestreitet heute niemand mehr, auch nicht diejenigen, die das Thema Wirtschaft eher kritisch sehen.

Wie sollte die ökonomische Bildung denn aussehen?

Meiner Meinung nach braucht es ein eigenes Fach „Wirtschaft‘. Denn damit gäbe es auch ausgebildete Lehrkräfte und zwei oder drei Stunden pro Woche im Stundenplan, in denen über Wirtschaft gesprochen wird. Es gibt aber auch Stimmen, die ein sozialwissenschaftliches Integrationsfach haben wollen, schließlich hängen Wirtschaft, Soziologie und Politik zusammen. Aber wenn dann die Bayern sagen, dass Recht noch dazugehöre und die Sachsen Geografie, dann wird es irgendwann unübersichtlich. In Schleswig-Holstein gibt es das Fach Weltkunde – da kann ich mir bis heute nichts Konkretes drunter vorstellen.

Informatik wird in Schleswig-Holstein Pflichtfach – ist das auch für Wirtschaft sinnvoll?

Auf jeden Fall! Und mit der Forderung bin ich auch nicht allein. Die Deutsche Gesellschaft für Ökonomische Bildung gibt es seit fast 50 Jahren – und genauso lange gibt es dort die Idee des Schulfachs Wirtschaft. Und sie wird auch schon umgesetzt. Baden-Württemberg hat 2016 in allen Schulformen das Fach eingeführt – mit einer grün-roten Regierung. Also genau mit den Parteien, von denen man so etwas vielleicht nicht direkt erwartet hätte.

Warum folgen nicht noch mehr Bundesländer?

Möglicherweise scheuen einige den Aufwand, denn da hängt eine Menge dran. Es muss beispielsweise geklärt werden, was mit den anderen Fächern geschieht, in denen Wirtschaft ein Teil ist. Eine wichtige Frage ist zudem: ‚Wo kommen die Lehrkräfte her?‘ In Baden-Württemberg mussten Professuren eingerichtet werden, es musste Platz in der Stundentafel geschaffen werden. Das ist ein riesiger Akt. Diese Stundentafel ist historisch gewachsen, und da will keiner so recht ran.

Sie haben die Lehrkräfte angesprochen: Die sind fachübergreifend rar. Gibt es überhaupt genug ökonomisch interessierte Menschen, die an die Schulen wollen?

Es gibt ja schon die kombinierten Fächer; in Schleswig-Holstein ist das Wirtschaft und Politik. Ich habe also in Kiel schon Lehrer ausgebildet, die zumindest zur Hälfte auch Wirtschaft studiert haben, also wirtschaftliche Grundlagen mitbringen. Es gibt diese Kompetenzen aus dem Studium zumindest teilweise. Und an unserem Institut für Ökonomische Bildung haben wir eine eigene Abteilung, wo wir Lehrerfortbildungen durchführen – auch sehr umfangreiche.

Reicht das denn, um einen möglichen Bedarf abzudecken?

Noch nicht. Aber an den Lehrkräften würde das Fach Wirtschaft nicht scheitern. Das ist eine Aufgabe, die man bewältigen kann, wenn man sie richtig angeht. Es kommen beispielsweise auch noch Quereinsteiger hinzu. In Niedersachsen etwa gab es vor einiger Zeit zu viele Forstwirte. Die hatten schon genug Vorkenntnisse, um Biologie zu unterrichten – und bei uns haben sie noch eine zweijährige Wirtschaftsfortbildung bekommen und sind Wirtschaftslehrer geworden. Das hat in dem Fall richtig gut funktioniert. Allerdings ist das der Idealfall. In Baden-Württemberg gab es kein richtiges Fortbildungskonzept – dort wurde das Fach einfach eingeführt. Es gab eine Onlineplattform zum freiwilligen Selbstlernen. Aber Lehrkräfte haben schon genug zu tun, um das noch nebenher zu machen.

Es gab vor einigen Jahren die Diskussion, ob Schule jungen Menschen beibringen müsse, wie eine Steuererklärung funktioniert oder ein Mietvertrag aussehen sollte. Würde Wirtschaftsunterricht so etwas leisten?

Nein – es geht bei ökonomischer Bildung nicht darum zu lernen, wie man ein Elster-Formular ausfüllt. Schule muss niemandem die Steuereklärung beibringen. Aber Grundwissen über Steuern sollte vermittelt werden. Es geht darum, in ökonomischen Situationen mündige Entscheidungen treffen zu können.

Junge Menschen scheinen sich immer mehr für Wirtschaft zu interessieren – allerdings außerhalb von Schule. Bei Tiktok und Co gibt es immer mehr Finfluencer, also Influencer, die sich auf Finanzthemen spezialisiert haben. Sind die für Sie eher Fluch oder Segen?

Das Thema hat zwei Seiten. Bei den meisten Influencern steht im Vordergrund, wie man möglichst schnell reich werden kann. Doch bei den Finanzen ist es ähnlich wie mit den Steuern. Man sollte versuchen zu verstehen, wie so ein Finanzmarkt eigentlich funktioniert. Es gibt auch Influencer, die genau das versuchen. Ich habe für eine Zusammenarbeit der Joachim Herz Stiftung mit Influencern Skripte gelesen, damit alles, was da drin ist, auch stimmt. So wurde zumindest kein ökonomischer Unsinn erzählt. Dann kann so etwas funktionieren. Denn die Reichweite ist teilweise enorm. Wenn man so eine Chance hat, seinen eigenen Bildungsgegenstand darüber an die Zielgruppe zu bringen, dann sollte man das durchaus nutzen. Das funktioniert in Schule aber nur, wenn eine kompetente Lehrkraft auch erkennt, wenn in solchen Videos Unsinn erzählt wird.
Es sollte bei ökonomischer Bildung nicht darum gehen, wie man sein Geld am besten anlegt. Das Ziel sollte ein mündiger und kritischer Umgang sein.

TEXT Robert Otto-Moog
FOTO Carl von Ossietzky Universität Oldenburg