Von der Erforschung der Seen zur Evolutionsbiologie – von der Laborvilla am Großen Plöner See zum Max-Planck-Institut.
Spaziert man in Plön auf dem Strandweg von der Schiffsanlegestelle am Bahnhof vorbei und weiter, kommt man an elf Schautafeln vorbei. Sie zeichnen die Entwicklungsgeschichte des Lebens von seinem Ursprung vor 3,8 Milliarden Jahren bis zum Erscheinen des Menschen vor fünf Millionen Jahren nach.
Dieser „Evolutionspfad“ führt auch an einem villenartigen Gebäude vorbei, das Alte Fährhaus am Sportboothafen. Die Stadt Plön ließ es in den Jahren 1891/92 bauen, um darin eine Biologische Station einzurichten – die Keimzelle des heutigen Max-Planck-Instituts für Evolutionsbiologie. Auf dieses Institut geht auch der Evolutionspfad zurück, der nach 1,3 Kilometern an dem umfangreichen Gebäudekomplex der Evolutionsforscher am Ufer des Schöhsees endet, einem der kleineren Seen um Plön.
Die evolutionsbiologische Forschungseinrichtung ist eines von 84 Instituten und Forschungseinrichtungen der Max-Planck-Gesellschaft, die mit 31 Nobelpreisträgerinnen und Nobelpreisträgern Deutschlands erfolgreichste und weltweit eine der angesehendsten Forschungsorganisation ist. 2023 feierte die Gesellschaft ihr 75-jähriges Bestehen. Das Plöner Institut, das damals noch „Hydrobiologische Anstalt“ hieß, hatte sie 1948 übernommen.
Der Grund für die Übernahme waren die außergewöhnlich erfolgreichen Forschungen, die mit einer Anregung des Zoologen, Planktonforschers und Journalisten Emil Otto Zacharias gegen Ende des 19. Jahrhunderts begannen. Nachdem er viele Jahre biologische Themen populärwissenschaftlich vermittelt hatte, begann er mit Unterstützung der Königlich Preußischen Akademie der Wissenschaften zwischen 1884 und 1889 die Binnenseen in Nord- und Mitteldeutschland wissenschaftlich zu untersuchen. Im Fokus stand das Plankton, winzig kleine, frei im Wasser schwebende Pflanzen und Tiere.
Auf seine Anregung geht der Bau der Biologischen Station am Großen Plöner See zurück, für den er den Plöner Stadtrat begeistern konnte.
Die Gründung der Station fiel in eine Zeit, in der das Interesse an der Erforschung der natürlichen Welt in der Wissenschaft zunahm. Ende des 19. Jahrhunderts entstanden nämlich überall in Europa Forschungsstationen an Seen, Flüssen und am Meer. Darunter auch die Biologische Anstalt Helgoland, gegründet 1892, und die wohl älteste Zoologische Station in Neapel, 1872 gegründet von dem deutschen Zoologen Anton Dohrn.
1917 übernahm die Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft, die Vorläuferin der heutigen Max-Planck-Gesellschaft. Sie benannte die Forschungsvilla in „Hydrobiologische Anstalt“ um und berief den Zoologen und Ökologen August Thienemann zu deren Leiter. Der war damals gerade Professor an der Universität Kiel geworden und prägte die Forschungen in Plön in den folgenden 40 Jahren. Nicht mehr nur die einzelnen Pflanzen und Tiere in den Seen interessierten ihn, vielmehr sah er Binnengewässer zunehmend ganzheitlich als Ökosysteme. Damit ging er in die Wissenschaftsgeschichte als Begründer der Limnologie als eigenständige wissenschaftliche Disziplin ein, der Umweltforschung im Süßwasser.
Als neuer Direktor folgt Thienemann 1957 der Biologe Harald Sioli, der damals in Brasilien forschte. Er brachte als Neuerung die Tropenökologie ins Plöner Institut. Sioli unternahm zahlreiche Forschungsreisen, besonders ins Amazonas-Gebiet, wo er eng mit dem dortigen Nationalen Institut für Amazonienforschung (INPA) in Manaus zusammenarbeitete. Übrigens war er es, der bereits 1971 auf den Zusammenhang zwischen der Abholzung der Amazonaswälder und dem Anstieg der Kohlendioxidkonzentration in der Luft hinwies. Er zeigte auch, dass die Amazonaswälder keineswegs die grüne Lunge des Planeten sind, wie bis heute oft kolportiert. Vielmehr hält das Waldökosystem ein Gleichgewicht und verbraucht genauso viel Sauerstoff, wie es produziert.
Die Plöner Forschungsvilla war inzwischen aber langsam zu klein geworden. Somit plante Sioli einen Umzug und eine Erweiterung des Instituts. 1961 verließ die Hydrobiologische Anstalt die Villa am Großen Plöner See und zog in einen Neubau an seinem heutigen Standort am Schöhsee. 1966 änderte sich dann auch der Name: Ab da hieß es Max-Planck-Institut für Limnologie, und ein zweiter Direktor zog ein, der Ökologe Hans-Jürgen Overbeck, der die neu eingerichtete Abteilung Allgemeine Limnologie leitete.
Nach der Emeritierung von Sioli 1984 rückte der Ökophysiologe Winfried Lampert auf dessen Direktorenposten und leitete die Abteilung Ökophysiologie. Sein Forschungsschwerpunkt waren vor allem Räuber-Beute-Beziehungen und die damit verbundenen evolutionären Anpassungen. Dadurch verschob er den Schwerpunkt des Instituts bereits allmählich in Richtung Evolutionsbiologie.
Doch erst nach der Berufung zweier neuer Direktoren in den Jahren 1999 und 2006 kam das limnologische Institut 2007 zu seinem heutigen Namen: Max-Planck-Institut für Evolutionsbiologie.
Die Evolutionsbiologie untersucht die Entstehung und Entwicklung des Lebens auf der Erde von vor 3,8 Milliarden Jahren bis heute – einschließlich der Prozesse, die der Evolution zugrunde liegen. Alles rankt sich um die Beantwortung der Frage, wie es zu der ungeheuren Entfaltung von Vielfalt und Komplexität in der belebten Natur kam, wie wir sie heute erleben.
Dazu gehören ökologische, organismische, molekulare, aber auch theoretische Aspekte, mit denen die Forscher heute versuchen, sich der Lösung des riesigen, komplizierten Puzzles der Evolution zu nähern. Für ihre Arbeit nutzen die Wissenschaftler eine Kombination von Beobachtungen in der Natur und im Labor, von öffentlich verfügbaren Daten aus Experimenten an anderen Forschungseinrichtungen und von mathematischen Computermodellen.
Einige Aspekte der dieser Grundlagenforschung berühren auch konkrete Anwendungsbereiche, wie Krebserkrankungen oder Antibiotikaresistenzen. Viele der Ergebnisse aus der Evolutionsforschung lassen sich sogar auf Phänomene menschlicher Gesellschaften anwenden, beispielsweise wie sich soziale Normen entwickeln.
Heute modellieren in der Abteilung Theoretische Biologie verschiedene Forschungsgruppen unter der Leitung des Direktors Arne Traulsen mathematisch und am Computer biologische Systeme. Damit versuchen sie zu erklären, wie Genvarianten innerhalb einer Fortpflanzungsgemeinschaft – einer so genannten Population – entstehen und wie sich Mutationen verstetigen.
Paul Rainey, der zweite Direktor, leitet die Abteilung für Mikrobielle Populationsbiologie. Hier gehen die Forscher Fragen zur Ökologie, Evolution und zum Verhalten von Bakterien nach. Sie wollen klären, wie einerseits Individualität entsteht und wie andererseits ganze Matten von einzelnen Bakterien zusammenlagern, die mitunter schleimig an der Oberfläche von Seen driften. In Laborexperimenten untersuchen sie die Wechselwirkungen zwischen Pflanzen und Mikroben, wozu auch Genomsequenzierungen gehören, also Aufklärung von Strukturen des Erbmaterials.
Zusätzlich zu den beiden Institutsabteilungen sind auch noch kleinere, vollkommen selbständig forschende Wissenschaftlergruppen in den Labors aktiv. Sie zeichnen sich dadurch aus, dass sie hervorragende Qualifizierungsmöglichkeit für promovierte junge Nachwuchswissenschaftler bieten. Unter deren Führung bearbeiten auch Doktoranden gemeinsam ein spezifisches Forschungsthema. Finanziell bezuschusst werden diese Teams durch externe Fördermittel, beispielsweise von Stiftungen. Die Berufung der Gruppenleiter behält sich allerdings der Präsident der Max-Planck-Gesellschaft vor.
Heute sind am Max-Planck-Institut für Evolutionsbiologie etwa 180 Mitarbeiter tätig, davon 110 Wissenschaftler. Techniker, Verwaltungsmitarbeiter und Biologielaboranten unterstützen sie, genauso wie Mitarbeiter in der Informationstechnologie, der Gensequenzierung und der Tierpflege.
Die Wissenschaftler in Plön sind mit allen großen Forschungsorganisationen in Schleswig-Holstein eng vernetzt. Angefangen von der Grundlagenforschung bis hin zu anwendungsbezogenen Fragestellungen und dem Transfer von Wissen und Technologie trägt das Institut mit dazu bei, dass norddeutsche Spitzenforschung auf höchstem Niveau auch international sichtbar ist.
TEXT Hanns-J. Neubert (ScienceCom)
ILLUSTRATION ME2BE
FOTO ChristianSW, CC0 1.0 Verzicht auf das Copyright