Ein Gespräch mit dem Landrat von Nordfriesland Florian Lorenzen über die wichtigsten Herausforderungen der Region, mögliche Lösungsansätze und berufliche Perspektiven für die junge Generation.
Florian Lorenzen wurde mit 32 Jahren der jüngste Landrat Deutschlands. Seit 2019 lenkt der Nordfriese nun die Geschicke seines Kreises. Keine leichte Aufgabe, denn auch die beliebte Küstenregion mit ihren strukturellen Besonderheiten sieht sich vor große Herausforderungen gestellt: in puncto Digitalisierung, Ausbau der Infrastruktur, Erhalt der Gesundheitsversorgung sowie der Verbesserung der Ausbildungssituation und des Klimaschutzes.
Als Landrat sind Sie für die strukturelle Weiterentwicklung des Kreises verantwortlich. Wo setzen Sie die Prioritäten?
Zunächst möchte ich festhalten, dass sich die Chancen für unsere Region in den letzten Jahren immens gewandelt haben. Viele Menschen aus den Ballungsgebieten haben Nordfriesland – nicht zuletzt durch die Möglichkeit des Homeoffice – als qualitativ hochwertigen Lebens- und Arbeitsort entdeckt. Das ist sehr begrüßenswert, aber damit dieser Trend anhält und wir noch mehr junge Familien und generell Erwerbstätige nach Nordfriesland holen können, müssen schnelle Lösungen für noch offene Probleme auf den Weg gebracht werden.
Die da lauten?
Hierzu gehört unter anderem die Vollendung des Breitbandnetzausbaus. Gleichzeitig muss neuer und bezahlbarer Wohnraum geschaffen werden und für Bereiche, in denen es zu Fehlnutzungen von Wohnraum – beispielsweise durch illegale Ferienwohnungsnutzungen oder überproportionale Zweitwohnungsnutzungen – kommt, müssen kluge Rahmenbedingungen mit den betroffenen Gemeinden entwickelt werden, um diesen Wohnraum wieder zur Verfügung zu stellen – hier können wir beratend tätig sein. Einen weiteren wichtigen Punkt sehe ich in der Verbesserung der Betreuungsangebote für Kinder und Jugendliche. Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf muss uns gelingen, wenn wir als attraktive Region wahrgenommen werden sollen und größere Ansiedlungsvorhaben erfolgreich umsetzen wollen. In diesem Zusammenhang ist auch das Thema Infrastruktur von entscheidender Bedeutung. Wir brauchen den Ausbau unserer Anbindungen sowohl im Fernverkehr als auch im ÖPNV, um eine Mobilitätsgarantie zu gewährleisten. Dafür arbeiten wir an Konzepten und werden im nächsten Jahr beispielsweise in einer Teilregion des Kreises einen On-Demand-Busverkehr einrichten. Im Idealfall wird dieser an sieben Tagen in der Woche stündlich eine Anbindung an weiterführende Verkehrsmöglichkeiten aus den ländlichen Regionen ermöglichen.
Die medizinische Versorgung im Kreisgebiet ist ebenfalls ein Thema, welches mich persönlich sehr intensiv beschäftigt. Wir haben das Klinikum Nordfriesland mit drei Standorten in Husum, Niebüll sowie Wyk auf Föhr und einem regionalen Gesundheitszentrum in Tönning. Aber es ist kein Geheimnis, dass die Herausforderungen im stationären Gesundheitswesen massiv gewachsen sind. Das betrifft nicht nur den steigenden Fachkräftebedarf, sondern auch die Finanzierung. Als Landrat und ebenso als Aufsichtsratsvorsitzender des Klinikums bringe ich mich daher mit unseren Anliegen auch in übergeordneten Gremien – sowohl in Kiel als auch Berlin – sehr intensiv ein. Das Ziel: etwas an der Finanzierung sowie den Rahmenbedingungen für die Beschäftigten im Krankenhauswesen zu verändern und die medizinische Versorgung für unsere Bürgerinnen und Bürger dauerhaft zu sichern und möglichst zu verbessern.
Apropos Veränderung. Welche Bedeutung hat das Thema Klimaschutz für die Region?
Der Klimawandel ist selbstverständlich ein drängendes Thema, das alle Gesellschaftsgruppen gleichermaßen bewegt. Wir sind durch unsere topografische Lage und unsere zahlreichen Bürgerwindparks klar bevorzugt in der Rohstoffgewinnung von erneuerbaren Energien. Deshalb sind wir natürlich am Ausbau, aber auch an der Umwandlung, Veredelung und neuer Formen der Nutzbarmachung des Rohstoffs in Verbindung mit einer vermehrten Ansiedlung entsprechend innovativer Unternehmen interessiert. Darüber hinaus haben wir ein Klimabündnis gegründet, um uns als Verwaltung mit der Zivilgesellschaft und den Vereinen und Verbänden zu vernetzen. Auf diese Weise öffnen wir den Blick auf Fördermöglichkeiten hinsichtlich des Klimaschutzes. Dies führt unter anderem zu Förderprogrammen für Insektenschutzmaßnahmen bis hin zur Wiedervernässung von Mooren.
Nochmal zurück zum Thema medizinische Versorgung. Wie sieht es mit Ausbildungs- und Fortbildungsmöglichkeiten aus, um die Sicherung des Fachkräftenachwuchses auszubauen?
Wir haben eine eigene Pflegeschule am Klinikum Nordfriesland, an der wir Pflegefachkräfte ausbilden. In den letzten Jahren sind hier die Zahlen gestiegen, aber die decken natürlich nicht den vorherrschenden Fachkräftebedarf. Was uns jedoch generell an der Westküste noch fehlt, ist eine Studienmöglichkeit für Medizin. Die Zentrierung auf Lübeck führt dazu, dass es aufgrund unserer geografischen Lage schwieriger ist, gerade junge Ärztinnen und Ärzte für unser Klinikum oder für die niedergelassenen Praxen zu gewinnen. Aus diesem Grund wollen wir uns als Kreis Nordfriesland verstärkt in das Thema Aus- und Weiterbildung von ärztlichem Fachpersonal einbringen. Geplant sind verbesserte Anreize, wie die Übernahme von Fahrt- oder Unterbringungskosten während des im Studium vorgeschriebenen Blockpraktikums, welches dann sowohl in den niedergelassenen Praxen als auch im Klinikum absolviert werden kann. Langfristig versprechen wir uns davon, nicht nur dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken, sondern auch den Aufbau einer gemeinsamen medizinischen Struktur zwischen den niedergelassenen Ärzten und dem Klinikbereich voranzubringen.
Was ist hinsichtlich weiterer Fachbereiche geplant? Welche Perspektiven bietet die Region?
Für unsere Region versuchen wir erstmalig eine eigene Hochschulaktivität in Form eines eigenen Studiengangs zu etablieren. Hier sind wir in intensiven Gesprächen mit der Fachhochschule Westküste und möchten als Außenstelle der FH einen Studienort in Husum für den neuen Studiengang ‚Soziale Arbeit’ einrichten. Bisher wird dieses Studium lediglich in Kiel angeboten, aber die Nachfrage ist immens hoch – sowohl bei den Unternehmen als auch bei den Studierenden. Um uns auch im Bereich der Hochschulausbildung besser aufstellen zu können – bislang sind wir eher so etwas wie ein weißer Fleck – versuchen wir dieses Angebot in unsere Region zu holen.
Und im Bereich der Berufsausbildung? Wie stehen hier die Chancen?
Unsere Berufsschulen in Husum und Niebüll sowie unsere Wirtschaftsakademie sind sehr gut aufgestellt und werden finanziell fortlaufend unterstützt, damit Ausrüstung, Technik und Infrastruktur stets auf dem neuesten Stand bleiben. Dasselbe gilt für unsere Schulentwicklungsplanung, die sich darauf konzentriert, welche neue Ausbildungsfelder aufgemacht werden und ob bestehende Kooperationen verbessert werden könnten. In diesem Zusammenhang ist es mir sehr wichtig zu betonen, dass nicht nur ein Studium, sondern auch eine Ausbildung eine sehr attraktive Perspektive für das Leben bieten kann. Das Handwerk ist eine starke Säule unserer Wirtschaft und in gleichem Maße auf neue Fachkräfte aus den eigenen Reihen angewiesen.
Haben Sie einen Tipp zur beruflichen Orientierung?
Ich kann immer nur empfehlen, bei Unternehmen direkt anzufragen, ob man ein Praktikum machen kann und auch die Ferienzeiten zu nutzen, um in die verschiedensten Berufsfelder hineinzuschnuppern. Es ist eine gute Gelegenheit, um möglichst hautnah die Facetten der verschiedenen Berufsfelder kennenzulernen. Ich weiß, dass die Unternehmen sehr offen für solche Anfragen sind, auch weil Auszubildende immer neue Impulsgeber und eine Bereicherung für die Unternehmen sind. Mit unserem Projekt ‚Praktikum Westküste’ unterstützen wir die Jugendlichen bei der Suche nach geeigneten Stellen. Ganz wichtig ist es auch, den Blick darauf zu richten, dass der Weg, den man eigentlich eingeschlagen hat, nicht unbedingt für den Rest seines Lebens festgelegt sein muss. Ich bin ein Beispiel dafür. Die Hauptsache ist es, sich immer die Freude an seiner Tätigkeit zu bewahren. Arbeit sollte keine Belastung, sondern gewinnbringend sein.
Zur Person:
Der 36-jährige Florian Lorenzen ist in Flensburg geboren und in Viöl aufgewachsen. Dort ist er auch zur Schule gegangen und hat seinen MSA absolviert. Für Lorenzen, der aus einem landwirtschaftlichen Betrieb stammt, stand fest, dass er später einmal das elterliche Unternehmen übernehmen würde. Eine Berufsausbildung zum Landwirt legte die Grundlagen für weiterführende Abschlüsse zum staatlich geprüften Wirtschafter des Landbaus und zum Agrarbetriebswirt. Nach seiner Ausbildung – und einige Jahre als Beschäftigter – führte er fünf Jahre das landwirtschaftliche Familienunternehmen als geschäftsführender Gesellschafter. Durch sein bereits frühes Engagement hinsichtlich weitreichender Verbesserungen für seine Heimat stieg er aus dem Betrieb aus und widmet sich seit 2019 hauptberuflich den Aufgaben eines Landrates.
TEXT Anja Nacken
FOTO Thomas Heyse